Weltliteratenhumor

Eckhard Henscheids großes Buch „Dostojewskis Gelächter“

Von Kay WolfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Wolfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eckhard Henscheid gehört zu den Literaten, deren Werke das geworden sind, was man landläufig plötzlich mit dem Label „Kult“ zu versehen begann. Vor allem seine Trilogie des laufenden Schwachsinns, bestehend aus den Romanen Die Vollidioten, Geht in Ordnung – sowieso – ‒ genau ‒ ‒ ‒  und Die Mätresse des Bischofs, war ein Kassenschlager und wurde im Rahmen der Veranstaltungsreihe Frankfurt liest ein Buch auch unlängst wieder gewürdigt. Der Verlag Zweitausendeins gab eine zehnbändige Henscheid-Ausgabe heraus, und so bleibt der Autor, obwohl es um ihn mittlerweile ruhiger geworden zu sein scheint, auf der feuilletonistischen Agenda nach wie vor aktuell. Eine einflussreiche Rolle nahm Henscheid, der „Erdteil“ (Martin Mosebach), als Humorist und Satiriker in der Neuen Frankfurter Schule um Waechter, Gernhardt, Bernstein ein. 2009 bekam er den Jean-Paul-Preis.

Mit seinem neuen Buch Dostojewskis Gelächter widmet sich Henscheid nicht nur dem verehrten russischen Schriftsteller, sondern will ihn auch als Großhumoristen entdecken und so das Dostojewski-Bild einer breiten Leserschaft einer Revision unterziehen. Hierfür gliedert Henscheid sein Buch in drei große Abteilungen – Korrekturen, Erwägungen, Bilanzen – und bezieht sich dabei hauptsächlich auf Dostojewskis fünf große Elefanten, die weltberühmten Romane Schuld und Sühne (mittlerweile mit dem von Svetlana Geier neu übersetzten Titel Verbrechen und Strafe), Der Idiot, Die Dämonen, Der Jüngling, Die Brüder Karamasoff. Henscheid vollführt einen Rundumschlag und zieht eine ganze Tradition mittlerweile angestaubter Dostojewski-Lektüre durch den Kakao. Gerade in der nationalen, aber auch der internationalen Dostojewski-Lektüre gebe es einen Kardinalfehler: Man ignoriere vor lauter Bedeutungshuberei geflissentlich, welch humoriger und amüsanter Autor der große Russe im Kern sei. Ein von Henscheid zitierter Brockhaus-Artikel zeigt deutlich, wie man Dostojewski – folgt man den zuverlässig weitertradierten Klischees – seit Jahrzehnten sehen will: „In seinen Romanen leuchtet er in die tiefsten Abgründe menschl. Seins, stellt aber auch das Heilige in ird. Gestalt und als göttl. Gnade dar.“ Hier setzt Henscheids Korrektur an: „So steht im dreibändigen Brockhaus von 2006 über Fjodor Michailowitsch Dostojewski zu lesen, und daran ist aber auch wirklich jedes Wort falsch, Resultat eines sich selbst fortzeugenden Gerüchts im Verbund mit eherner Leseunfähigkeit und vielleicht ja angeborener Lügenboldigkeit in kulturellen Angelegenheiten; in diesem Fall der Lexikonmacherhelden.“

Obwohl Henscheids Buch aus vielen kleinen Einzelpassagen besteht, die manchmal unverbunden wirken, ist es eine großangelegte Berichtigung, amüsant, materialreich, mit vielen Beispielen und so zynisch und scharfhumorig verfasst, dass man sich fragt, wann man selbst diesem einseitigen Bild des überernsten Sinnsuchers Dostojewski auf den Leim gegangen ist. „Gut einhundertzwanzig Jahre deutsche Dostojewski-Bekanntschaft waren offensichtlich nicht genug für ein halbwegs sinnvolles Bild von Werk und Autor – im Gegenteil, es wurde wohl im Lauf der Jahrzehnte immer schlimmer und verkehrter.“ Wahrscheinlich ist es tatsächlich an der Zeit, die Romane Dostojewskis einer großen Relektüre zu unterziehen und sie auch als Literatur eines großen Humoristen zu verstehen. „Literaturwissenschaft und marktkommerzielle Dostojewski-Ausschlachtung bis ultimo reichen sich hier bei der Mythenbildung Hand um Hand – so wie das halt der allgemeinen Kultur- gleich Festrednerideologie noch immer am besten behagt und nützt: Innerlichkeit und nochmals Innerlichkeit, Seele und Metaphysik“, schreibt Henscheid, und tatsächlich kommt einem die angesprochene Mythenbildung mehr als bekannt vor.

Wirklich alle bekommen ihr Fett weg: der bekannte Dostojewski-Aufsatz von Stefan Zweig („blankes Geschwätz. Der reine Schleim, der gewissenlose Seich, kein einziges Wort wahr“), ein wenig auch Thomas Mann und Nabokov. Unter dem Titel Erwägungen präsentiert Henscheid denn auch seine gegenläufige Liste an Humorleitfiguren: „Rabelais, Fischart, Sterne, Gottfried Keller, Wilhelm Busch, Friedrich Theodor Vischer, Gogol, Ludwig Thoma, Jaroslav Hašek, Oskar Panizza auch, Robert Walser, Robert Gernhardt, P. G. Wodehouse, Karl Valentin und – eben Dostojewski.“ Ausgeschlossen aber sind „der bloß langweilig-akademische Cervantes, wie schon erwähnt Dickens, auch nicht unbedingt Jane Austen, Balzacs Trollatische Geschichten vor dem korrespondierenden Hintergrund von Boccacio, nicht Thomas Mann und schon gleich gar nicht E. Kishon und Konsorten. Eher noch Paul Celan. Nein, der aber auch nicht.“

Lohnend im letzten Teil Bilanzen sind die Analyse von Dostojewskis Klatschsucht, die seine Bücher zu einer besonderen Freude machen, Henscheids Diskurs über das Lachen und die Darstellung von Dostojewski-Verfilmungen und -Vertonungen. Bedenkenswert scheint schließlich auch der Hinweis auf das Problem, dass Dostojewskis Großwerke durch ihren Materialreichtum häufig etwas aus dem Leim Gehendes hätten, zwar meisterliche Werke seien, aber im Grunde fehlerhafte Romane. Und dennoch beziehen seine Werke die beim Leser erzeugte Lektürelust doch gerade auch aus der „hemmungslose[n] Geschwätzigkeit großer Teile des repräsentativen Dostojewski-Personals“, denn „Dostojewskis Humor ist flächig, in die Breite und ins Hintergründige angelegt, er lebt zu ca. 51 Prozent vom zitierten Gewäsch, mit dem der Dichter die vielberufenen Lachmuskeln fast nach Belieben zu aktivieren vermag“. Es ist, wie Henscheid wunderbar vorführt, oft das Gerede, das „Wortgeriesel“ (so im besten von Dostojewskis Romanen, Schuld und Sühne), das zu wirkungsvollen Humor-Effekten führt.

Mit einem Bedauern stellt Eckhard Henscheid fest, dass es weder in Russland und am allerwenigsten in Deutschland eine Dostojewski-Schule gebe und dass man deshalb auch die Ursprungsherkunft des Altmeisters – den Humor nämlich – vergessen habe. Eingedenk mancher dostojewskihafter Andeutung in Bezug auf die eigenen Romanprojekte in Henscheids 2013 erschienenen Lebenserinnerungen Denkwürdigkeiten ließe sich allerdings mit Recht die Frage anschließen, ob nicht vielleicht Henscheids plauderhafte und übervolle Romane in einer legitimen Nachfolge stehen.

Mit seiner jüngsten Publikation zeigt uns Henscheid, dass wir Dostojewskis Werk noch einmal ganz neu lesen könnten. Aber auch die Henscheid’sche Prosa wäre erneuter Zuwendung wert. Denn beide dem Missverstand und dem Vergessen anheimzugeben, das würde doch bedeuten – um ein Stilmittel Eckhard Henscheids zu verwenden –, einen „schlimmen Fehler“ gemacht (Bischöfin Margot Käßmann) zu haben.

Titelbild

Eckhard Henscheid: Dostojewskis Gelächter. Die Entdeckung eines Großhumoristen.
Piper Verlag, München 2014.
284 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783492056236

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