Walther Rathenaus Mobilmachung

Die Durchsetzung der Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Der Jünger der totalen Mobilmachung

In einem im Jahre 1930 erschienenen, fast schon berüchtigten Essay, der den Titel „Totale Mobilmachung“ trägt, kommt Ernst Jünger auch auf Walther Rathenau zu sprechen. Die knappe Passage ist an einer Stelle zu finden, an der Jünger den Zwiespalt diskutiert, der Deutschland im Ersten Weltkrieg geprägt habe, nämlich den zwischen der effizienten Organisation des Krieges und einem letzten Vorbehalt, der dann einer wirklich totalen Mobilmachung entgegen gestanden habe.

„Wie ist es möglich, daß Rathenau, der in einem bedeutenden Maße mobil gemacht wurde, der in der Organisation der Rüstung eine Rolle spielte, und der noch kurz vor dem Zusammenbruch sich mit dem Gedanken der ,Erhebung der Massen‘ beschäftigte, bald darauf den bekannten Ausspruch formulieren konnte von der Weltgeschichte, die ihren Sinn verloren hätte, wenn die Repräsentanten des Reiches als Sieger durch das Brandenburger Tor eingezogen wären. Hier wird es sehr deutlich, wie eine Mobilmachung sich die technischen Fähigkeiten eines Menschen unterstellt, ohne jedoch in den Kern seines Glaubens eindringen zu können.“

Im Kern ist dieses Denkmuster bekannt und kehrt bei vielen vor allem konservativen Autoren der Nachkriegszeit wieder: Die Niederlage Deutschland hat keine militärischen Ursachen, sondern geht auf ein Haltungsdefizit zurück, mithin auf den verdeckten Niedergang der deutschen Kulturnation in der modernen Zivilisation. In der Denkanschauung etwa eines Franz Schauweckers – einem der bekannteren Kombattanten Jüngers beim Neuen Nationalismus – heißt dies, dass Deutschland erst habe den Krieg verlieren müssen, um die Nation gewinnen zu können.

Dafür ist die Revolution 1918, mit der im nationalistischen Denken die Heimatfront dem im Felde unbesiegten Heer in den Rücken gefallen sein sollte und die von Jünger als bloße Revolte relativiert wird, zwar ein Indiz. Auch der Umstand, dass Rathenau Jude war, bleibt nicht außen vor. Aber dennoch ist der Text – auch wenn Jüngers Positionierung zum Neuen Nationalismus damit nicht suspendiert werden kann – widerständiger: Beides ist nicht essentiell. Die mangelnde Tiefe der Mobilmachung ist weder der Revolution noch den Juden anzulasten, sondern einem Vorbehalt, der die gesamte deutsche Nation betrifft, und das von Anfang an: Der Krieg war vielleicht eben doch als „Kampf um die serbische Schweinezucht“ geführt worden, wie Wilhelm Schäfer in seinen „Dreizehn Büchern der deutschen Seele“ 1922 schrieb.  Der Antisemitismus war zudem für den Neuen Nationalismus Jüngerscher Prägung „keine Fragestellung wesentlicher Art“, wie dieser in einem 1929 im „Tage-Buch“ Leopold Schwarzschilds publizierten Essay betonte.

Nun mag man zu Jünger – und insbesondere zu Jünger in seiner aktiven politischen, nationalistischen Phase – stehen wie man will, in dieser knappen Passage seines Essays zur „Totalen Mobilmachung“ kommt er auf einen Vorbehalt zu sprechen, der die Repräsentanten der industriellen Moderne im späten Wilhelminischen Reich insgesamt betraf. Für sie war der Krieg Experimentier- und Entwicklungsfeld der technischen, industriellen und eben auch organisatorischen Modernisierung. Mit seiner ideologischen Oberfläche hingegen waren sie nur akzidentiell verbunden – mithin vielleicht als Privatleute oder aufgrund einer öffentlichen Verpflichtung, nicht jedoch aus dem ureigensten Interesse ihrer Unternehmen.

In der Person Walther Rathenaus wird dies augenfällig, allerdings nicht weil er zur „jüdischen Intelligenz“ gehörte, zu der ihn Jünger ausdrücklich zählte, oder weil er sich selbst als einflussreich und (wohl zu Recht) als Mitglied der politischen und wirtschaftlichen Elite des Reiches sah. Sondern weil er zu den Schlüsselfiguren der Einführung und Umsetzung einer „totalen Mobilmachung“ und damit der Kriegswirtschaft gehörte.

Rathenau hat mithin nicht nur in seinen Schriften die Moderne einer kundigen, wenngleich nicht immer konsensfähigen Analyse unterzogen. Er hat zugleich in dem Moment, in dem die moderne Gesellschaft des wilhelminischen Reiches in den Krieg zog, an der Durchsetzung ihrer Umstrukturierung wesentlich mitgearbeitet.

Ins Gefecht

Nur wenige Monate, nachdem sich Walther Rathenau öffentlich und in seinen zahlreichen Memoranden, die er sich erlaubte, direkt in die Zentren der Macht zu senden, für eine Vorform der Europäischen Union ausgesprochen hatte, stellte sich der Sohn des AEG-Gründers in den Dienst der deutschen Kriegsführung. Noch Anfang August 1914 entwarf er einerseits gegenüber dem damaligen Reichskanzler Bethmann seine Idee einer Zollunion für Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien und Frankreich, mit der er die wesentlichen Differenzen der Nationalstaaten aufzulösen dachte. Im selben Zeitraum sprach er andererseits im Kriegsministerium vor und entwickelte dort seine Überlegungen zu einer effizienten Strukturierung des Rohstoffmanagements, das seiner Ansicht nach für den Erfolg des Krieges entscheidend war – eine Ansicht, die von den späteren Materialschlachten bestätigt wurde.

Im Tagebuch des Jahres 1914 finden sich die folgenden Sätze: „Bald nach Kriegsbeginn tat ich zwei Schritte:

1. Ich bot dem Kanzler meine Dienste an und arbeitete ihm ein Projekt über eine Zollunion für Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Frankreich aus;

2. Ich ging zu Oberst Schëuch ins Kriegsministerium und entwickelte ihm den Gedanken der Rohstofforganisation.

Der Kriegsminister Falkenhayn ersuchte mich telegraphisch um erneute Rücksprache am 10. August; am 13. August war die Kriegsrohstoffabteilung begründet und mir als Vorstand die Organisation übertragen.“

Rathenau griff in seinen Überlegungen nicht zuletzt auf Vorschläge seines späteren Mitarbeiters im Kriegsministerium Wichard von Moellendorf zurück, der als hochrangiger AEG-Repräsentant an einer effizienten und nachhaltigen Sicherung der Rohstofflieferungen für die industrielle Produktion interessiert war. Mit dem Aufbau der industriellen Konglomerate, zu denen nicht zuletzt die AEG zählte, hatte die Abhängigkeit von Industrie, Gesellschaft und Kriegführung von gesicherten Rohstofflieferungen völlig neue Dimensionen erhalten. In vorindustriellen Zeiten unbekannte Rohstoffe erhielten eine zentrale Bedeutung für die Lebens- und Kampffähigkeit der Nationalstaaten. Die bestenfalls regionalen Rohstoff- und Warenkreisläufe wurden durch nationale und globale Rohstoff- und Warenflüsse abgelöst – was qualitative und quantitative Konsequenzen hatte. Die Kompetenz, die er in diesem Kontext erworben hatte, warf Rathenau nun in die Waagschale.

Bereits am 13. August 1914 nahm die Kriegsrohstoffabteilung unter der Leitung von Walther Rathenau mit fünf Mitarbeitern die Arbeit auf. Wichard von Moellendorf war einer dieser fünf Mitarbeiter – wie insgesamt die AEG und damit ein großindustrieller Erfahrungshintergrund für das Amt eine entscheidende Bedeutung hatte. Nur kurze Zeit später – im November – hatte das Amt 60 Mitarbeiter. Als Rathenau Ende März 1915 ausschied, war die Mitarbeiterzahl auf 500 angewachsen, bei Kriegsende auf 2.500,  analog zu der stetig wachsenden Bedeutung, die eine straffe Organisation der Ressourcen in den Materialschlachten des Weltkriegs erhalten hatte.

Die Kriegswirtschaft

Anlass für die rasche Reaktion des militärischen Establishments, das sogar bereit war, einen Zivilisten (im Generalsrang) in einer leitenden Position zu akzeptieren, war der Umstand, dass Deutschland zwar eine junge und leistungsstarke Wirtschaftsmacht und Industrienation geworden war, die im Reigen der europäischen Großmächte mitzusprechen verlangte. Aber zugleich war das Reich vergleichsweise rohstoffarm und war zudem von internationalen Rohstofflieferungen ohne weiteres abschneidbar, wie Rathenau in einem Vortrag Ende 1915  betonte: „Überblicken Sie die Karte Europas und die Lage der Zentralmächte inmitten; es ist, als ob eine dämonische Hand die Umrissse so gezogen hätte, daß mit der Besetzung von wenigen Punkten diese Riesenfläche von Ländern abgeschlossen läge.“ 

Hinzu kommt, dass eine strikte Ausrichtung von Rohstoffströmen wie auch von Waren und Gütern auf die Kriegssituation im Interesse der Militärs war, die zugleich die Zentralisierung der Ordnungs- und Organisationsinstanzen favorisierte. Erstaunlich ist hingegen die Klugheit des Kriegsministeriums, sich der Kompetenzen der Großindustrie und hier namentlich der AEG zu versichern – immerhin waren industrielle Konglomerate wie die AEG, Siemens und Bosch, aber auch industrialisierte Regionen wie das Ruhrgebiet oder Oberschlesien binnen weniger Jahrzehnte entstanden. Effizienz war mithin ebenso eine Kompetenz von Managern der Großindustrie wie die Fähigkeit, groß zu denken.

Rathenau zog mit diesem Engagement zugleich eine Konsequenz aus seinen Schriften, die in den Vorkriegsjahren entstanden waren: In den beiden Hauptschriften „Zur Kritik der Zeit“ von 1912 und „Zur Mechanik des Geistes“ aus dem Jahr 1913 hatte Rathenau die modernen Industriegesellschaften einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Das Ergebnis seiner intellektuellen Suchbewegungen war das Attest eines „mechanistischen Zeitalters“ – mithin einer Gesellschaftsform, in dem sämtliche Teile aufeinander ausgerichtet sind und miteinander kooperieren. Mit dem Ziel einer schnellen und effizienten, zudem kostengünstigen Versorgung der Massengesellschaft (worin sich freilich eine kultivierte Gesellschaft nicht erschöpfen dürfe).

In „Zur Kritik der Zeit“ beschreibt Rathenau die „Mechanisierung der Welt“ als alles umfassenden Regelkreislauf und im Denkschema eines Strömungsdiagramms, das mittlerweile die gesamte Produktion und damit die gesamte Gesellschaft umfasst. Die Basis gesellschaftlichen Lebens ist das Wirtschaftssystem und damit der Produktions- und Distributionsprozess: „Von allen Teilen der Erdoberfläche strömen die Urprodukte mineralischer und organischer Abkunft auf eisernen oder wässernen Wegen in die Sammelbecken der Städte und Häfen. Von dort verzweigen sie sich zu den Verarbeitungsstätten, wo sie in vorbestimmter Mischung eintreffen, um chemisch oder mechanisch umgestaltet als Halbprodukte einen zweiten Kreislauf zu beginnen. Von neuem getrennt und abermals vermischt und bearbeitet erscheinen sie als Verbrauchsgüter, die zum drittenmal geordnet in den Lagern der Großhändler sich vereinigen, bevor sie die fein verzweigten Wege zum Detaillisten und endlich zum Verbraucher zu finden, der sie in Abfallstoffe verwandelt und in den Gestaltungsprozeß zurücksendet. Dem Blutumlauf vergleichbar ergießt sich der Güterstrom durch das Netz seiner Arterien und Adern.“

Wenn sich Rathenau also 1914 in den Dienst der Kriegswirtschaft stellte, dann fußte dies nicht nur auf seinen organisatorischen Erfahrungen in der Großindustrie, sondern rekurrierte dies zugleich auf seine Überlegungen zum Großsystem der modernen Gesellschaften, deren Prozesse eng miteinander verbunden sind – und in deren Interesse ein Weltkrieg im Übrigen nicht sein konnte: Für das ökonomische Denken, zu dem Rathenaus Überlegungen gehören, war der Krieg vor allem ein Störfaktor, weil er die hinderungsfreie Organisation der Rohstoff- und Warenströme unterband. Umso wichtiger war es im Kriegsfall, das globale System von Rohstoff- und Warenströmen im Kriegsfall auf die eigene kriegführende Partei hin zu organisieren, soweit dies eben im Zugriff des Reiches blieb. Rathenaus Wirken war mithin homolog nicht nur zu seiner bisherigen unternehmerischen Praxis, es war zudem konzeptionell bereits vorbereitet.

Anders gewendet: Rathenau folgte keinem nationalistischen Mobilisierungsanspruch, in dem die Nation zu einem unbedingten Selbst hätte finden können, sondern entwickelte mit seiner Tätigkeit im Wesentlichen nur seine Wahrnehmung der modernen Welt für die Extremsituation des Krieges konsequent weiter. In dieser Wahrnehmung besteht die Modernisierung der Gesellschaft nicht nur aus der Entwicklung industrieller und technischer Kompetenzen, Institutionen und Apparate, sondern auch in der vollständigen Erfassung aller Elemente von Gesellschaft, in allen Teilen der Welt. Die „Erde“ war, so Rathenau, „eine einzige, untrennbare Wirtschaftsgemeinschaft“ geworden. 

Kijan Espahangizi hat das systemische Denken Rathenaus jüngst noch als Muster „einer modernen Strömungslehre“ beschrieben, die auf Darstellungsformen der biochemischen Industrie zurückgeht. Teil dieses Narrativs sei, so Espahangizi, dass industrielle Prozesse komplex und nicht direkt erkennbar seien, also nur auf einer abstrakten Ebene erkennbar seien und damit – um vermittelbar zu sein – erzählt werden müssten.

Die Übertragung der Flussmetapher auf gesellschaftliche Phänomene habe dabei, so Espahangizi, drei Funktionen. Sie diene der „Diagrammatisierung“, der „Quantifizierung“ und „der technischen Kontrollierbarkeit“. Welt wird damit beschreibbar, bestimmbar und schließlich steuerbar. Das setzt voraus, dass diese Form der Beschreibung auf Gesellschaft insgesamt übertragen wird – aus einer organisierten Produktion für eine Massengesellschaft wird mit einem Mal eine durchstrukturierte Gesellschaft, die Herrschaft der Mechanisierung hat damit begonnen. Mit anderen Worten, die Kriegswirtschaft, an deren Durchsetzung Rathenau organisatorisch und administrativ an zentraler Stelle beteiligt war, wird zum Paradigma der Organisation der Massengesellschaft. Mehr noch: In der Kriegswirtschaft wird die Massengesellschaft auf ihr wesentliches Gerüst fokussiert, um einem spezifischen Ziel zu gehorchen, der Aufrechterhaltung der Kriegsapparate.

Von kommenden Dingen

„Die welthistorische Bedeutung der Rathenau/Moellendorff’schen Reorganisation der Rohstoffversorgung als Grundlage der deutschen Kriegswirtschaft stand schon für Zeitgenossen außer Frage“, konstatiert Espahangizi.  Rathenau hatte mit seiner Beschreibung der Moderne und mit dem Stichwort von der „Mechanisierung der Welt“ das Grundprinzip der Kriegswirtschaft bereits in der Beschreibung der industrialisierten Ökonomie angelegt. An die Stelle der Massengesellschaft, zu deren Versorgung die enge Abstimmung der Produktions- und Distributionsprozesse dient, tritt lediglich die Lieferung von Massenvernichtungswaffen und die Aufrechterhaltung des industrialisierten Krieges: „Rüstung bedeutet“, so Rathenau, unter den Bedingungen der mechanisierten Welt „von nun an nicht mehr Vorrat an Waffen, sondern ein zum Arsenal umgeschaffenes Land“  – in den Worten Jünger, die „totale Mobilmachung“.

Rathenaus Antwort auf die Frage, ob der Krieg der Nukleus der modernen Massengesellschaft war oder deren Entwicklung nur weiter und ins Extrem vorangetrieben hat, weist also in Richtung der zweiten Antwort: Der Krieg führt die moderne Massengesellschaft ins Extrem, aber er eröffnet ihr zugleich Einsichten und Möglichkeiten, die sie ohne ihn sehr viel später gehabt hätte. Rathenau hat dies präzise beschrieben: „Der Krieg vernichtet endgültig die Ungebundenheit der Privatwirtschaft und bereitet künftige Formen der Gemeinwirtschaft vor, indem er fühlbar macht, daß Wirtschaftsangelegenheiten eines zivilisierten Staates nicht die Sache einzelner, sondern die Sache aller sind.“

Der Krieg richtet die Struktur des modernen Wirtschaftssystems zugleich zwar anders aus als in Friedenszeiten (nämlich auf die Frontstellung als Konsumptionspunkt), aber er fußt auf den Kompetenzen eines Systems, das zu massenhaften Versorgungsleistungen in einem Maße imstande war wie keine Gesellschaft zuvor. Zugleich sah Rathenau in der „Mechanisierung der Welt“ einen der wichtigsten Faktoren für die Etablierung eines gemeinwirtschaftlich organisierten Systems, dem in der Regel staatssozialistische Züge nachgesagt werden. Er selber sprach noch in seiner Kriegsschrift „Von kommenden Dingen“, die 1917 bei S. Fischer erschien, von der Notwendigkeit des Volksstaates, also eines politischen Systems, in dem die Massengesellschaft ihren angemessenen Ausdruck finden konnte.

Dabei fußte das globale Produktionssystem für Rathenau auf privatwirtschaftlichen Strukturen, die allerdings mehr und mehr ihren Charakter veränderten, indem sie sich sozialisierten (eine These, die in den 1920er-Jahren intensiv diskutiert wurde). Mit der Einführung großer industrieller Konglomerate, der Etablierung von Kapitalgesellschaften und der Etablierung von professionellen Verwaltungsstrukturen löse sich die enge Bindung der wirtschaftlichen Aktivitäten an den privaten Eigennutz mehr und mehr auf. In den Worten Rathenaus: „Die Entpersönlichung des Besitzes bedeutet […] die Objektivierung der Sache.“  Dies „führt einem Punkte entgegen, wo das Unternehmen sich in ein Gebilde nach Art einer Stiftung, oder besser gesagt, nach Art eines Staatswesens verwandelt.“  Das Unternehmen erhalte einen Zweck jenseits der „Erwerbslust des reichen Kapitalisten“: Das „Unternehmen selbst, zur objektiven Person geworden, erhält sich selbst, schafft sich seine Mittel, wie es sich seine Aufgaben schafft, und ist bereit, diese Mittel aus eigenen Erträgen“ und anderem mehr „zu entnehmen“.

Diese enge Verbindung von privatwirtschaftlichen und staatlichen Unternehmen sowie von Unternehmen, die als Entitäten eigener Qualität agieren, realisierte Rathenau auch in seiner Arbeit für das Kriegsministerium. Zum einen führte er die Oberhoheit des Staates für den freien Güterverkehr ein, das Recht auf Beschlagnahmung, wie er 1915 betonte. Zum anderen aber übertrug er privatwirtschaftliche Strukturen auf die Kriegswirtschaft: Für die Strukturierung der Rohstoffflüsse setzte er sogenannte „Kriegswirtschafts-Gesellschaften“ ein, deren Struktur der von Aktiengesellschaften ähnelte, die aber weder Dividende noch Liquidationsgewinne verteilen durften und gemeinnützig waren. Ihr großes Plus war, dass sie zwar staatlich kontrolliert, jedoch wesentlich Organe der Selbstverwaltung mit einem spezifischen Auftrag waren. „So entstand“, konstatierte Rathenau 1915, „der Begriff der Kriegsgesellschaft aus dem Wesen der Selbstverwaltung und dennoch nicht der schrankenlosen Freiheit.“

Es ist mithin gerade jene Mischung aus staatlichen und privatwirtschaftlichen Elementen und Eigenschaften, die Rathenaus Sicht der Moderne wie der kriegswirtschaftlichen Notwendigkeiten kennzeichnet. Zugleich war es ihm bewusst, dass er an Themen rührte, die für gewöhnlich von bürgerlichen Denkern, Institutionen und insbesondere von Unternehmen nur ungern berührt werden. Die wirtschaftlichen und organisatorischen Strukturen des Kriegsrohstoffamtes bezeichnete er selbst als „Geschehnis, das eng an die Methoden des Sozialismus und Kommunismus streift“, allerdings mit anderem Charakter als die von politischen Repräsentanten beider Richtungen gesehen würden. Aber es ging ihm ja im Wesentlichen um eine Zähmung des Kapitalismus, um die „Einheit und Solidarität der menschlichen Gemeinschaft, zur Einsicht seelischer Verantwortung und göttlicher Zuversicht“, wie es in den Schlusspassagen von „Von kommenden Dingen“ heißt.

Rathenau glaubte zudem, dass die nachfolgende Friedenswirtschaft einen völlig anderen Charakter haben würde und der Einfluss der Kriegswirtschaft nie völlig verloren gehen würde. In „Von kommenden Dingen“ hat er die ihm sichtbaren Entwicklungen fortgeschrieben und dabei Forderungen formuliert, mit der eine in sich ruhende Gesellschaftsform, die die höchsten sittlichen Anforderungen erfüllte, entwickelt werden könnte. Die strikte Beschneidung des luxuriösen Konsums und die radikale Abschöpfung des Erbeigentums gehörten dazu. All das sind Themen, die im Rahmen der Diskussion einer globalen Ausweitung der Lebensstandards der Industriegesellschaften seit einigen Jahren wieder diskutiert werden – und die in einer Konsumgesellschaft mit kapitalistischen Strukturen befremdlich erscheinen müssen.

Coda

Trotz des nachhaltigen Erfolgs, den Rathenaus Arbeit in der Kriegsrohstoffabteilung hatte, schied er bereits im März 1915 wieder aus dem Amt, nur also etwa acht Monate, nachdem seine Initiative so schnell Früchte getragen hatte. Lothar Gall nennt eine Reihe von Gründen, die Rathenau dazu bewogen hatten, seine Position aufzugeben (freilich nicht, ohne sie angemessen vertreten zu sehen). Gall nennt den Neid auf den Zivilisten und Außenseiter, der ohne weiteres eine derart hochrangige Position im militärischen Apparat eingenommen hatte. Hinzu stand Rathenau als Repräsentant der AEG und damit der Großindustrie im Verdacht, industrielle Interessen über militärische zu stellen. Darüber lag die Vermutung nahe, dass Rathenau diese Position zu einer grundsätzlichen Umgestaltung des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu nutzen versuchen würde, wie ja seinen Schriften unschwer zu entnehmen war. Das war anscheinend, so Gall, auch mit antisemitischen Vorbehalten verbunden worden. Allerdings weist er darauf hin, dass Rathenau zugleich massiv dazu gedrängt worden sei, im Amt zu bleiben und die Nachfolge in seinem Sinne geregelt wurde.

Entscheidend scheint jedoch gerade sein Vorbehalt gegen den Krieg gewesen zu sein: Der europäische Krieg stand in diametralem Widerspruch zu Rathenaus politischen Ansichten über eine europäische Ordnung. In einer Zollunion hatte er noch Anfang 1914 weitreichende entschärfende Wirkungen insbesondere im Verhältnis zu Frankreich gesehen. In seiner Nachkriegsschrift „Der Kaiser“ formulierte Rathenau dann jenen Satz, dass für ihn mit einem deutschen Sieg die Weltgeschichte ihren Sinn verloren hätte.. Was lange nachgewirkt hat, wie Jüngers Verweis noch im Jahr 1930 zeigt. Rathenau verlegte diese Sentenz allerdings in die Anfangszeit des Krieges. Der Krieg war für Rathenau, wie auch Rathenaus Schrift von 1917 zu entnehmen ist, zutiefst irrational. Er sei kein „Anfang, sondern ein Ende; was er hinterläßt, sind Trümmer“. 

Rathenau glaubte zudem nicht an das Recht der Deutschen „zur endgültigen Weltbestimmung“ – womit wir genau bei jenem Vorbehalt sind, den er radikaler dann 1918 in der Kaiser-Schrift formulierte. Aber er sah zugleich ebenso wenig, dass jemand anderes es verdient habe. Im Jahr 1917 liest sich das folgendermaßen: „Wir haben keinen Anspruch darauf, das Schicksal der Welt zu bestimmen, weil wir nicht gelernt haben, unser eigenes Schicksal zu bestimmen. Wir haben nicht das Recht, unser Denken und Fühlen der zivilisierten Nationen der Erde aufzuzwingen; denn welche auch ihre Schwächen sein mögen, eines haben wir noch nicht errungen: den Willen zu eigener Verantwortung.“ Rathenau hoffte, dass der „wirtschaftliche Nationalismus“ „wenn die Zeit der großen politischen und ökonomischen Kraftproben vorüber ist, möglicherweise rationaleren Anschauungen weichen.“ Das mag trügerisch gewesen sein und immer noch sein, formuliert jedoch einen Anspruch – Literaturwissenschaftler sagen: ein Narrativ – das zu erfüllen noch ein wenig Arbeit erfordert.

Anm. der Red: Dieser Vortrag wurde auf der Tagung „Kriegstaumel und Pazifismus: Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg“ an der Freien Universität Berlin, 4.-6.12.2014, gehalten.