Gendertheoretische Überlegungen zum Theater der Aufklärung

Beate Hochholdinger-Reiterer untersucht die „Kostümierung der Geschlechter“

Von Linda MaedingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Linda Maeding

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das 18. Jahrhundert ist eine Zeit tiefgreifenden Strukturwandels für das Theater – auf funktionaler, ästhetischer und gesellschaftspolitischer Ebene. Feststehende Schaubühnen lösen die Wandertruppen ab und werden zu einer zentralen Institution des Bürgertums, die Theaterkunst erfährt eine zunehmende Literarisierung; frühere nicht an Dramentextvorlagen gebundene Theaterformen werden marginalisiert.

An Untersuchungen zur Bühne in der Aufklärung mangelt es grundsätzlich nicht. Hochholdinger-Reiterer aber gelingt es mittels geschlechtstheoretischer Perspektivierungen dennoch, mit ihrer Habilitationsschrift ein Forschungsdesiderat zu schließen: Ihre umfangreiche Studie widmet sie der „Kostümierung der Geschlechter“ in Verbindung mit der „Erfindung der Schauspielkunst“ als schriftlich fixierte und reglementierte Kunst.

Die Autorin greift Thomas Laqueurs durchaus nicht unumstrittene These auf, vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Erschütterungen habe das Zwei-Geschlechter-Modell das zuvor dominante Ein-Geschlecht-Modell im Laufe des 18. Jahrhunderts verdrängt: Während die Frau bis dato als Variante des Mannes angesehen wurde und ‚Geschlecht‘ als breite Skala mit zahlreichen Abtönungen gedacht wurde, setzte sich nun in Form einer strengen Hierarchie die Vorstellung der Gegensätzlichkeit der Geschlechter durch.

Geschlecht ist auf der Bühne jedoch immer Behauptung – Hochholdinger-Reiterer führt hier unter anderem die legendären Frauenrollen an (von Klytaimnestra und Elektra bis zu Lady Macbeth), die für die Darstellung durch männliche Schauspieler erdacht wurden. Das Theater beteilige sich an der „Erzeugung symbolischer Geschlechtlichkeit“. Aus dieser Beobachtung ergibt sich das Erkenntnisinteresse, die „Neuordnung der Geschlechter“ im 18. Jahrhundert zu verbinden mit den zeitgleich stattfindenden Reformprozessen der Bühne, die im Wesentlichen darauf abzielten „Sinnlichkeit durch Sittlichkeit zu substituieren.“ Dies führt auch zur Kennzeichnung des ‚einen‘ Theaters, reglementiert nach den bürgerlichen Prinzipien von Verstand und Anstand, das sich durchsetze gegen das ‚andere‘ Theater, körperbetont und illiterarisch. Mit seinem Fokus auf stabile Identitäten solle das ‚eine‘ Theater der „Legitimation des Zwei-Geschlechter-Modells“ dienen, während das ‚andere‘ Theater die „‚vormoderne‘ Pluralität der Geschlechter“ verkörpere.

Diese Entwicklung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass geschlechtliche „Codierungen“ oder „Einlagerungen“ während der Aufklärung noch ambivalent waren. Doch gerade vor diesem Hintergrund interessiert sich die Autorin für Bestrebungen der Geschlechternaturalisierung, wie sie etwa in theoretischen und historiographischen Schriften nachzuvollziehen sind.

Nicht zuletzt um der Positionierung von Geschlecht zwischen Behauptung und Naturalisierung gerecht zu werden, wählt die Theaterwissenschaftlerin den Leitbegriff der Kostümierung: Er umfasse „sowohl die bewusste Erzeugbarkeit verschiedener Geschlechter im theatralen Kontext als auch die Strategien der Verschleierung“, weshalb sie ihn auch dem in feministischen Studien vielzitierten Begriff der Maskerade vorzieht. Verbunden wird die Kostümierung mit Bourdieus Habitus-Begriff, der „zu Natur gewordener Geschichte“, der dank seines Körper-Bezugs auch geeignet sei, Geschlechterdifferenzen und –darstellungen zu reflektieren.

In diesem Szenario erscheint die Schauspielkunst als „Zukunftsbegriff“ (Koselleck), der noch keine eigene Realität zukommt, die aber im 18. Jahrhundert eine enorme Intellektualisierung und Theoretisierung erfährt. In welchem Maße mit diesen Vorgängen auch spezifische geschlechtliche Umcodierungen verbunden sind, untersucht Hochholdinger-Reiterer an einem äußerst umfangreichen Korpus, der unter anderem schauspieltheoretische Schriften, Dokumente der ersten Theaterakademien, Theaterhistoriographie und Theatergesetzgebung umfasst. Die Autorin sichtet, ordnet und deutet diesen heterogenen Fundus auf bewundernswerte Weise und liefert eine Studie ab, die nicht nur für die Theaterwissenschaft von Interesse ist.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Beate Hochholdinger-Reiterer: Kostümierung der Geschlechter. Schauspielkunst als Erfindung der Aufklärung.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014.
471 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783835315679

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