Ausufernd im Detail, ausgewogen in der Sache

Erik Larson schreibt untendenziös über den Untergang der Lusitania

Von Roman HalfmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Halfmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Mai 1915 torpedierte ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff, welches innerhalb von 20 Minuten sank, etwa 1200 Menschen starben. All dies ist weitläufig bekannt, umstritten aber ist die Frage, ob die englische Regierung die Tragödie bewusst in Kauf nahm, um Amerika zum Kriegseintritt zu zwingen. Erik Larson, der sehr detailliert und in Rückgriff auf unzählige Dokumente die Geschichte dieser verhängnisvollen Reise vom Auslaufen am 1. Mai in New York bis zum Zusammentreffen mit U-20 am 7. Mai vor der irischen Küste erzählt, kann der hitzig geführten Diskussion um die wahren Motive einiger rätselhafter Entscheidungen zwar nichts Wesentliches hinzufügen, doch gelingt ihm wohl gerade deshalb ein ausgewogenes, hin und wieder gar zu akkurat gestaltetes Werk.

Denn Larson wirkt der Legendenbildung, die stellenweise natürlich auch verschwörungstheoretische Volten genommen hat, mit Fakten entgegen. Das Bedeutet, dass er ein Füllhorn an Informationen ausschüttet: Von der Frachtliste bis hin zu Tagebucheinträgen einzelner Passagiere, alles findet Erwähnung. Es ehrt ihn, dass die Lektüre hierbei nur selten langweilig wird oder zur Fleißarbeit verkommt, stattdessen nutzt er, ganz in der Tradition US-amerikanischer Historiographie, die literarischen Mittel eines Romanciers und konzentriert sich in der Darstellung auf einige wenige Zeitzeugen, die er mithilfe sorgsam recherchierter Zitate lebensnah zu beschreiben versucht. Dies gelingt dem Autor zu weiten Teilen, ohne hierbei ins Sentimentale oder Ahnungsvoll-Dräuende zu entgleiten: Nüchternheit und neutrale Distanz bestimmen zumeist die Perspektive.

Dies gilt auch für den wesentlichen Fragekomplex, der die Tragödie seither begleitet. Obgleich Amerika erst später in den Krieg eintrat, ist wohl unzweifelhaft, dass der hier erfolgte Angriff von deutscher Seite auf US-amerikanische Bürger an Bord der Lusitania den ersten Anstoß einer Neuausrichtung der amerikanischen Politik lieferte. Großbritannien wiederum befand sich 1915 in einer prekären Lage, auch aufgrund des von Deutschland unerbittlich geführten U-Boot-Krieges, und es gibt Anzeichen dafür, dass man einen Kriegseintritt Amerikas nicht nur ersehnte, sondern auch hintertrieb. Der Untergang der Lusitania wiederum offenbart, wie im Grunde jede Tragödie dieses Ausmaßes, einige im Nachhinein fragwürdige Entscheidungen – beispielsweise wurden die in jener Phase jedes Schiff eskortierenden Begleitschiffe in diesem Fall aus kaum mehr zu ermittelnden Gründen von der Lusitania abgezogen und dergleichen mehr –, die Larson auflistet und anhand der Quellenlage zu deuten versucht, doch ist die Materiallage zu diesem Komplex notgedrungen spärlich, nämlich verschollen oder eben ‚verschollen‘. Larson widersteht tapfer der spekulativen Etablierung einer eigenen Lesart, die er sich infolge der intensiven Recherchen sicherlich gebildet hat, und geht den weitaus diffizileren Weg einer ausgewogenen, alle Seiten umgreifenden Darstellung.

Titelbild

Erik Larson: Der Untergang der Lusitania. Die größte Schiffstragödie des Ersten Weltkriegs.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Regina Schneider und Katrin Harlaß.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
462 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783455503050

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