Tagebuch eines Exzentrischen

Der zweite Band der Tagebücher der Jahre 2002–2012 von Fritz J. Raddatz ist erschienen

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tagebücher zu rezensieren ist immer ein schwieriges Unterfangen. Wie geht man mit diesen „persönlichen“ Aufzeichnungen um und wie soll man sie bewerten? Manche Tagebücher sind banal („Was ich heute zum Frühstück aß…“) und wieder andere sind dermaßen geschönt („Nein, ich war nie in irgendeiner Partei oder habe mich für sie ausgesprochen….“), dass man sich als Leser oft verwundert die Augen reiben muss. Mittlerweile sind die wenigsten publizierten Tagebücher ehrlich oder besser gesagt subjektiv ehrlich. Der Autor versucht zu schönen oder zu retuschieren, dass es wahrlich keine Freude mehr ist, diese glatten und makellosen Entäußerungen zu lesen. Das neue Credo scheint zu lauten: Bloß nichts in meinen persönlichen Aufzeichnungen erwähnen, was man mir negativ anlasten könnte, lieber banal bleiben.

Macht das neue Tagebuch von Fritz J. Raddatz da eine Ausnahme?

Schon der erste Band der Tagebücher, der die Jahre 1982 bis 2001 umfasst, machte etwas deutlich: Raddatz hatte gar keine Sorge, dass man ihm irgendwelche Äußerungen oder Urteile anlasten könnte. Der Leser sollte ruhig erfahren, was er von seinen Kollegen („der scheußliche Karasek“) hält. Welche Verfehlungen oder Affären die Autoren haben, die er protegierte: So erfährt man, dass Kempowski mit seiner Frau eine Abmachung über außerehelichen Verkehr hatte oder dass er sich wie ein neureicher Snob beim Essen verhielt. Oder man kann darüber lesen, wer, wo und wann, auf welcher Feier betrunken war, und mittendrin Raddatz, der dies halb belustigt, halb gelangweilt wahrnimmt. Vor allem diese Einträge haben schon etwas von Klatsch und Tratsch, was die Lektüre aber nicht herabsetzt, sondern eher aufwertet: Denn sind wir doch einmal ehrlich, wollen wir dies nicht gerade lesen? Wir wollen etwas über die dunklen Seiten der selbsternannten Kulturkoryphäen und makellosen Autoren wissen. Raddatz nimmt alles wahr und schreibt es nieder – ohne zu schönen, höchstens dort, wo er vom Betroffenen gefragt wird (was Raddatz wiederum erwähnt!). Der zweite Band macht hier keine Ausnahme und fährt dort fort, wo der erste Band endete. Auch hier darf sich der Leser wieder auf die neusten Eskapaden der Anderen freuen: Langweilige Feiern, auf denen Raddatz sich Stunde um Stunde Kinderfotos anschauen muss, Autoren, die Autorgrammkarten wie Popstars verteilen und so weiter. Das Sittengemälde, welches Raddatz hier zeichnet, hat einen schalen Beigeschmack, das eine oder andere Mal wird man mit dem Kopf schütteln und sich fragen, was die Frauen und Männer des Literaturbetriebes in einigen Situationen geritten haben möge, wenn man über ihr Benehmen liest.

Wer austeilen kann, der muss auch einstecken können, wie es im Volksmund so schön heißt. Was schreibt Raddatz über sich selber und wie schönt er sich und sein Verhalten? Dies macht er wohl eher nicht, wenn man einen Eintrag darüber liest, wie er am Reformationstag Kinder, die auf der Jagd nach Halloween-Süßigkeiten sind, an der Haustür anschreit und sich dann aus Kummer betrinkt. Auch überlegt er ständig, wie er mit dem Geld haushalten soll – ob es wohl für seinen exzentrischen Lebensstil reichen wird. Daran ist der Gedanke geknüpft, dass man noch gut zehn Jahre damit leben könnte beziehungsweise eigentlich noch mehr Geld ausgeben sollte, damit man einerseits nichts auf Erden zurücklässt und anderseits auch nichts im Leben verpasst hat. Und so fährt er mit einem Luxusauto vor, während die Leute recht befremdet sind. Raddatz konnte auch beleidigt sein, sollten die Gastgeschenke, wenn er wieder zum Essen einlud, nicht groß oder wertvoll genug gewesen sein. Hier sieht man schon, dass er eigentlich nicht besser war als die gescholtenen Kollegen und Autoren, die immer auf der Jagd nach dem größten Luxus sind. Hier trifft der Spruch, dass immer nur die Anderen die Idioten sind, recht gut zu. Raddatz hat aber einen entscheidenden Vorteil: Er schreibt darüber ironisch und amüsant, er besitzt jene Selbstironie, die vielen seiner Kollegen fehlt. Er kennt diese eigenen Charakterzüge, weshalb er auch mit diesen spielen und sich selbst rückblickend im Tagebuch karikieren kann.

Dennoch sind es auch Aufzeichnungen eines melancholischen und zutiefst traurigen Mannes, der gerne aus dem Literaturbetrieb austeigen möchte, es jedoch ohne ihn auch nicht aushält. Gerne wäre er zu einem bestimmten Zeitpunkt der frühere Nabel der literarischen Gesellschaft, er ist sich jedoch bewusst, dass diese Zeiten nun vorbei sind. Die Lektüre ist nicht nur amüsant, sondern auch bitter. Später wird er sich als „Leiche im Maßanzug“ bezeichnen, wohlwissend, dass seine besten Zeiten vorbei sind und sich die Freunde nur um ihn kümmern, wenn sie etwas von ihm wollen. Das Tagebuch von Raddatz hinterlässt auch in diesen Belangen einen bleibenden Eindruck.

Titelbild

Fritz J. Raddatz: Tagebücher. Jahre 2002-2012.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014.
718 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783498057978

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