Another Brick in the Wall

James Joyces Prosasammlung „Finn’s Hotel“ schließt die Lücke zwischen „Ulysses“ und „Finnegans Wake“

Von Matthias FriedrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Friedrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Versucht man sich am Werk von James Joyce, gleicht das dem Erklimmen eines gigantischen Bergs. Nicht nur der Weg ist äußerst steinig, man kann sich leicht auf vielfach gewundenen Pfaden verirren und trotz Karte den Blick auf den Gipfel verlieren. Letztlich ist man sich selbst und der Natur überlassen, jedoch für jeden Hinweis, wie das (mögliche) Ziel zu erreichen ist, dankbar.

2013 sind die „Eposlein“, die der Penguin-Verlag schon 1992 ankündigte, in der Ithys Press in Dublin erschienen; inzwischen liegen sie in der Übersetzung von Friedhelm Rathjen vor, der zuletzt auch Joyces „Porträt des Künstlers als junger Mann“ neu herausgegeben hat. In vielerlei Hinsicht sind diese Prosastücke eine Veröffentlichung, die aufhorchen lässt, liegt ihr Entstehungsprojekt doch genau zwischen „Ulysses“ und „Finnegans Wake“. Vor allem letzterer ist aufgrund seiner Schwierigkeit berüchtigt, denn in ihm löst sich die Sprache derart auf, dass Charaktere und Handlung in ihr verschwinden – übrig bleibt ein polyphoner Gesang, der aus obskuren Anspielungen, zahllosen Fremdsprachen und Neologismen besteht.

Wer bislang vor diesem Werk zurückgeschreckt ist, hat mit „Finn’s Hotel“ nun eine hervorragende Gelegenheit, seine Scheu zu überwinden. Denn dieses neue Buch führt einige der grundlegenden Themen des „Wake“ ein und verhandelt sie größtenteils verständlich. Joyce interessierte sich dafür, wie er die irische Geschichte als eine Art Traumzustand wiedergeben könnte; doch lange Zeit kam er mit diesem Vorhaben nicht weiter. Im Verlaufe dieses Prozesses entstanden die nun vorliegenden Prosastücke, die sowohl abgeschlossen sind als auch Anfang von etwas Größerem – wie der erste Satz des „Wake“, der einen Bogen zum Schlusssatz schlägt und damit die zyklische Struktur des Romans festigt. So ist das Wasser ein Grundmotiv dieser Erzählungen, die auch andere Textformen persiflieren; beispielsweise erinnert „Der große Kuss“, der das Liebesspiel von Tristan und Isolde schildert, sowohl an eine Sportreportage als auch an einen Artikel aus einer Klatschzeitung.

Das Grundthema dieser „Eposlein“ ist die Entstehung der Idee Irland. Der Kampf um eine eigene Identität umspannt etwa 1.500 Jahre, ist aber zu Joyces Lebzeiten sicherlich noch nicht abgeschlossen. Er rekurriert auf literarische Archetypen: Eva und Adam im Paradies, der Verlust der Unschuld und die Konsequenzen der Schuld. In dieser Hinsicht dürfte der Text „Hier Chauffiert Einjeder“ am interessantesten sein, tauchen in seinem Titel doch schon die Initialen von Humphrey Chimpden Earwicker auf, einer der Hauptfiguren im „Wake“. Hier möchte Earwicker, ein Wirtsmann, die königliche Jagdgesellschaft begrüßen, die an seinem Haus vorbeifährt – der König jedoch macht sich über den Namen seines Lehnsmanns lustig. Schon in dieser kurzen Sequenz erwähnt Joyce die scheinbar unaussprechliche Tat, die Earwicker „im Park“ begangen haben soll – möglicherweise „eine kurzzeitige Entblößung“. Ohne seine Frau Anna Livia Plurabelle wäre er jedoch nicht der „Jedermann“. Sie verfasst ein Entschuldigungsschreiben an den König, in dem sie versucht, ihren Mann von seiner Schuld reinzuwaschen. Livia, gleichzeitig Liffey, der Fluss, der durch Dublin fließt, lässt die Sprache zwischen Mensch und Natur oszillieren. Auf dem wasserumspülten Eiland geht die Suche nach der irischen Identität weiter – in einem traumartigen Zustand, der aber öfters Lichtstrahlen durchlässt. „Finn’s Hotel“ ist damit die Keimzelle des „Wake“.

Die „Eposlein“ sind im Gegensatz zu diesem Werk aber noch zu sehr der Narration verhaftet, obwohl sich Joyce in einer literaturgeschichtlichen einzigartigen Tour de force bemüht, diese zu überwinden. Deutsche Leser können nun dank der Übersetzung Friedhelm Rathjens einen weiteren Puzzlestein in die Pyramide einsetzen, die Joyce hinterlassen hat.

Titelbild

James Joyce: Finn's Hotel.
Übersetzt aus dem Englischen von Friedhelm Rathjen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
80 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783518424544

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