Der Musik gelebt

Susanne Rode-Breymann korrigiert in ihrer Biographie „Alma Mahler-Werfel“ einige Klischees über die „Muse-Gattin-Witwe“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein klingender Name: Alma Mahler-Werfel. Die am 31. August 1879 in Wien als Alma Schindler Geborene gehört zu den großen Frauengestalten des vergangenen Jahrhunderts. In vielerlei Hinsicht prägt ihr Bild aber auch noch das einer Repräsentantin des 19. Jahrhunderts. Demnach erscheint sie uns Stefan Zweigs „Welt von gestern“ zugehörig. Einer Welt, die sich für ein großbürgerliches Milieu, ebenso wohlhabend wie kunstsinnig, als wohlgeordnet darstellte. Betrachtet man Fotos der jungen Alma, so fühlt man sich wie selbstverständlich zurückversetzt in diese Zeiten.

Aber das Bild ist trügerisch, denn 1918, als die alte Welt verloren ging, war Alma Mahler-Werfel erst 39 Jahre alt. Die neue Zeit hatte für sie noch einiges zu bieten, ebenso wie sie ihren Beitrag dazu leistete. Alma Mahler-Werfel starb am 1. Dezember 1964. Einige Zeit vor ihrem Tod besuchte sie ein deutsches Fernsehteam in ihrer New Yorker Wohnung, und die TV-Zuschauer in der jungen Bundesrepublik bekamen eine kurios-fremd anmutende alte Frau zu sehen, die wie aus der Zeit gefallen erschien. Sie schien ein Klischee von ihr zu bestätigen: Alma, einstmals die schöne, Männer – speziell Künstler – aufsaugende Frau, wahlweise ihre Muse, ihr (erotisch-sexualisiertes) Traumbild und Objekt und als Ehefreu und Witwe immer auch die praktische Haushälterin in allen lebensalltäglichen Notwendigkeiten.

Die Musikwissenschaftlerin Susanne Rode Breymann, Mitherausgeberin der „Tagebuch-Suiten 1898-1902“ von Alma Mahler-Werfel räumt dezent mit solchen Vorurteilen und Klischees auf. Ihre zunächst mit der Schilderung der Kindheit Almas bedächtig beginnende Biografie formuliert im weiteren Verlauf eindeutige Postionen gegen vorherrschende das Bild Alma Mahler-Werfels prägende Interpretationen ihres Lebens. Dabei braucht sie keine spektakulären neuen Enthüllungen. Es reicht vielmehr, das Bekannte redlich und vorurteilsfrei zu interpretieren. Dem Ansinnen dienen in diesem Buch drei eigenständige, die biografische Erzählung unterbrechende Texte, mit denen die Autorin komprimierte Aufklärung betreibt: „Im Fokus Frauen“ bewertet Alma Mahler-Werfels Verhältnis zu Frauen neu, insbesondere die dauerhafte Freundschaft zu Helene Berg, der Frau Alban Bergs; der Text „Im Fokus Männer“ berichtigt Klischees in ihrem Verhältnis zu Männern; und schließlich fordert der dritte Text „Im Fokus Kinder“ eine angemessene Bewertung ihrer bitteren Mutterschaft.

Alma Schindlers Kindheit ist im Rückblick geprägt von einer Idealisierung des Vaters Emil Jakob Schindler, einem anerkannten Landschaftsmaler, der seiner Familie ein gehobenes und kunstsinniges Ambiente bieten konnte. Er, so resümiert die Autorin, stand für das „Kreative, Freie“, während die Mutter Anna Schindler, eine ausgebildete Sängerin, für das Rationale stand: „bei ihr lernte Alma Schindler, die in keine Schule ging, das Rechnen“. Der frühe Tod des Vaters zerstörte das idealisierte Kindheitsparadies. Die Mutter heiratete bald darauf wieder den Maler und Mitbegründer der Wiener Secession Carl Moll. Er verschaffte Zugang zur privilegierten Wiener Künstlerszene. In diesem Umfeld wird nun Alma Schindler im wahrsten Sinne des Wortes zu einer Attraktion – nicht nur Gustav Klimt entwickelte Begehrlichkeiten. Doch trotz der Möglichkeiten, die Carl Moll eröffnete, der Stiefvater blieb ungeliebt. Im Rückblick möchte man sagen: aus gutem Grund. Denn während der Nazizeit biederte er sich den neuen Herrschern an und veruntreute das Eigentum, das Alma Mahler-Werfel ihm nach ihrer Flucht ins Exil treuhänderisch überlassen hatte. Er entzog sich seiner Verantwortung, indem er 1945 Selbstmord verübte. Vergeblich versuchte Alma Mahler-Werfel noch zu Lebzeiten, die Kunstwerke zurück zu erhalten, die Moll ohne ihr Wissen veräußert hatte. Der Streit mit den österreichischen Behörden um die berechtigten Restituierungsansprüche fand erst im neuen Jahrtausend ein vorläufiges Ende.

1899 lernte Alma Schindler Gustav Mahler kennen, drei Jahre später heirateten sie. Die Heirat klärte eine Lebensphase, in der die junge Frau als Komponistin und Musikerin „am Wendepunkt zwischen Dilettantismus und Professionalisierung“ stand. Ihr Lehrer, der Komponist und Dirigent Alexander Zemlinsky, hatte sie diesbezüglich gefordert. Angesichts dieser Ausgangssituation wird die Heirat mit Mahler oft als ‚Aufgabe‘ der eigenen Ambitionen interpretiert. Als Beleg dient ein berühmter seitenlanger Brief Mahlers an seine Frau, in dem er sie auffordert, ihr eigenes Komponieren aufzugeben. Demgegenüber führt nun Rode-Breymann aus, dass dieser Brief weniger als Unterwerfungsforderung an seine Frau zu lesen ist. Vielmehr ist er Teil einer sehr intensiven Briefkommunikation, in der auch eine für die Zeit nicht ungewöhnliche idealisierte Beziehungseuphorie zum Ausdruck kommt. Indem beide sich so auf ein gemeinsames Ideal ihrer Ehe einigen, leitet der Brief eine tiefe partnerschaftliche Beziehungsintensivierung ein.

Mit dieser Interpretation widerspricht die Autorin auch dem Klischee, Alma Mahler sei die unterwürfige Dienerin ihres geniehaften Meisters gewesen. Eine Ansicht, die sich bereits bei den Zeitgenossen breit gemacht hatte, die nicht verstanden, warum Mahler ausgerechnet diese junge Frau gewählt hatte. Abschätzig beurteilte man die Ehefrau des Genius. Rode-Breymann schildert eine bezeichnende Szene während einer Abendgesellschaft. Einer der Bedenkenträger gegen Alma Mahler ist der Dramatiker Siegfried Lipiner, ein Freund Mahlers. Er erscheint an diesem Abend gleich mit drei Frauen – seiner Ex, seiner aktuellen Frau und seiner Geliebten! Was für ein Statement zur Rolle der Frau. Es ist durchaus nachvollziehbar, wenn die Autorin leider eher nur andeutet als belegt, dass Mahler aus diesem bigotten und steifen Milieu ausbrechen wollte, und Alma dafür die richtige Partnerin war – keineswegs nur eine Muse. Sie bleibt es auch während der vier Spielzeiten, die die Mahlers in New York verbringen. Rode-Breymann bewertet diese Phase im Leben der Eheleute durchaus positiv und widerspricht einer gängigen Auffassung, die Zeit habe Mahler und seine Frau wenig gefordert, geschweige denn künstlerisch inspiriert. Zu Recht macht sie darauf aufmerksam, dass viel eurozentrischer Dünkel eine Rolle spielt, wenn man die New Yorker Gesellschaft, mit der die Mahlers Umgang hatten, pauschal als reich-protzend zugleich aber als kulturlos darstellt.

„Suche nach Identität“ überschreibt die Autorin die nach Gustav Mahlers Tod 1911 einsetzende Zeit für Alma Mahler. In sie fällt die intensive aber aussichtslose Beziehung zu Oskar Kokoschka, die wir heute noch in Kokoschkas Gemälde „Windsbraut“ nachempfinden können. Der erdrückenden Umarmung des Malers entzieht sich Alma Mahler und heiratet 1915 Walter Gropius. Eine missglückte Ehe, aus der aber die geliebte und so früh tragisch an Kinderlähmung gestorbene Tochter Manon stammte. Zur Geburt des Kindes schenkte Gropius seiner Frau Edvard Munchs Gemälde „Sommernacht am Strand“ – das Bild, das erst 2006 an Almas Enkelin Marina Fistoulari-Mahler zurückgegeben wurde. Inzwischen führte Alma Mahler in Wien wieder ein großes Haus, das zum Treffpunkt vieler Kunst- und Kulturgrößen der Zeit wurde. Den langjährigen Freund Franz Werfel heiratete sie 1929. Mit ihm ging sie 1938 ins Exil. Nach Wien kam sie nur einmal noch zurück.

Die Hälfte der Biografie von Rode-Breymann ist der Beziehung zu Gustav Mahler gewidmet. Darin soll deutlich werden: Musik war die eigentliche Bestimmung Alma Mahler-Werfels. „Alma Mahlers Verstehen von Musik […] war die Grundlage, auf der sie von der ‚Größe‘ von Künstler überzeugt war.“ In der Beziehung zu Mahler fand diese Bestimmung partnerschaftliche Erfüllung. In gewisser Weise, das lässt die Autorin anklingen, waren alle späteren Lebensstationen Varianten einer lebenslangen Sehnsucht.

Das Leben Alma Mahler-Werfels war immer wieder auch Anlass für diffuse Spekulationen über ihre Rolle als Geliebte und Mutter. Rode-Breymann erinnert nüchtern daran, dass Alma Mahler-Werfel ihr Frausein schwer ertragen musste in einer Zeit, da Körperlichkeit und Sexualität als Themen weitgehend tabuisiert waren. Alma Mahler-Werfel hat vier Kinder von drei Vätern geboren. Keine Geburt verlief einfach. Sie erlebte Fehlgeburten und eine Abtreibung kam hinzu. Drei ihrer Kinder starben. Ein Leben!

Titelbild

Susanne Rode-Breymann: Alma Mahler-Werfel. Muse-Gattin-Witwe. Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2014.
335 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783406669620

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