Der Unvollendete

Polygamist, Kunstmodernisierer und Kriegsfanatiker: Brigitte Roßbeck schildert stilistisch farbenfroh das Leben des Malers Franz Marc

Von Anett KollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anett Kollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rote Rehe, gelbe Rinder und immer wieder Katzen und Pferde in nie gesehenen Farben haben Franz Marc seinerzeit bekannt gemacht und tragen bis heute zu seiner Popularität bei. Er selbst fand, dass er unbedingt darüber hinauskommen müsse, diese Tierbilder zu schaffen. Ab 1913 versuchte er sich an Abstrakterem: Seine „Kleinen Kompositionen I bis IV“ und die Gemälde „Heitere Formen“, „Spielende Formen“, „Kämpfende Formen“ oder „Zerbrochene Formen“ sind erste Zeugnisse der neuen Formensprache. Sie sind auch die letzten in seinem Gesamtwerk. Franz Marc starb am 4. März 1916 durch einen Granatsplitter. Wie sein Freund August Macke, aber anders als sein Freund Paul Klee, war er freiwillig und aus Überzeugung in den Krieg gezogen. „Um Reinigung wird der Krieg geführt und das kranke Blut vergossen“, hatte Marc 1914 in einem Essay unter dem Titel „Das geheime Europa“ erklärt. Er fasste in Worte, was ein nicht unerheblicher Teil seiner Künstlergeneration empfand, der weniger aus Patriotismus als aus Überdruss, geistiger Beklemmung und Weltekel den „Pinsel mit der Kanone vertauschte“ und im Sterben der Menschheit ihren Neubeginn erhoffte. „Ich möchte gern, daß sich die Menschen gegenseitig die Schädel einschlagen so daß dann eine große Kultur des Gott Geistes entstehen kann“, so sein Malerkollege Wilhelm Morgner. Er wird wie Macke und Marc den Krieg nicht überleben.

Woher diese Kriegsbegeisterung um der Kunst und der Erneuerung Willen rührte und wie sie angesichts des realen Grauens in Zweifel und Resignation umschlägt, beschreibt Brigitte Roßbeck im letzten Teil ihrer Biografie. Franz Marc, der bis zur Begegnung mit den Werken von Wassiliy Kandinsky, Gabriele Münter, Adolf Erbslöh und Alexander Kanoldt in der Münchner Neuen Künstlervereinigung 1909 für sich allein mit seiner Formensprache gerungen hatte, findet sich so an seinem vorzeitigen Lebensende als Teil einer künstlerischen Gesinnungsgemeinschaft wieder. Den Weg dahin zeichnet Roßbeck auf der Basis neuer, erst seit wenigen Jahren zugänglicher Quellen und dem 2011 abgeschlossenen dreibändigen Werkverzeichnis nach. Als Glücksfund schildert sie die von ihr ersteigerten handschriftlichen Erinnerungen Maria Marcs, wodurch einige Daten der Malerkarriere präzisiert werden konnten. Auch Neuigkeiten aus dem Liebesleben der nachmaligen Eheleute macht Roßbeck anhand der Aufzeichnungen öffentlich. So berichtet sie von der krisenreichen Ménage à quatre, die Marc mit seiner Geliebten Annette Simon, seiner späteren ersten Frau Marie Schnür und seiner späteren zweiten Frau Maria Franck unterhielt. Ohne eine biografische Deutung des Werks zu strapazieren, aber dennoch als Ausdruck einer „Therapie“ durch Kunst findet Roßbeck die Dynamik dieses Beziehungsquadrats in den Bildentwürfen Marcs wieder. Beginnend mit „Drei Frauenakte nachts auf Bergeshöh“ über „Drei Frauen im Boot“, „Zwei Frauen und ein Schiffer“ sowie „Zwei Frauen und ein Hund“ bis hin zu „zwei Frauen mit einem toten Falken, der auf dem vorderen Rand des Bootes lag“ reflektieren die verschiedenen Fassungen Marcs Wahrnehmung der drei Frauen und seiner selbst im amourösen Spannungsfeld. Aufgrund ihres Fundes erfährt Marcs Liebesleben in Roßbecks Monografie eine besondere Akzentuierung, unvermeidlich nicht immer ganz frei von Voyeurismus.

Ein anderer Akzent liegt auf dem Engagement Marcs im zeitgenössischen Kunstbetrieb. Neben der Arbeit an eigenen Werken trat Marc vermittelnd, kuratierend und organisierend mit Mäzenen, Kunstfreunden und anderen Künstlern in Kontakt. Nachdem er durch einen kalkulierten Krach gemeinsam mit Kandinsky die Neue Künstlervereinigung München verlassen hatte, planten die beiden unter dem Titel des Blauen Reiters die Herausgabe eines Almanachs und die Veranstaltung einer Wanderausstellung durch die größeren Städte des Deutschen Reiches, die mit ihren radikalen Exponaten den Impuls der Moderne verbreiten sollten. Über den kleinen Kreis der Münchner hinausgehend suchte Marc den Austausch mit andernorts existierenden Künstlergruppen wie der Berliner Sezession und der 1905 in Dresden gegründeten „Brücke“. Sein Kompagnon Kandinsky tat sich damit ungleich schwerer. „Betreff Kirchner, Heckel und Pechstein (vor allem Heckel) sind wir am Ende wirklich uneins“, erklärt sich Marc gegenüber Kandinsky, „aber ist das ein Unglück? Ich empfinde es als Reiz, keinesfalls als Sackgasse“.

Ab 1911 vertrat Marc seine Positionen öffentlich mit Artikeln in Kunstzeitschriften wie den in Berlin herausgegebenen Blättern „Pan“ und „Der Sturm“. Seine Texte sind zuweilen essayistisch, flexible Gedankenskizzen, die das Umbruchhafte der zeitgenössischen Kunst und seine eigene Krise als Künstler dokumentieren. Seine letzten Essays „Das geheime Europa“ und „Im Fegefeuer des Krieges“, 1914 beziehungsweise 1915 entstanden, gebärden sich als martialische Karthasisfantasien. Zum Tod seines Freundes August Macke im September 1914 schreibt er: „Das Blut, das die erregte Natur den Völkern in großen Kriegen abfordert, bringen diese in tragischer, reueloser Begeisterung.“ Aber die Jahre im Feld, Krankheit und Verwundung bringen Ernüchterung und Schicksalsergebenheit. Roßbeck resümiert angesichts der Fülle des von ihr gesichteten, auch handschriftlichen Materials, dass allein das Ans-Licht-Bringen eindeutiger Belege für die Wandlung des Kriegsteilnehmers Franz Marc vom Befürworter zum Ankläger der Mühe wert gewesen sei. Ihre umfassende Lebensbeschreibung Franz Marcs ist ein stimmungsvolles Porträt, keine Werkbiografie, keine Analyse des Künstlers und auch keine präzise Charakterstudie, sondern die Nachzeichnung eines Lebensweges: faktenreich, munter und stilistisch effektvoll erzählt – farbenfroh wie seine Malerei.

Titelbild

Brigitte Roßbeck: Franz Marc. Die Träume und das Leben - Biographie.
Siedler Verlag, München 2015.
336 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783886809820

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