Der Handschuh der Männlichkeit

Zu Benjamin Leberts neuem Roman „Mitternachtsweg“

Von David DetersRSS-Newsfeed neuer Artikel von David Deters

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem Benjamin Lebert 1999 mit seinem Debüt Crazy einen so großen Erfolg verzeichnen konnte, dass der Roman sogar verfilmt und zur Schullektüre wurde, war es danach für lange Zeit deutlich stiller um ihn geworden. Mit Mitternachtsweg legt er nun einen Roman vor, der in der Verbindung von Liebes- und Spukgeschichte eine gänzlich andere Richtung einschlägt.

Der Journalist Peter Maydell, der es trotz seiner Pensionierung nicht lassen kann, weiterhin für seine alte Zeitung zu schreiben, wird vom Geschichtsstudenten und Hobbyjournalisten Johannes Kielland regelmäßig mit Beiträgen über allerlei Obskures und Merkwürdiges versorgt. Nun jedoch hat dieser ihm einen Text zukommen lassen, der wahrhaftig Ungeheuerliches enthüllt. Kielland sieht dem Tod ins Auge und will Maydell berichten, was ihn ins Unheil geführt hat. Im Folgenden lesen wir mit ähnlicher Gespanntheit wie Maydell die fantastische Geschichte des jungen Studenten, von seiner immer tieferen Verstrickung in dunkle Geheimnisse – seit der Begegnung mit der ebenso schönen wie unheimlichen Helma Brandt.

Kiellands Manuskript ist aber nur eine von mehreren Erzählebenen, die zunächst keine Berührungspunkte aufzuweisen scheinen und erst allmählich miteinander verschränkt werden. Da lesen wir von einem künstlerisch veranlagten jungen Mann aus Hamburg, der in der Zeit des Dritten Reiches mit dem Regime in Konflikt gerät und deshalb untertauchen muss, von einem Liebespaar, das ein geheimnisvolles Ritual auf dem Sylter Wattenmeer durchführt, dazwischen immer wieder von Maydell, der als eine Art spiegelbildlicher Leser im Text zu fungieren scheint und dessen Rolle im Ganzen der Erzählung zunächst opak ist. Die verschiedenen Erzählebenen tragen auf jeden Fall dazu bei, die Spannung zu erhöhen, will man doch wissen, wie sie am Ende zusammengeführt werden.

Geschickt gelingt es Lebert, eine Atmosphäre des Unheimlichen aufzubauen, wozu auch die Wahl der Schauplätze beiträgt. Sylt zum Beispiel mit seiner insularen Abgeschiedenheit, seinen Traditionen zwischen Reetdächern und Seefahrt und seinem ewigen Kampf gegen die heranpeitschende See, die Stürme und Regengüsse auf die Insel treibt, eignet sich geradezu perfekt als Heimat geheimnisvoller Riten und dunkler Geheimnisse. Als dagegen Johannes mit Helma auf das abgelegene Landgut fährt, das sie einst gemeinsam mit ihrem auf mysteriöse Weise verstorbenen Freund bewohnte, spürt man förmlich die räumliche Isolation, die Ausgangspunkt fast jeden Horrorfilms ist.

Von besonderer Bedeutung ist auch ein schwarzer Lederhandschuh, der in der Erzählung immer wieder auftaucht und dessen (männlicher) Träger eine verstörende Verwandlung durchläuft. Er steht in Verbindung mit einer Art Männlichkeitsdiskurs, in dessen Rahmen im Verlauf des Romans eine ,harteʻ Männlichkeit einer ,weichenʻ Männlichkeit gegenübergestellt wird. Während die ,harteʻ Männlichkeit vor allem durch handwerkliches Geschick, körperliche Kraft und zupackendes Handeln sowie eine gewisse Grobheit im Umgang gekennzeichnet ist, ist die ,weicheʻ Variante im Kontrast dazu charakterisiert durch handwerkliche Ungeschicklichkeit, künstlerische Neigung und Passivität verbunden mit allgemeiner Lebensangst. Der Handschuh vermag es, diese Ängstlichkeit zu eliminieren und an ihre Stelle eine rastlose körperliche Aktivität zu setzen. So verwandelt er Helmas Lebensgefährten von einem zarten Gitarristen in einen geschickten Handwerker und Holzfäller, allerdings auch in einen zunehmend groben, wenn nicht gar brutalen Liebhaber. Die körperliche Tätigkeit, der Umgang mit Holz zumal, erscheint hier als Ausdruck einer archaischen Männlichkeit. Verbunden mit der Liebesgeschichte könnte man den Handschuh als Metapher für die verwandelnde Kraft der Liebe zu einer Frau sehen, die archaische Triebe im Mann hervorruft, welche sich in Körperzentrierung im Gegensatz zu abstrakter Kunstsinnigkeit ausdrücken.

Da er zudem seinen Träger bis in die Selbstzerstörung treibt, liegt es nahe, in dem Handschuh ferner einen symbolischen Verweis auf die in langer kulturgeschichtlicher Tradition stehende Verbindung von Sexualität und Tod zu sehen.

Grundsätzlich sind die Figuren im Roman so gezeichnet, dass schon anhand ihrer Physiognomie und Konstitution ihre innere Disposition und ihre Stellung im Ganzen deutlich werden. So ist Johannes Kielland ein Außenseiter, dessen merkwürdige Interessen bereits durch sein düsteres Äußeres mit langen Haaren, Schminke und schwarzem Ledermantel vorweggenommen werden. Helma Brandt wirkt dagegen schon in ihrem äußeren Erscheinungsbild – mit langen, dunklen Haaren, roten Lippen und blasser, kalter Haut – mysteriös. Daneben werden den Vertretern der bereits oben angesprochenen ,weichenʻ Männlichkeit immer die gleichen äußeren Merkmale zugeschrieben, die vor allem in langen Haaren und einem zarten Körperbau bestehen, die in Kontrast gesetzt werden zu den groben und kräftigen Körpern der Repräsentanten ,harterʻ Männlichkeit. Das weist darauf hin, dass es Lebert bei seiner Figurenzeichnung nicht um charakterliche Tiefe durch eine Offenlegung von Widersprüchen, Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten geht, sondern um die Darstellung von Typen, die sich beispielsweise in den oben genannten Männlichkeitsdiskurs einfügen oder der Erzeugung bestimmter Suspense-Effekte dienen.

Überhaupt neigt Lebert zu einem metaphorischen Sprachgebrauch, der sich unter anderem in häufigen Personifikationen äußert: „Ich spüre die Unruhe des Wassers hinter dem Dünenwall, glaube die Stimmen einzelner Wellen zu hören, ihre Rufe. Ab und zu erzittert das Fenster unter den Windstößen. Die Häuser dieses Ortes […] geben sich der Schwärze hin, die der orangefarbene Laternenschein nicht friedlich stimmen kann.“ Die Naturgewalten kommentieren das Geschehen im Roman und weisen auf kommende (häufig unheilvolle) Ereignisse voraus, was angesichts der Lage der Insel der Sylt und der archaischen Anklänge einer Spukgeschichte auch naheliegt.

Mit Metaphern gespickt sind auch die Lebensweisheiten, die Lebert immer wieder verbreitet, über deren Wert und philosophische Tiefe man freilich streiten kann: „Unser erster Besitz im Leben ist der Name. Der Name ist ein Gefäß, in das wir unser Leben hineingeben; das, was für die Begrabenen da drüben auf der anderen Straßenseite der Friedhof ist.“

Zu bemängeln wäre an manchen Stellen auch die Verwendung von umgangssprachlichen – und nicht selten platt wirkenden – Ausdrücken, die nicht so recht in den ansonsten gediegen und bedacht wirkenden Sprachgebrauch passen: „Er spürte, dass er einen Steifen bekam, der gegen seine Jeans drückte.“ Entweder ist hier mit Lebert wieder der Jugendbuchautor durchgegangen oder aber er will damit die Primitivität der hier wirkenden Triebe ausdrücken, wobei dann natürlich die Frage erlaubt wäre, ob man das nicht auch anders hätte tun können.

Insgesamt ist Benjamin Lebert mit Mitternachtsweg ein durchaus unterhaltsamer und spannungsgeladener Roman gelungen, der gekonnt Elemente des Unheimlichen einzusetzen und mehrere Erzählebenen zu montieren versteht. Allerdings wirkt die ‚Aussage’ des Romans, die sich an einigen Stellen andeutet (v.a. in den über den Text verstreuten sinnierenden Betrachtungen zur menschlichen Existenz), nicht ganz kohärent, sodass der Leser am Ende nicht recht weiß, was Lebert ihm denn nun eigentlich mit auf den Weg geben möchte. Trotzdem bleibt Mitternachtsweg ein kurzweiliger Roman, dessen Lektüre vielleicht nicht das Leben des Lesers verändern, ihm aber einige spannende Stunden schenken wird.

Hinweis: Diese Rezension ist im Rahmen eines Seminars über „Literarische Neuerscheinungen“ an der Universität Duisburg-Essen geschrieben worden.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Benjamin Lebert: Mitternachtsweg.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2014.
240 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783455404371

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