Überall und nirgendwo

Franz Dobler stellt sich mit seinem Roman „Ein Bulle im Zug“ als Krimiautor vor

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krimi im Zug? Das ist nun nicht gerade der uroriginellste Einfall unter der Krimisonne, denkt man an die zahlreichen Verfilmungen allein schon vom „Mord im Orientexpress“. Aber das bedeutet wenig: Der Zug ist immerhin eine schöne Variante jener geschlossenen Räume, in denen man Opfer, Täter, Nebenleute und Ermittler auf engstem Raum zusammenbringt und dann schaut, was dabei – neben der Aufklärung des Falles – herauskommen mag. Der Vorteil dieser Variante des Spiels ist, dass die Zahl der Beteiligten begrenzt ist und die Beziehungen und Aktivitäten wie unter einer Lupe betrachtet werden können.

Nun sind die Zeiten seit dem „Orientexpress“ lang vorbei, das moderne Zugreisen hat sich ein wenig geändert, aus dem kleinen gesellschaftlichen Ereignis, das eine Reise mit dem Zug einmal war, ist bestenfalls eine Gelegenheit für Zufallsbekanntschaften geworden, nicht immer der angenehmsten Art. Zum Beispiel auf jenen Strecken, die an Spieltagen von Fußballfans genutzt werden: Die Züge sind dann voll, es ist laut und man hat Glück, wenn es dabei bleibt. Hinzu kommt jene neue Spezies, die nicht mehr eine Netzkarte, sondern eine Bahncard 100 mit sich führt und die zwischen Hamburg und München, Berlin und Köln unterwegs ist.

Aber immer noch sind die Bahnhöfe merkwürdige Orte, und Züge sind dies nicht minder: in ihnen ist man nirgendwo, aber überall hin unterwegs. Ein Wunder fast, dass nicht mehr in ihnen passiert als das eine oder andere Wortgefecht zwischen Passagieren und Zugpersonal (von anderen jahreszeitlich schwankenden externen Ereignissen einmal abgesehen).

Franz Dobler ist eine merkwürdige Gestalt im heutigen Literaturbetrieb: Eigentlich treibt er sich von Anfang an eher in dessen Randbezirken herum. Mit „Tollwut“ von 1991 war Dobler einmal einer der Repräsentanten des neuen Provinzromans der neunziger Jahre. Dobler hat sich in den Jahren danach wenig gezeigt. Als Country-Kenner und Johnny Cash-Biograf ist er einem weiteren Publikum bekannt geworden. Erst jetzt, mit „Ein Bulle im Zug“, wird er von einem der größeren Verlage präsentiert, Tropen, ein Imprint von Klett-Cotta hat das Kriminalstück verlegt, und – wie die Reaktionen im Feuilleton zeigen – damit ein gutes Gespür bewiesen.

Doblers kleine Psychostudie ist gut angekommen, und eine Lektüre weiß das zu bestätigen. Ja, „Ein Bulle im Zug“, ist ein interessantes Buch, ein leidlicher Krimi und in der Hochliteratur wahrscheinlich ganz gut angesiedelt. Aber wahrscheinlich vor allem deshalb, weil Dobler souverän mit den Versatzstücken nicht nur des Genres, sondern auch seiner verschiedenen Niveaus zu spielen versteht.

Der Plot selbst hat vielleicht kaum mehr als normales „Tatort“-Niveau: Ein Polizist – Fallner – erschießt einen jungen Araber, der ihn zu bedrohen scheint. Nachdem das Malheur passiert ist, findet sich jedoch die Pistole nicht, die Fallner gesehen haben will. Also ein tödlicher Irrtum, oder jemand hat die Pistole verschwinden lassen. Keiner weiß was, auch nicht der Kollege, der bei dem Einsatz dabei war und der dabei selbst seine Aussetzer hatte, so scheint es wenigstens.

Nun ist ein junger Mann tot, und Fallner kommt damit nicht zurecht. Seine Beziehung mit einer Kollegin geht daran kaputt, er ist dienstuntauglich, weil er sich nicht mehr im Griff hat und ausrastet. Außerdem erscheint ihm der junge Mann dauernd in Visionen und gibt ihm gute Ratschläge. Oder er provoziert ihn. Das nervt.

Das sind keine guten Voraussetzungen, um ein normales Leben zu führen. Auch die Gespräche mit der Polizeipsychologin helfen nicht weiter. So entschließt sich Fallner, einen Jugendtraum zu realisieren. Er kauft sich eine Bahncard 100 und lässt sich per Zug durch die Lande treiben.

Es dauert zwar, bis er sich endlich aufmacht. Aber immerhin schafft er es irgendwann, unverhofft und fast schon zufällig: Er sitzt im Zug.

Sein Chef gibt ihm noch einen Fall mit, der mit einem Zugreisenden zu tun hat – möglicherweise. Und Fallner hat ja auch noch sein eigenes Problem zu lösen: Wo ist die Pistole hin? Welche Pistole?

Naheliegend erlebt Fallner auf seiner ziellosen Reise all das, was man auf Zugreisen erleben kann. Da er auch noch grimmig schwatzhaft ist und gern ins Bistro geht, bleibt es nicht aus, dass er auch an Dialogen teilnimmt, der man sich nicht ausdenken kann, so abgrundtief sind sie.

Er treibt sich in Bahnhofsnähe herum, wenn er nicht im Zug sitzt, besucht einen alten Kollegen in Berlin, der ihn in einer zwielichtigen Unterkunft unterbringt. Er schaut sich die Tatorte an und entwickelt so etwas wie eine Annahme. Er halluziniert, was allein schon deshalb unangenehm ist, weil er eine alte Makarow mit sich führt. Man mag nicht daran denken, was passiert, wenn er abdrückt.

Er fährt ziellos umher, um schließlich doch wieder dahin zurückzukehren, woher er kommt. Es kommt zum Showdown – Dobler kennt sich eben nicht nur in Sachen Country gut aus. Und zumindest sein Fall hat eine Lösung.

Man mag „Ein Bulle im Zug“ als Krimi mit literarischem Tiefgang lesen oder als literarischen Text im Krimigewand. Das ist wahrscheinlich unerheblich. Dass sich Doblers Roman vom Standardformat unterscheidet, ist ihm ebenso anzurechnen wie vorzuhalten. Aber damit ist gegen ihn wenig bis gar nichts gesagt. Gutes modernes Handwerk eben, gekonnt gemacht, was das Beste ist, das es über einen Schriftsteller zu sagen gibt. Chapeau.

Titelbild

Franz Dobler: Ein Bulle im Zug. Roman.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014.
348 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783608501254

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