Mal eben die Stehlampe ausknipsen, um Strom zu sparen

Kristine Bilkaus überzeugendes Debüt „Die Glücklichen“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Glücklichen“ von Kristine Bilkau ist ein Debattenbuch. Ein Buch, das helfen kann, den eigenen politisch-gesellschaftlichen Standpunkt zu festigen oder aber scheinbar klare und feste Ansichten in‘s Wanken zu bringen. Und warum? Weil aus einem Paar – Georg und Isabell – eine Kleinfamilie geworden ist, weil Matti dazu gekommen ist? Oder weil in diesen schwierigen und von Brüchen gezeichneten Zeiten das Bewahren der (materiellen) Existenz zum Überlebenskampf geworden ist? Oder vielleicht ja auch, weil Ängste und Anforderungen und Druck das Spielerische und Selbstbewusste reduzieren, den Menschen klein und hilflos machen? Bilkaus Debütroman lässt viele solcher und ähnlicher Interpretationen und Lesarten zu, „Die Glücklichen“ ist ein hochaktueller, absolut lesenswerter literarischer Kommentar zu einem Aspekt unserer Gegenwart. Worum es geht? Nun, wir haben die übliche Vater-Mutter-Kind-Konstellation, Georg ist Journalist, Isabell Cellistin an einem Musicaltheater, Matti süß und klein. Sie leben in einer großzügigen Wohnung in einer offensichtlich guten Gegend, haben hohe Standards in Bezug auf Ernährung, Stil und Erziehung. Ihr gesellschaftlicher Status lässt sie davon überzeugt sein, dass sie bislang alles gut und richtig gemacht haben und dass es in diese Richtung weiter gehen wird.

Doch dann beginnen die Probleme, Isabells Bogenhand zittert, sie verkrampft zusehends beim Spielen im Ensemble, vor allem steigert sich das, je näher sie ihren Soli kommt. Woher diese Angst, das Zittern, die Nervosität kommen, weiß sie nicht. Mit ihrem Mann kann und will sie darüber noch nicht sprechen, sie fürchtet seine Reaktionen, will die starke selbständige Künstlerin bleiben, nicht auf die Rolle der Frau und jungen Mutter reduziert werden. Und während sie mit ihrer Sorge lebt, ängstlich die Kolleginnen und Kollegen beobachtet, die wiederum sie beobachten, wackelt Georgs Arbeitsplatz. Was eben noch wie das Idealbild der gebildeten bürgerlichen Mittelschicht mit allen kulturellen und hoch ziviliserten Attributen modelliert wurde, kippt auf einmal in Richtung der hässlichen Fratze der Existenzangst und kleinbürgerlichen Verhaltensweisen. Isabell lässt sich krank schreiben und Georg ist arbeitslos. Jetzt offenbart sich, was ihre noch junge Ehe aushält. Bislang waren sie von größeren Sorgen verschont geblieben. Lediglich Georgs Mutter, die kränklich und antriebsschwach in dem Ladenlokal lebt, das sie einst mit ihrem Mann gemeinsam betrieben hat, brachte manchen kleinen Zwist in die ansonsten harmonische Behaglichkeit. Und während Georg sich nicht traut, seiner Frau von seinen heimlichen Online-Ausflügen auf Immobilienportalen zu erzählen, wo er nach immer abwegigeren Objekten Ausschau hält, trifft sie sich noch immer in Szene-Cafés mit ehemaligen Kolleginnen und alten Freundinnen, kauft sich ein Kleid, das sie sich nicht leisten kann, von dem sie sich jedoch erhofft, es möge ihr bei dem einzigen Vorspiel, das sie in Aussicht hat, Glück bringen.

So driften sie langsam auseinander, verbringen einen desaströsen Kurzurlaub in einer billigen Ferienwohnung, die sie immer daran erinnert, wie entspannt und luxuriös ihre Hotelaufenthalte waren, und strampeln verzweifelt, um ihren Status und ihr Gesicht zu wahren. Kristine Bilkau, die selbst als Journalistin arbeitet und mit ihrer Familie in Hamburg lebt, weiß genau, wovon sie schreibt. Ihre Schilderungen sind präzise und beschönigen nichts, sie verzichtet auf wohltuende Weise auf billige Satireeffekte und stellt gerade dadurch das ganze Ausmaß dieser kleinen Katastrophe dar. Doch obwohl dieser Roman ernst ist, ist er nicht trocken oder eintönig oder gar langweilig. Ganz im Gegenteil, die 1974 geborene Autorin schafft es auf bewunderswert unaufdringliche Weise, die Spannung ihres Buches permanent zu halten, sie baut geschickt kleinere Nebengeschichten ein, etwa die Entdeckung eines verborgenen Wandtresors oder Georgs Reportage über ein Paar, das sich nahezu autark zu versorgen sucht, wobei auch hier Risse offenbar werden.

Bilkau ist absolut auf der Höhe der Zeit, spart ganz bewusst die große Politik und viele ebenfalls wichtige Themen (wie Rechtsextremismus, Einwanderungsdebatte et cetera) aus, um sich nicht zu verzetteln und auch, um den Blick ihrer Protagonisten zu adaptieren, deren Fixierung auf ihr eigenes Leben und was daraus zu werden droht, einerseits nachvollziehbar, andererseits auch sehr egoistisch und kläglich ist. In der Nachfolge von Büchern wie „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ von Terézia Mora hier und „Johann Holtrop“ von Rainald Goetz da, ist „Die Glücklichen“ momentan eines der interessantesten Bücher dazu, wie Gesellschaft und wirtschaftliche Entwicklung auf den Einzelnen einwirken. Und mit Anke Stellings „Bodentiefe Fenster“ und Judith Hermanns „Aller Liebe Anfang“ auch eines der stärksten Bücher deutscher Autorinnen zum Themenfeld ‚Frauen und Familie‘.

Titelbild

Kristine Bilkau: Die Glücklichen. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2015.
300 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783630874531

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch