Über einen gescheiterten Pakt mit dem Leser

Kaja Bergmanns zweiter Roman „Der Mephisto-Deal“

Von Thomas StachelhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Stachelhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine erst 22-jährige Autorin, ein fesselnder Klappentext, ein interessanter Genre-Neologismus, handgemalte Skizzen, eine prominente literarische Figur im Titel, metafiktionale Elemente: Auf den ersten Blick verspricht Kaja Bergmanns zweiter Roman alles, was den Leser/die Leserin zuerst zu fangen und dann zu fesseln vermag. Doch der Pakt zwischen Text und Rezipient*in wird mit der Zeit aufgekündigt: Denn sowohl bei den (Post-)Pubertären, die sich im Setting anfangs noch heimisch fühlen könnten – Handlungsort ist ein Schulgebäude – als auch bei den erwachsenen Leser*innen, die vielleicht zum Buch greifen, weil sie die intertextuelle Anspielung an ihre Schullektüre erinnert oder die Genre-Zuschreibung „All-Age-Thriller“ auf dem Buchrücken ihre Aufmerksamkeit erregt, dürfte sich bei der Lektüre allmählich Ermüdung einstellen. Aber zunächst zum plot: Der 18-jährige Ich-Erzähler Finn und seine Klassenkameraden stehen kurz vor ihrer Abiturprüfung. Des Unglücks nicht genug, müssen sie als Folge einer längerfristigen Erkrankung ihrer Deutschlehrerin auch noch an ausgewählten Samstagen die Schulbank drücken und sich Goethes Drama „Faust I“ stellen. Nur die Teilnehmer*innen des Mathematikkurses von Herrn Udoriwitsch ereilt das gleiche Schicksal: Auch sie haben Stoff nachzuholen.

Für Finn ist dieser außerplanmäßige Lerntag eine besondere Herausforderung, denn er ist nicht nur ein verträumter Schüler, sondern er interessiert sich obendrein weniger für literarische Klassiker als vielmehr für den Fotosynthesevorgang. Seine gedanklichen Abschweifungen werden schlagartig gestört, als der Schullautsprecher ertönt und eine unbekannte Stimme den Mathe- und Deutschschüler*innen mitsamt deren Kursleiter*innen erklärt, dass sie alle vergiftet seien und bald sterben würden, es sei denn, sie unterschrieben den auf der Tafel niedergeschriebenen Satz, dass die Teilnehmer*innen des jeweils anderen Kurses sterben sollen. Das ist nicht nur eine Gewissensfrage, sondern auch ein Wettlauf gegen die Zeit: Der Kurs, der zuerst unterschreibt, erhält das Gegenmittel und bleibt am Leben, die Teilnehmer*innen des anderen Oberstufenkurses werden sterben.

Während Faust sich auf den Pakt oder die paktähnliche Wette mit Mephisto einlässt (auf jene Klassifizierung des Deals haben sich die Schüler*innen mittels Abstimmung im Unterrichtsgeschehen im Übrigen geeinigt, eine Erläuterung bleibt dem Rezipienten/der Rezipientin aber leider verwehrt), will der Titelheld auf das Angebot des Erpressers, das eigene Leben und das seiner Klassenkameraden zu retten, nicht eingehen und versucht gemeinsam mit seinem Freund Tom, alle Insassen der Schule vor dem Tod zu bewahren. Was zunächst nach action klingt (wenngleich von Beginn an sicher nicht nach thrill), wird jedoch zusehends langweilig und langatmig: Zumindest die älteren Leser*innen dürften den Pakt mit dem Erzähler, der mühselig (und leider nicht konsequent) versucht, mittels Leseransprachen in Kontakt mit seinen Begleiter*innen zu bleiben, längst abgelehnt haben – nicht zuletzt, weil spätestens im zweiten Akt klar ist, wer hinter der Erpressung steckt, vielleicht sogar schon auf Seite 11, wenn sich ein Klassenkammerrad namens Nevin den Schweiß von der Stirn wischt und „zum gefühlt zweihundertzwanzigsten Mal in der letzten halben Stunde auf die Uhr starrt“. Sein ausgeklügelter Plan, zu dem auch das Sich-Tot-Stellen gehört, verpufft aber leider im zähen Kampf gegen Zeit, verriegelte Türen und Fenster sowie mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten. 

Was dazwischen passiert, ist nicht mehr als ein Versuch, die Leserschaft mit jeder Menge Blut, Spritzen und Verletzungen bei der Stange zu halten (angesichts von Computer- und Splatterfilmen dürfte die junge Generation von derlei Blessuren kaum angefixt sein). Die zeitlose Frage nach der Rettung des eigenen Lebens auf Kosten Anderer weicht einem chaotischen Wettlauf durch das Schulgebäude. Auch der Versuch, Nevins Tat als eine neue Form des Amoklaufes zu charakterisieren, wird weder ausgereizt noch durchgespielt. Das ist schade, stecken doch – zumindest in Teilen – aufschlussreiche Gesellschaftsbeobachtungen im Text. So zeigt Bergmann beispielsweise die Kehrseite des Sicherheitswahns, indem Fenster und Türen der Schule sich zum Schutze vor der Außenwelt nicht einmal im Brand- oder Notfall von innen öffnen lassen. Ebenso blickt der Roman gerade zu Beginn auf vermeintlich moderne Unterrichtsmethoden, deren ironisch überzeichnete Darstellung ebenso unterhaltsam ist wie Finns Aktualisierungsversuche des Fauststoffes, die er auf seiner inneren Bühne vollzieht. Dass ausgerechnet die Waffeln einer braven Mitschülerin das Gift enthalten (aber von Nevin vergiftet wurden), gehört zu den besseren Einfällen. Das selbstgesteckte Ziel, den Handlungsverlauf an den pyramidalen Aufbau des Dramas nach Gustav Freitag (so die Schreibweise im Roman!) anzulehnen, ist angesichts der gattungsspezifischen Beschränkung nicht nur kühn, sondern muss zwangsläufig misslingen. So ist Kaja Bergmanns zweiter Roman zwar ein ambitioniertes, thematisch gewiss aktuelles, allerdings an den eigenen Ansprüchen gescheitertes Buchprojekt, das bisweilen humorvoll, aber alles andere als „packend, rasant und gnadenlos spannend“ ist, wie der Buchrücken verspricht.  

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Kaja Bergmann: Der Mephisto-Deal.
Bookspot Verlag, München 2014.
191 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783956690129

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