Märchenhaftes zum 70. Geburtstag Ulla Hahns – mit Hinweisen auf Beiträge über sie aus dem Archiv von literaturkritik.de

In einem Interview anlässlich der Feier ihres 65. Geburtstags am 30. April 2011 sagte Ulla Hahn: „Meine Biografie hat für mich beinah märchenhafte Züge“. Märchenhaft war daran bereits das Geburtsjahr 1946. Ein Blick in die Chronik der Änderungen bei Wikipedia verweist darauf, dass es bis November vorigen Jahres öffentlich als das richtige galt. In vielen seriösen Informationsquellen steht es heute noch so. Doch inzwischen ist Ulla Hahn – wie die Protagonistin ihrer autobiographischen Romane Hildegard Palm, auch Hilla genannt – offiziell 1945 geboren worden. Nehmen wir an, dass dies stimmt, und gratulieren wir ihr also herzlich zum 70. und nicht zum 69. Geburtstag!

Einen Hinweis auf mögliche Anregungen für die Änderung des Geburtsjahres liefern übrigens der Nachname Palm und ihr Vorname. Wie Kenner wissen, sind diese den Namen der von Ulla Hahn verehrten Lyrikerin Hilde Domin angeglichen, die nach ihrer Heirat Hilde Palm hieß. Sie hatte bis 1999 als ihr Geburtsjahr 1912 angegeben, war aber drei Jahre älter.

Dass Ulla Hahn an dem Tag geboren wurde, an dem Hitler sich erschoss, hat sie in ihren autobiographischen Romanen bislang allenfalls indirekt zur literarischen Symbolik ausgestaltet. Aber die Befreiung des Nachkriegskindes aus den über 1945 hinaus wirksamen Kräften der nationalsozialistischen Vergangenheit ist bis zu ihrem jüngsten Roman „Spiel der Zeit“, der über die Jahre der Studentenbewegung 1967/68 erzählt, ein zentrales Motiv ihrer Erinnerungen geblieben. Ein Hochschullehrer an der Universität Köln, an der Hilla Palm Germanistik studiert, ist der Literaturwissenschaftler Gerhard Fricke, der 1933 Mitglied der NSDAP wurde und als Redner an der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 teilnahm. Wie der Roman über ihn erzählt, in einem der eindrucksvollsten und im besten Sinn irritierenden Kapitel, entspricht dem Verfahren, das die Erzählerin gleich zu Beginn selbst so beschreibt: Man wird, erklärt sie, hoffentlich „den Unterschied zwischen Erfindung und Erfahrung so wenig bemerken wie in den vorangegangenen Hilla-Palm-Büchern. Denn für mich, Hillas Alter Ego, war gerade das der Anreiz fürs Schreiben: Erfahrungen und Erfindungen so miteinander zu verschmelzen, dass jenseits von Erfahrung und Erfindung ein Drittes entsteht: die Erzählung, der Text. Ein Text allerdings, der so beschaffen sein sollte, dass jede Erfindung Erfahrung sein könnte“.

Lassen wir also offen, ob Ulla Hahns 70. Geburtstag heute eine Erfindung ist – in einem Spiel, das die Autorin auch als Lyrikerin in vielfältiger Weise betrieben hat. Davon handelt ein weiterer Beitrag über sie in literaturkritik.de, den wir zusammen mit jenem Artikel Marcel Reich-Ranickis veröffentlichen, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Ulla Hahn zu einer der erfolgreichsten Lyrikerinnen der letzten Jahrzehnte wurde.

Thomas Anz

Beiträge zu Ulla Hahn aus dem Archiv von literaturkritik.de

Hilla in der großen bösen Welt.
Ulla Hahns dritter autobiografischer Roman „Spiel der Zeit“
Von Peter Mohr
Ausgabe 11-2014

Hoffnung ohne Verfallsdatum.
Ulla Hahns „Gesammelte Gedichte“ zeigen sie als souveräne Interpretin der menschlichen Höhen und Tiefen
Von Manfred Orlick
Ausgabe 12-2013

Komm zwirn dich rein.
Ulla Hahn führt in „Wiederworte“ ein lyrisches Selbstgespräch
Von Thorsten Schulte
Ausgabe 12-2011

„Aufbrüche, Ausbrüche, Einbrüche“.
Ulla Hahns Anschluss-Roman „Aufbruch“
Von Juliane Schöneich
Ausgabe 01-2010

Antike aus Polyester.
Ulla Hahns „Liebesarten“ – ein Etikettenschwindel
Von Dorothea Gilde
Ausgabe 09-2006

Mehr als „Sand in den Schuhen Kommender“.
Ulla Hahns Auswahl deutscher Gedichte „Stimmen im Kanon“
Von Anna Eckert
Ausgabe 11-2004

Unscharfe Bilder.
Ulla Hahns Auseinandersetzung mit der deutschen Wehrmachtsvergangenheit
Von Michael Grisko
Ausgabe 11-2003

Wörter als Schutzschild.
Ulla Hahns vorzüglicher Roman „Das verborgene Wort“
Von Peter Mohr
Ausgabe 10-2001

Der Lyrik eine Gasse.
Ulla Hahn hat eine ungewöhnliche Anthologie herausgegeben
Von Stefan Neuhaus
Ausgabe 06-2000

Weibliche Erotik – männliche Kritik.
Schwierigkeiten von Männern beim Beurteilen erotischer Texte von Frauen
Von Wilhelm Solms
Ausgabe 08-1999