Intrigen in der Staatskanzlei

In „Die Sterntaler-Verschwörung“ schickt Jan Seghers seinen Kommissar Marthaler zum fünften Mal auf Verbrecherjagd in Hessen

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Matthias Altenburg, der sich als Verfasser von Kriminalromanen Jan Seghers nennt, hat mit seiner Reihe um den Frankfurter Hauptkommissar Robert Marthaler viel Lob geerntet. Nun ermittelt Mathalers Team in „Die Sterntaler-Verschwörung“ im denkwürdigen hessischen Wahljahr 2008 bereits zum fünften Mal. Und zwar gleich an mehreren Fronten. Zum einen treibt den seit Neuestem mit so genannten „cold cases“ – also alten, unaufgeklärten Fällen –beschäftigten Marthaler ein bestialischer Frauenmord um, der Mitte der 1980er-Jahre die Gemüter in und um Frankfurt erregte, ohne dass der Täter jemals dingfest gemacht werden konnte. Nun führen neue Spuren zu ähnlichen Taten in England und Frankreich und der 30 Jahre alte Fall steht unmittelbar vor dem Abschluss. Zum anderen bittet Marthaler eine gute Bekannte, die Hamburger Journalistin Anna Buchwald, sich nach ihrer Kollegin und Mentorin Herlinde Scherer umzusehen. Die große alte Dame des investigativen Journalismus scheint nämlich während der Recherchearbeit zu einem neuen Artikel in Hessen spurlos verschwunden zu sein.

Als Seghers’ Held wenig später vor der Leiche der unkonventionellen Reporterin steht, ist er eigentlich nicht der für die Aufklärung dieses Falles zuständige Polizist. Allerdings fühlt er sich durch das ruppige Auftreten des LKA-Beamten Rotteck provoziert und beginnt in eigener Verantwortung zu ermitteln, um bald darauf auf eine Verschwörung zu stoßen, die hinaufreicht bis zu führenden Köpfen in der hessischen Staatskanzlei und hinab bis zu willfährigen Männern fürs Grobe aus dem Frankfurter Rotlichtmilieu.

Der Leser weiß, was sich Marthaler erst nach und nach erschließt, schon früher. Denn im Unterschied zu den ersten vier Bänden der Reihe lässt Jan Seghers seine Zentralfigur diesmal erst ab Seite 79 auftreten. Bis dahin weiht er uns auf eine für einen deutschen Spannungsroman grandiose Art und Weise in ein Intrigenspiel ein, mit dem verhindert werden soll, dass im Zuge der unentschieden ausgegangenen hessischen Landtagswahlen eine Allianz aus SPD, Grünen und Linken an die Macht kommt.

Wer mag, darf sich noch einmal erinnern an die Ereignisse und Protagonisten eines Wahljahres, das mit einem zweistelligen Verlust für die seit 2003 allein regierende CDU Roland Kochs begann. Doch auch die SPD mit der Ministerpräsidenten-Anwärterin Andrea Ypsilanti an der Spitze vermochte es nicht, so viele Stimmen auf sich zu vereinigen, dass es für eine rot-grüne Koalition gereicht hätte. Das Ergebnis war ein klassisches Patt zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb. Plötzlich rückte die Linke ins Scheinwerferlicht, mit der alle Parteien vor der Wahl aber eine Zusammenarbeit ausgeschlossen hatten. Nachdem die SPD nach zahlreichen Konferenzen und Probeabstimmungen sich endlich im Herbst 2008 entschloss, eine rot-grüne Regierungskoalition einzugehen, die von den Stimmen der Linken mitgetragen werden sollte, schien einem Machtwechsel in Hessen letzten Endes aber nichts mehr entgegenzustehen. Einen Tag vor der Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin aber verabschiedeten sich vier SPD-Mitglieder vom vorgegebenen Kurs der Partei. Das hessische Wahlchaos wurde schließlich durch Neuwahlen am 18. Januar 2009 beendet.      

Auf literarisch-verfremdende Art und Weise hinterlegt Jan Seghers seinen Roman mit den Ereignissen dieses Jahres. Aus dem Ministerpräsidenten Koch wird der Ministerpräsident Becker, aus Andrea Ypsilanti Sabine Xanthopoulos, der man in den Reihen der CDU den Spitznamen „Xanthippe“ verpasst hat. Und das merkwürdige Umschwenken von vier SPD-Mitgliedern am Vorabend der endgültigen Entscheidung zugunsten von Rot-Grün kommt im Roman just als Ergebnis der titelgebenden „Sterntaler-Verschwörung“ zustande.

Es ist die Wirtschaft – die „Nabobs“, deren Villen versteckt hinter Bäumen an der Mörfelder Landstraße stehen, wie es an einer Stelle des Romans heißt –, die die Geschicke Hessens wirklich lenkt. Im Verein mit korrupten Polizisten, ehrgeizigen Politikern, die an ihren Sesseln kleben, und Unterweltgrößen, die bei maßgebenden Kreisen eine Art Freifahrtschein für sich und ihre Klientel ausgehandelt haben, wofür sie dann im Notfall die Drecksarbeit zu übernehmen haben, versucht man, mit allen Mittel zu verhindern, dass sich die Machtverhältnisse in Hessen ändern.

Mit „Die Sterntaler-Verschwörung“ ist Jan Seghers erneut ein Buch gelungen, das es schafft, eine spannende Geschichte zu erzählen, ohne auf allzu großen Abstand zu den Problemen unserer Gegenwart zu gehen. Vielleicht hätten es ein paar Beziehungsgespräche weniger auch getan – Marthalers Verhältnis zu seiner tschechischen Freundin Tereza muss sich erneut in einer viel Diskussionsstoff aufwirbelnden Krise bewähren. Für solcherart Ballast entschädigen dann jedoch wieder die wunderbar ironischen Passagen, in denen der Autor selbst zu einer Figur seines Romans wird, das hessische Lokalkolorit zwischen der Bankenmetropole Frankfurt und dem Regierungssitz Wiesbaden sowie Seghers’ ausgeprägte Fähigkeit, mitten in der deutschen Provinz Schauplätze zu finden, die eines Bond-Streifens würdig wären – diesmal das Freilichtmuseum Hessenpark im Hochtaunuskreis. Alles in allem: ein lesenswerter Roman, wie ihn momentan nur ganz wenige deutsche Spannungsautoren zu schreiben vermögen. 

Titelbild

Jan Seghers: Die Sterntaler-Verschwörung. Roman.
Kindler Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014.
494 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783463403151

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