Wenn Schicksal gnadenlos macht

Guido Kniesel thematisiert Zwangsläufigkeit jenseits persönlicher Verantwortung in seinem Krimi

Von Renate SchauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Schauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit „Kein Wille geschehe“ ist Guido Kniesel ein Krimi gelungen, der trotz Spannung eine erfreuliche Übersichtlichkeit behält. Das heißt, die Handlungsfäden sind nicht allzu verwirrt, die Stoßrichtung ist schnell klar. Trotzdem fesselt bis zuletzt die Frage, wer denn nun diesem mörderischen Wahnsinn ein Ende setzt.

Es beginnt mit einer Tat aus Eifersucht. Das Kapitel trägt die Überschrift „Ursache“. Die „Wirkung“ wird in 60 Kapiteln zügig beschrieben. Einzelnen Kapiteln voran gestellt sind Zitate, wie zum Beispiel das von Eugène Ionesco, französisch-rumänischer Schriftsteller (1909–1994): „Da wir die Sonne nicht versetzen, den Tod nicht verschieben können, ist es sinnlos, etwas verändern zu wollen.“ Es geht um das Schicksalhafte, um den Zufall, um Schuld und den freien Willen.

Offensichtlich ist der Täter der nachfolgenden Verbrechen diesem philosophischen Spektrum verhaftet, denn zwei Mord-Opfern schreibt er „Amor Fati“ auf die Stirn. Die Kriminalisten, die den Fall untersuchen, googeln den Begriff und finden als Übersetzung „Liebe zum Schicksal“. Erweiternd zitiert Kommissarin Maria Leupold: „Liebe zum Notwendigen und Unausweichlichen als Zeichen menschlicher Größe“; verknüpft ist diese Maßgabe mit Friedrich Nietzsche. Man ahnt, dass sie in mehreren Variationen das folgende Geschehen immer wieder begleiten wird. Und man wird nicht enttäuscht: Mancher Monolog tritt die Unausweichlichkeit der Ereignisse so breit, dass es nervt. Das könnte als beabsichtigtes Stilmittel gewählt sein, unterstreicht  aber auf jeden Fall die Gewissenhaftigkeit des Autors, mit der er die Akribie des Täters darstellen will.

Da kein Hehl daraus gemacht wird, wer der Täter ist, erhält die Geschichte ihren Antrieb aus der Enträtselung des Motivs: Warum muss er so grausam sein und was kann ihn stoppen? Was ist das für ein Mann, der mit so viel Ehrgeiz und Raffinesse vorgeht und andererseits grundsätzlich davon überzeugt zu sein scheint, dass niemand für etwas verantwortlich ist. Angeblich nimmt er keine Rache, kann aber nicht abbrechen, als die Quälerei schließlich atemberaubende Ausmaße annimmt. Erst ist von „Erleichterung“ nach einem Mord die Rede, später behauptet er, im Grunde nichts mehr zu empfinden.

Eine gespaltene Figur also – dumm ist sie jedenfalls nicht. Man muss damit zurechtkommen, dass ihre Vielschichtigkeit keinen Platz in der Geschichte hat. Fixiert und reduziert auf das, was man nach und nach als abstruse „Wirkung“ begreift, bleibt sie deshalb merkwürdig flach. Sie ist als Einzelgänger identifizierbar, die dem Autor Guido Kniesel fast zu ausgiebig dazu dient, die Frage der Willensfreiheit zu erörtern. Er ist IT-Spezialist und beschäftigte sich laut Klappentext „über viele Jahre mit ‚Künstlicher Intelligenz‘ und der Computersimulation von biologischen Gehirnen“. Davon zeugt auch sein Debüt-Roman „Der Proband“ (2011), bei dem es um eine angeblich bahnbrechende Suchttherapie Berliner Hirnforscher geht. Kein Wunder also, dass in „Kein Wille geschehe“ jene Passagen äußerst beeindruckend sind, die IT-Ver- und Entschlüsselungen schildern.

Andere Stärken: Auf den Autor ist Verlass. Er will unser Hirn nicht unnötig strapazieren. Alles, was er erwähnt, ist für die Handlung des Romans von Belang. Keine Neben-Stränge, die als künstliche Spannungstreiber wie Seifenblasen zerplatzen oder im Nichts enden. Gut ist auch, dass die Polizei nur eine Nebenrolle spielt. Dadurch konzentriert sich letztlich alles aufs Essenzielle. Täter und Opfer, dazu sekundäre Opfer – alle sind sie in einer ausweglosen Lage. Mit welcher Konsequenz die „Wirkung“ der „Ursache“ vorbereitet wurde, ist beachtlich. Damit straft sich der Täter Lügen. Ohne zu viel zu verraten, kann man als eine der möglichen Schlussfolgerungen nennen, dass Unzulänglichkeiten des Rechtssystems in „die Kausalkette, die nicht unterbrochen werden kann,“ passen, womit wir wieder bei der Frage nach individueller Verantwortung und Schuld wären.

Titelbild

Guido Kniesel: Kein Wille geschehe.
Bookspot Verlag, München 2014.
303 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783956690266

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