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Peter Bekes porträtiert Peter Rühmkorf

Von Markus Oliver SpitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Oliver Spitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei aller Koketterie mit der Eitelkeit: Peter Rühmkorf konnte Kunst. Und zwar Oden und Balladen, Formgedichte und Sonette, Märchen, Theater und Tagebuch. Situiert zwischen den Freunden Barthold Heinrich Brockes und Gottfried Benn, Heinrich Heine, Friedrich Gottlieb Klopstock und Joachim Ringelnatz schöpfte er meisterlich aus dem Fundus der Dichtung, griff bis auf Walther von der Vogelweide zurück, vermischte plastische Wendungen aus dem sprachlichen Vermögen des Volkes mit Pathos und von Reim getragener Ironie, genus grande mit Slang – all dies aus dem Impuls heraus, Lyrik (mitunter mit Musik) zu Markte zu tragen. Wer den Dichter live und/oder auf Tonträgern erlebt hat, der weiß um die Musikalität, welche seiner Verskunst zur Seite trat. Das hatte dann einen – Neudeutsch gesagt – Performance-Charakter, wie ihn im Bereich der Dichterlesung sonst vielleicht nur noch Ernst Jandl aufwies.

Dabei passten in des Dichters Kopf und Produktion in der Tat viele Widersprüche. Die wiederholt verwendete Hochseil- und Artistenmetaphorik steht paradigmatisch für den stetigen Balanceakt zwischen Endzeitstimmung und Lebensgier, Hypochondrie und Vitalität. Das Streben nach Anerkennung der literarischen Verdienste geht Hand in Hand mit der souveränen Verachtung des Verkaufserfolgs, der Landplage der Popularität (dass TABU im Zuge der Wiedervereinigung derart erfolgreich war, muss dem Wahlhamburger als späte Würdigung wider Erwarten erschienen sein).

Auf den ersten Blick scheint Bekes jene vor Brüchen nicht gefeite Dichterexistenz mit akademisch-routiniertem Gestus abzuschreiten und -zuhaken. Doch halt! Nicht gleich ebenso großkalibrig wie weitmaschig feuern! Nehmen wir doch lieber das Skalpell, schneiden feiner und tiefer und erkennen sodann, dass Bekes gleichermaßen versucht, das enge Korsett einer Einführung mittels seiner Gedichtinterpretationen auszuweiten. Dabei wird ein erstes dichterisches Prinzip Rühmkorfs deutlich: parodieren ja, nachäffen oder verhöhnen nein. Die Variation auf Matthias Claudius’ Abendlied beispielsweise zeigt vielmehr, wie sich der Blickwinkel auf Natur aufgrund der allgemeinen Verwissenschaftlichung – konkret: Sputnik 1 – verändert hat.

Wie es möglich werden kann, eine eigentlich zweitrangige literarische Ausdrucksform auf diese Weise zu aktualisieren und zu adeln, konnte sukzessive erfahren, wer in die Strömungslehre eintauchte. Wie Lyrik lautet und welche Wirkung speziell der Reim entfaltet, stand in agar agar – zaurzaurim. Auf derartige poetologische Zusammenhänge geht Bekes zu Recht detaillierter ein, während er den hinlänglich bekannten politischen Zeitkontext – ebenso zu Recht – lediglich streift und Rühmkorfs Standpunkt verdeutlicht, dass sich die Dogmatik fester Positionen bei genauerem Hinsehen als Fata Morgana erweise und man den Sozialismus zwar nie völlig verloren geben solle, seiner realen Ausprägung mitsamt seines verschütt gegangenen Sinns fürs Reale allerdings mit einer gesunden Dosis Geschichtspessimismus noch am besten begegne.

Als ein weiteres Prinzip ließe sich benennen: Lehren ziehen aus dem Leben ja, aber keine Belehrung der Mitbürger durch erhobenen Zeigefinger, sondern in Form individuell gewonnener und in Gedichtform geronnener Erfahrung. Wo sonst ließe sich der Dichter von einem Fliederbusch darüber belehren, dass man die Zweige nicht einfach hängen lassen soll? Wenn also Naturlyrik, dann ging es Rühmkorf dabei nicht um die Trias von Baum, Stamm und Rinde. Es erfolgte keine Bewisperung der Nüsse, kein Rückzug ins Innere, welchen er im Lied der Naturlyriker bissig aufs Korn nahm, sondern der Aufruf dazu, im durchaus romantischen Sinn erschütterbar zu bleiben und – jetzt kommtʼs! – sodann noch zu widerstehen, und zwar konkret den machtpolitischen Parolen ebenso wie dem Jargon der Bewusstseins-Industrie. Das ist gegenwärtig zwar schwieriger denn je, aber dennoch zu leisten, insbesondere dann, wenn man sich Rat, Trost und Hilfe bei Gleichgesinnten, gar Dichtern, sucht.

Insofern haben wir es bei Rühmkorf mit einem Schriftsteller zu tun, dessen ursprünglicher Idealismus von politischen Sachzwängen und Enttäuschungen zwar abgefeilt wurde, der in Konsequenz dessen die Wirkungsmacht des Dichterwortes kritisch einschätzte, der aber keineswegs in Defätismus und Selbstmitleid versank, sondern nahelegte, dass Glück nichts anderes bedeute, als gegenüber dem Leben die Fassung zu bewahren, wo doch alles, was man im Innersten als Befürchtung hegt, leider zumeist auch wahr wird. Bekes vermittelt diesen Befund anschaulich.

Titelbild

Peter Bekes: Peter Rühmkorf.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2015.
162 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783865253866

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