Zu dieser Ausgabe

Nachdem wir in der letzten Ausgabe an den Völkermord an den Armeniern erinnerten, ist nun also der 8. Mai 1945 dran. Zeitschriften, die so etwas pünktlich tun, kommen nach den ungeschriebenen Gesetzen des deutschen Qualitätsjournalismus allerdings meist zu spät. Und tatsächlich wird hierzulande bereits schon wieder seit Wochen an das 70-jährige ‚Jubiläum‘ des Endes des Zweiten Weltkriegs erinnert. Doch halt: Kann man den „Tag der Befreiung“ (Richard von Weizsäcker) eigentlich so einordnen? Ein ‚Jubiläum‘ meint nach der Bedeutung des lateinischen Ausdrucks „annus jubilaeus“ immerhin ein „Jubeljahr“. Kurz: Gibt es am 8. Mai für die hiesigen Medien, so wie sie heute an das Datum erinnern, irgendetwas zu ‚feiern‘?

Die Perspektiven auf das Ende des Zweiten Weltkriegs könnten unterschiedlicher kaum sein: Während „Spiegel Online“ neuerdings seltsam unterkomplexe Bild-Text-Video-Präsentationen mit zerkirschten Zeitzeugen-Interviews über den Bombenkrieg und die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten Europas bringt, die selbst begeisterte Rezipienten des klassischen Guido-Knopp-Histotainements hoffnungslos unterfordern dürften, kündigt die „Jungle World“ einen „Festakt“ an: „Deutschland kaputt, Hurra!“ Wieder andere wie der Komiker Jan Böhmermann ergreifen die willkommene Gelegenheit, um Adolf Hitler als altbekannte Witzfigur wiederauferstehen zu lassen – und sei es, um einen drittklassigen Schlagersänger wie Matthias Reim zu veralbern.

Wir müssen zugeben: Auch in unserer Mai-Ausgabe geht es wieder um Hitler. Allerdings kontextualisieren wir den kenntnisreichen Essay über die letzten Tage des Diktators im ‚Führerbunker‘ unter anderem mit einem weiteren über die deutsche Erinnerungspolitik und den Antisemitismus seit 1945. Hinzu kommen Rezensionen über verschiedenste literarische und historiografische Publikationen zum Thema des Schwerpunkts „Kriegsende vor 70 Jahren“.

Das ist aber noch lange nicht alles: Nach den Beiträgen zum Tod von Günter Grass setzen wir nun noch einen drauf und bringen eine Reihe von Essays zum Verhältnis des Autors zu Polen. Dieses Thema verdankt sich den guten und langjährigen Beziehungen unseres Kollegen Jürgen Joachimsthaler zur polnischen Germanistik. Dass unsere Zeitschrift anlässlich des aktuellen Gedenkens von dort aus Unterstützung erhält, verdient ein besonderes Dankeschön: Derartige internationale Kooperationen sind es, die nicht nur unserer Zeitschrift ein vielfältiges Profil bescheren, sondern die auch dabei helfen können, zu verhindern, dass jemals wiederkehren kann, was 1945 besiegt wurde. 

Herzlich

Ihr

Jan Süselbeck