Auf der Straße der Verlierer

Christi Hodgen erzählt in „Fünf Menschen, die mir fehlen“ vom steinigen Weg des Erwachsenwerdens

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Menschen wie sie kennt jeder, sie begleiten uns ein Stück weit durch unser Leben. So erinnere ich mich noch lebhaft an die Zwillinge, die während der Grundschulzeit Angst und Schrecken in unserer Klasse verbreiteten. Ihre Namen weiß ich nicht mehr, wohl aber, dass sie laut und aufsässig waren und jedem eine Tracht Prügel oder gar eine Begegnung mit ihrem scharfen Schäferhund androhten, der sie auch nur schief ansah. Eines Tages waren sie weg – ab ins Heim, hieß es bei den Eltern hinter vorgehaltenen Hand – und selbst wir Kleinen wussten, dass sie zuvor nur die Hiebe weitergegeben hatten, die sie zu Hause beim Vater tagtäglich ernteten. Was aus ihnen geworden ist? Keine Ahnung, aber wohl kaum etwas, dass sie vor einem Leben als Verlierer bewahrt hätte.  

Genau das würde sie zu passenden Protagonisten in Christie Hodgens Roman „Fünf Menschen, die mir fehlen“ machen. Hinter dem Titel vermutet man vielleicht zunächst eher gefühlsgeladene Erinnerungen an beste Freunde, Lieblingstanten und Mentoren, die mit dazu beigetragen haben, dass das erzählerische Ich zu dem wurde, was es ist.

Ihr Einfluss auf Mary, die Ich-Erzählerin, eint auch tatsächlich die Figuren, die Hodgens in ihrem Buch versammelt. Denn sie alle haben zu ihrem Werdegang ein gutes Quantum beigetragen – nur war dieser Beitrag leider nicht immer zum Positiven bestellt. Doch dafür tragen sie, allesamt Menschen auf der Verliererstraße,  nicht unbedingt die Schuld. Schließlich sind sie, ebenso wie Mary selbst, geprägt von ihrer Sozialisation: dem Fatalismus einer verödenden ehemaligen Industriestadt, dem Mief eines Südstaatenkaffs ohne Zukunft oder den projizierten Erwartungen innerhalb „der besseren Kreise“ einer Kleinstadt in der Provinz.

Marys Kindheit und Jugend sind dementsprechend auch kein Picknick. Nicht nur, dass sie in einem Ort ohne Zukunft aufwächst, wo Kassiererin das höchstmögliche Karriereziel zu sein scheint. Auch die Menschen in ihrer Nähe geben ihr nicht gerade viel Selbstvertrauen und Optimismus mit auf den Weg. Am allerwenigsten taugt dafür ihre Mutter. Die sieht zwar aus wie Liz Taylor und kann auch bei der Anzahl ihrer Ehemänner durchaus mit dem Filmidol mithalten. Aber ihren Töchtern so etwas wie Sicherheit oder ein geregeltes Leben zu bieten, überfordert sie total.  Das versucht stattdessen zumindest zeitweise Stiefonkel Mike, der zwar ein cooles Image verbreitet und die Flucht nach vorn antritt, am Ende jedoch an Drogen und Alkohol zugrunde geht.

Auch außerhalb der Familie wimmelt es in Marys Leben nur so von Verlierern, so etwa Elwoed, der gutmütige Klassenidiot, der bei einem Freundschaftsdienst in die Luft fliegt;  Carson, die nur allzugut weiß, was es heißt, fett und schwarz zu sein, oder James, ein talentierter Pianist, der an seinen eigenen überzogenen Ansprüchen zerbricht.

Bei aller Unterschiedlichkeit haben diese fünf Personen, die Christie Hodgen in den einzelnen „Elegien“ ihres Romans beschreibt, neben einem frühen Tod eines gemeinsam: Sie prägen den Prozess des Erwachsenwerdens von Mary entscheidend mit, weshalb sie in deren Gedanken auch später noch weiterleben, als der Rest der Welt sie längst vergessen zu haben scheint.

Hodgens literarischem Talent ist es zu verdanken, dass Mary zwar mit unterkühlt-distanzierter Sprache, aber ohne jede Schadenfreude, nicht nur das Scheitern der einzelnen Menschen beschreibt, sondern mit Empathie unseren Blick als Leser auch darauf lenkt, was deren Potentiale und Talente gewesen wären, hätten sie nur eine Chance im Leben bekommen.

Ein  durchaus melancholisches, aber dank eines guten Schusses Selbstironie und Wortwitz nie sentimentales Werk, das auf weitere Titel der Autorin neugierig macht.

Titelbild

Christie Hodgen: Fünf Menschen, die mir fehlen. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel.
Knaus Verlag, München 2014.
287 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783813505863

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