Musik zu Lesen

Zwei äußerst unterschiedliche Herangehensweisen an das Genre der Rockstar-Biografie: „Laibach und NSK“ von Alexei Monroes und „Cohen“ von Thomas Kraft

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine müßige Diskussion, wie Biographien von Rockstars genau auszusehen haben. In Deutschland mittlerweile fast vom Markt verschwunden, ist vor allem in England das Geschäft mit dem gedruckten Wort zum singenden Objekt der Begierde noch ein großes Geschäft. Vor allem dann, wenn es um die ganz Großen geht. Biographien über Bob Dylan können schon gar nicht mehr gezählt werden, auch Bruce Springsteen hat in den letzten Jahren kräftig aufgeholt, und die Beatles (inklusive Einzelbiografien oder -autobiographien ihrer Mitglieder) sowie die Beatles  (ebenso) laufen seit Jahrzehnten gut. Doch nur wenige Bände schaffen es bis zur deutschen Übersetzung. Da gab es in den letzten Jahren entweder die Skandalbiografien, die natürlich zu Bestsellern wurden (vor allem zu nennen Albert Goldmanns skandalöse Lennon-Biografie von 1988), oder eben die ganz großen Projekte wie Keith Richards Lebensbeichte „Life“ (2009, auch hier mit einem nicht geringen, wenn auch reichlich pubertären Skandalpotential, wie Richards Lästereien über Jaggers Penislänge beweisen, die immerhin zum zeitweiligen Bruch zwischen den Beiden geführt haben) oder Philip Normans äußerst gediegene Jagger-Biografie.

Auf der anderen Seite stehen – auch dies ist im angelsächsischen Raum keine Seltenheit, in Deutschland jedoch eher rar – essayistische Betrachtungen über Rockmusiker, zu nennen wären vor allem Heinrich Deterings Bob Dylan-Band bei Reclam sowie Klaus Theweleits etwas absurde, aber unbedingt lesenswerte Studie über Jimi Hendrix.

Herauszuheben ist in diesem Bereich der Ventil-Verlag, der sich den etwas abseitigeren Pop-Phänomenen verschrieben hat. Dort erschien vor wenigen Monaten die Übersetzung einer minutiös recherchierten, umfangreichen Auseinandersetzung mit der slowenischen Band Laibach sowie der mit ihr assoziierten Künstlergruppe NSK (Neue Slowenische Kunst). Die Kunst des Kollektivs ist provokant, weil sie relativ offen vor allem mit nationalsozialistischer, zeitweise auch mit stalinistischer Ästhetik spielt und somit das Publikum in zwei Fraktionen spaltet: die, denen das Spiel deutlich zu weit geht und die daher die Gruppe in die Nähe neonazistischer Ideologie wähnt. Und die, die ihnen genau das Gegenteil attestieren, nämlich ein Spiel mit überdeterminierten Zeichen zwecks einer Entblößung des hohlen Pathos jeglichen absolutistischen Gedankenguts. Bekannt wurde die Band, als sie in den 80er Jahren (fast) das komplette „Let It Be“-Album der Beatles in martialischer Art und Weise, mit militaristischen Rhythmen und unerträglich stampfenden Pathos nachspielte. Richtig funktionierte das Konzept allerdings vor allem auf dem Album „N.A.T.O.“, wo man bekannte Chart-Hits in das mittlerweile altbekannte Laibach-Gewand packte und damit, zumindest argumentierten so wohlwollende Kritiker, den Alltagsfaschismus entblößte, der sich selbst in stampfenden Bierzelt-Hits wie „Life is Life“ (Opus) und „In The Army Now“ (Status Quo) finden lässt. Das öffentliche Auftreten der Musiker forciert selbstredend die Assoziation mit dubiosen Vorbildern, festzumachen vor allem am fragwürdigen Kleidungsstil (nachzuvollziehen anhand der zahlreichen  Abbildungen im Buch), der bei vielen ungute Assoziationen hervorrufen wird. In seiner zunächst in zwei Bänden (2003 und 2005) in England erschienen, hier in einem Band zusammengeführten Studie versucht der britische Kulturtheoretiker Alexei Monroe dem Phänomen Laibach nachzugehen und hinterfragt zumindest vordergründig kritisch die Beweggründe des Kunstkollektivs. Bemerkenswert ist vor allem die Einbettung der Künstler in die slowenische Geschichte und Kultur, die Feldforschung bezüglich weiterer Ableger der NSK und die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk Laibachs.

Wer sich allerdings nicht eingehend mit dem Phänomen beschäftigen möchte, dem kann dieses sehr tief gehende und teilweise auch recht komplexe Buch natürlich nicht empfohlen werden; eine Rockstarbiografie im Stil von Led Zeppelins Sex Drugs and Rock’n’Roll-Abenteuergeschichte „Hammer of the Gods“ (der Mutter aller Rockbücher) ist es jedenfalls nicht.

Zu den lesenswertesten Biografien, die es tatsächlich auch ins Deutsche geschafft haben, gehörte vor zwei Jahren Sylvie Simmons Buch über Leonard Cohen, „I’m your Man“, ein dicker Band, vollgepackt mit Information und Reflexion von einer der besten lebenden Rockjournalistinnen überhaupt. Und Simmons selbst ist, glaubt man ihrer Facebook-Seite, noch heute mächtig stolz auf ihr penibel recherchiertes Mammutwerk. Und gerade deswegen stellt sich die Frage: Warum noch eine Biografie des Altmeisters, und dazu noch eine, die es gerade mal auf 120 Seiten (großgedruckten) Text bringt, also quasi auch das Gegenstück zu Monroes opulenter Laibach-Biografie bildet?

Zunächst scheint es, Kraft sehe sich in der Tradition von Theweleit, der in besagtem Hendrix-Band seine ureigene – und immer typisch Theweleit’sche – Sichtweise auf das Phänomen geworfen hat. Ganz so weit geht es bei Kraft dann aber doch nicht, das Buch erinnert von der Konzeption her eher stark an die rororo-Biographien, die in den 80er und 90er Jahren ja äußerst populär waren und bei Schriftstellern im Idealfall nach einer gleichberechtigten Darstellung von Leben und Werk getrachtet haben.

So erzählt Kraft zwar in aller Kürze von Cohens ja eigentlich viel zu ereignisreichem Leben, doch verwebt er diese biographischen Fakten stets mit Stellen aus dessen literarischen Schaffen. Er erkennt den als Musiker prominent gewordenen Kanadier zu Recht als Lyriker an und unterstreicht somit die populär gewordene Theorie, Cohen habe Ende der 60er Jahre aus primär finanziellen Gründen zur Musik gefunden, da er seine Gedichte eben „gelesen“ sehen wollte und das mit den jungen Leuten (er selbst war ja schon über 30, als sein ersten Album erschien) nicht anders zu machen war als mit den Umweg über die Popmusik. Kraft unterfüttert einzelne Episoden aus dem Leben des Musikers mit Zitaten aus dessen Songs, die er somit, wohl ebenfalls zu Recht, als autobiographisch deutet. Letztlich zeichnet er gerade auch dadurch ein lebhaftes Bild nicht nur von Leonard Cohen, sondern auch von der kulturellen Szene der 60er und 70er Jahre. Allerdings kann hier Vieles, eigentlich Alles, nur angerissen werden, und somit ist der Band wirklich nur für Cohen-Einsteiger zu empfehlen. Denn alleine die (nie offiziell bestätigte) Geschichte, wie Produzent Phil Spector Cohen bei den Aufnahmen von „Death of a Ladies‘ Man“ angeblich dauerhaft die Pistole an den Kopf hielt oder die Gründe für das jahrelange Leben im buddhistischen Kloster liest man besser bei Sylvie Simmons nach.

Dass Krafts schmaler Band an Einsteiger gerichtet ist, beweist zuletzt auch die ausführliche tabellarische Vita sowie die Diskographie am Ende, die gemeinsam ein Fünftel des Buches einnehmen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Thomas Kraft: Cohen.
Maro Verlag, Augsburg 2014.
152 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783875123173

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Titelbild

Alexei Monroe: Laibach und NSK. Die Inquisitionsmaschine im Kreuzverhör.
Ventil Verlag, Mainz a Rhein 2014.
349 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783955750015

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