Das (ganze) Leben ist kein Quiz

Hape Kerkeling verarbeitet (und verkauft) in seiner Autobiografie „Der Junge muss an die frische Luft“ sein Kindheitstrauma

Von Yvette RodeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yvette Rode

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Das ganze Leben ist ein Quiz / und wir sind nur die Kandidaten. / Das ganze Leben ist ein Quiz / ja, und wir raten, raten, raten.“ Dass das Leben mehr als ein Quiz ist, hat Hape Kerkeling, der 1964 als Hans-Peter Wilhelm Kerkeling in Recklinghausen geboren wurde, vermutlich bereits als Kind realisiert. Der erfolgreiche Entertainer, Moderator, Sänger und Schauspieler, der in den letzten zwanzig Jahren seiner Karriere unter anderem mit der Goldenen Kamera, dem Deutschen Fernsehpreis, dem Deutschen Comedypreis und dem Bambi ausgezeichnet wurde, stand nämlich nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens. Von Licht und Schatten berichtet er in seinem Buch Der Junge muss an die frische Luft. Meine Kindheit und ich, welches eigentlich „die unterhaltsame Autobiografie eines schillernden deutschen Showstars“ werden sollte. Stattdessen wurde daraus die „Geschichte einer verlorenen Kindheit“.

Beim Lesen beschleicht einen zunehmend das Gefühl, Kerkeling habe das Buch vor allem deshalb geschrieben, um sein Kindheitstrauma zu verarbeiten: den Suizid seiner Mutter. Mit psychologischer Präzision schildert er, wie sie innerhalb weniger Monate durch eine misslungene Operation nicht nur ihren Geschmacks- und Geruchssinn verlor, sondern auch ihre Lebensfreude. So erfahren die Leser*innen, dass sie „keine Frau der großen Worte, sondern der notwendigen Taten“ war, die sich „ohne Widerwillen um alles, was getan werden muss“, gekümmert hat. Als zudem ihre Mutter (Kerkelings Großmutter) Änni an Krebs erkrankt, bemerkt der Sohn erstmals, dass Margret Kerkeling immer „schweigsamer [wird] und nervlich und körperlich zusehends“ verfällt. Ihr „Nervensystem ist bald derart löchrig, das jeder noch so nichtige Anlass sie in einen Ausnahmezustand der Gefühle katapultieren kann“. Ungeschönt beschreibt Kerkeling, wie sie ihm und seinem Bruder gegenüber handgreiflich wird. Einmal droht eine Situation so zu eskalieren, dass er „um [s]ein Leben rennt“ und zu seinen Großeltern flüchtet. Der tragische Höhepunkt der Autobiografie ist ohne Zweifel die Passage, in der der Junge seine leblose Mutter in ihrem Bett findet, nachdem sie sich mit Schlaftabletten das Leben genommen hat. Wie in Trance versucht er vergeblich sie wieder aufzuwecken – und bleibt, wie in „seelischer Ohnmacht“, die ganze Nacht neben der Toten liegen.

Obwohl der Grundton der Autobiografie ein melancholischer ist, gibt es durchaus auch einige humorvolle Passagen, etwa wenn Hape sich selbstironisch als „kleine[n] dicke[n] Buddha“ bezeichnet oder davon erzählt, wie er sich an Karneval als Prinzessin verkleidet hat. Zudem spielt er mit den Ruhrgebietsklischees; so sei es ihm zufolge ein „echter Vorteil, ein Kind des industriell aufblühenden und dunstgrauen Ruhrpotts der 1960er Jahre zu sein. Denn egal, wo wir hinreisen, es ist überall schöner und bunter als daheim“.

Es zeugt von großem Mut, dass Kerkeling in seiner Autobiographie offen von seinem Trauma berichtet und zeigt, dass er nicht nur der fröhliche Komiker ist, wie ihn die meisten aus dem Fernsehen kennen, sondern auch eine zutiefst verletzliche Seite hat. Die einen Leser*innen der Autobiographie mögen verkaufsfördernde Selbstinszenierungsrhetorik und eine kalkulierte Kommerzialisierung des Privaten wittern, für die anderen ist Der Junge muss an die frische Luft. Meine Kindheit und ich eine erbauliche Erzählung davon, dass auch schlimme Zeiten irgendwann vorüber gehen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Hape Kerkeling: Der Junge muss an die frische Luft. Meine Kindheit und ich.
Piper Verlag, München 2014.
314 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783492057004

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