Beobachtungen und Zustandsbeschreibungen des Alltags

„Über das Wetter reden“: Ein weiterer (der letzte?) Kolumnenband von Peter Bichsel

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schweizer Schriftsteller Peter Bichsel ist ein Phänomen, denn seit 46 Jahren schreibt er Kolumnen und hat sich mit dieser literarischen Gattung viele treue Anhänger und Bewunderer im deutschsprachigen Raum geschaffen. Monat für Monat erschienen die Kolumnen in der „Schweizer Illustrierten“ und in den letzten Jahren mehrfach in Buchform im Suhrkamp Verlag. Nun hat der Verlag den 80. Geburtstag des Autors zum Anlass genommen, mit „Über das Wetter reden“ einen weiteren Kolumnen-Band herauszubringen, der Bichsels Wortmeldungen der Jahre 2012 bis Januar 2015 versammelt.

Kolumnen schreiben ist für Peter Bichsel offenbar die Möglichkeit, sich selbst die Welt zu erklären. Auf abenteuerliche Streifzüge begibt er sich dabei jedes Mal, allerdings nicht in exotische Gefilde, sondern in die Niederungen unseres Alltags. Während andere Verfasser dieser kleinen Literaturform meist auf der Suche nach Abseitigkeiten und Merkwürdigkeiten sind, geht es ihm vor allem um Beobachtungen und Zustandsbeschreibungen des Lebens und der Menschen: also kein an den Haaren herbeigezogenes Verbal-Comedy, sondern bescheidene und dennoch geistreiche Mini-Essays. Nachdenklich, kritisch und mitunter auch humorvoll werden Situationen beschrieben, in denen sich der Leser wiederfinden kann.

Ob über einen „alten, stillen und freundlichen Mann in einer kleinen Werkstatt“, ein „Risotto zum Ersten Mai“ oder die „Einsamkeit des Mathematikers“ – Peter Bichsel erzählt klug und leichthändig von den wichtigen und unwichtigen Dingen unserer Welt. Manchmal sind es nur Beiläufigkeiten wie seine langen Bahnfahrten nach Biel oder einfach sein nun endlich funktionierendes Smartphone, mit dem er bisher so viel Zeit verloren hat. In seiner Titel-Kolumne „Über das Wetter reden“, die er an einem heißen Tag geschrieben hat, erinnert sich Bichsel an eine Lesung in München, die ihre Fortsetzung in einem Biergarten fand. Außerdem hat der Autor über Themen wie Fußball, Kinderarbeit, einen maurischen Brieföffner oder einen japanisches Taschenmesser nachgedacht.

Der schmale Sammelband präsentiert Peter Bichsel in all seinen Facetten. Als Kolumnist ist er stets ein Zweifler und schaut mit neugierigen Kinderaugen hinter die Dinge. So sind im Laufe von 30 Jahren Geschichten, Momentaufnahmen und Erinnerungen entstanden, in denen die Welt eines Poeten sichtbar wird. Überhaupt hat der 1935 in Luzern geborene Schriftsteller wenig längere Texte oder gar Romane geschrieben, seine Form war die Kurzprosa, die ihm dennoch genügend Freiräume bot und die er zur Literatur gemacht hat –und zwar mit Hartnäckigkeit und Kunstfertigkeit. Die Kolumnen waren und sind sein „Tagesgeschäft“, das dank Suhrkamp längst zu unserem dankbaren Lesevergnügen geworden ist. Wie lange noch? In seiner letzten Kolumne spricht Bichsel von Abschied: „Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie mir zugehört haben …“ – Schade, mir würde etwas fehlen.

Titelbild

Peter Bichsel: Über das Wetter reden. Kolumnen 2012–2015.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
154 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518424704

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