Perfide Machtspiele

Sabine M. Gruber begibt sich in den Mikrokosmos einer „Chorprobe“

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Cinderella, der böse Wolf und der rettende Traumprinz am Schluss – so präsentieren sich salopp formuliert auf den ersten Blick die wichtigsten Ingredienzien des neuen Romans „Chorprobe“ der 1960 in Linz geborenen österreichischen Schriftstellerin Sabine M. Gruber. So wie bereits in ihrem Roman „Beziehungsreise“ aus dem Jahr 2012 legt Gruber die vielfältigen Facetten zwischenmenschlicher Beziehungen dem Handlungsgeschehen zugrunde, wobei der Plot der Geschichte streckenweise wirklich an das klassische Prinzessinnen-Märchen-Thema erinnert. Cindy (mit richtigem Namen eigentlich Lucinda Franck), eine überaus begabte Sopranistin, jobbt als unterbezahlte Sekretärin in einer Anwaltskanzlei, um sich privaten Gesangsunterricht leisten zu können.

Da erhält sie überraschend die verlockende Möglichkeit in dem weltberühmten „Chorus“ singen zu können, wo sie erstmals auf den egozentrischen und unberechenbaren Chorleiter Wolfgang Gottlieb Hochreiter (alias Wolf) trifft. Wolf, ein egomanischer unsympathischer Machtmensch, der sich einen perversen Spaß daraus macht, die Chormitglieder zu schikanieren, findet sofort Gefallen an der unsicheren und unschuldigen Cindy – sie passt genau in sein „Beuteschema“. Alsbald macht er ihr Avancen und Cindy gerät zusehends in ein verwirrendes Wechselbad der Gefühle. Einerseits fühlt sie sich geschmeichelt über die ungewohnte Aufmerksamkeit, andererseits wird sie abgestoßen durch die körperliche männlich-bedrohende Dominanz von Wolf. Hinzu kommen noch der anstrengende Choralltag zwischen nervenaufreibenden Proben, Intrigen unter den Gesangskollegen und den beruflichen Verpflichtungen. Cindy wird ausgewählt mit dem Ensemble auf Tournee zu fahren, was allerdings weitere Strapazen für die ohnehin schon angeschlagene Psyche der jungen Künstlerin bedeutet. Wäre da nicht die Allmacht und Faszination für die Musik und der charismatische Dirigent Viktor von Weiden, hätte Cindy ihre Mitarbeit im „Chorus“ wohl schnell wieder beendet. Doch dann lernt sie durch Zufall den Gartengestalter Emil kennen und lieben. Durch seine unkomplizierte, frisch-fröhliche Art hilft Emil der schwermütigen Cindy, sich aus der fatalen Abhängigkeit vom „Chorus“ zu befreien und sich dem perfiden Machtspiel des Chorleiters Wolf entgegenzustellen. Am Ende lernt der Leser eine selbstbewusste Cindy kennen, die nach langer Zeit der Unsicherheit und der Angst nun endlich den richtigen Weg für ihr Leben gefunden zu haben scheint.

Grubers Roman liest sich, wie bereits erwähnt, auf den ersten Blick wie ein klassisches Märchen, und das Happy End erscheint beinahe kitschig. Unter dieser ersten oberflächlichen Schicht verbirgt sich allerdings ein faszinierender Psychokrimi, der in feinen sprachlichen und stilistischen Nuancen die verschiedenen Mechanismen in einer willkürlich zusammengesetzten Gruppe am Beispiel eines Chors analysiert. Machtspiele, Intrigen, Mobbing und die krankhafte Persönlichkeit in der Figur des Chorleiters werden schonungslos analysiert. Die Höhen und Tiefen eines künstlerisch hochbegabten Menschen inmitten dieser fatalen Dynamik werden dem Leser auf anschauliche Art vor Augen geführt. Am Ende siegt glücklicherweise die wahre Liebe und die junge Sängerin schafft dadurch den erlösenden Befreiungsschlag in ein selbsterfülltes, unabhängiges Leben.

Die spannende Handlung des Romans im faszinierend psychotischen Mikrokosmos „Chor“ gepaart mit der Liebe der Autorin zu den feinen Nuancen der deutschen Sprache machen Grubers Buch zu einem interessanten und lesenswerten Stück neuer österreichischer Gegenwartsliteratur.

Titelbild

Sabine M. Gruber: Chorprobe. Roman.
Picus Verlag, Wien 2014.
287 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783711720139

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