Köln und seine fast vergessene Kolonialvergangenheit

Ein Sammelband begibt sich auf „Spurensuche“

Von Tobias RidderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Ridder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die deutsche Kolonialvergangenheit ist bis dato in der Öffentlichkeit kaum präsent. Tatsächlich war die Stadt Köln in der Kolonialbewegung sehr aktiv; noch heute steht dieses Thema im Mittelpunkt diverser Ausstellungen im Kölnischen Stadtmuseum. Marianne Bechhaus-Gerst und Anne-Kathrin Horstmann, beide an der Universität zu Köln tätig und bereits durch einschlägige Publikationen auf diesem Gebiet bekannt, nehmen dies zum Anlass, einen Sammelband über die Kolonialgeschichte Kölns zusammenzustellen. Aus ihrer Feder stammt der Großteil der 40 Aufsätze dieser Publikation, welche in neun großen Kapiteln angeordnet sind. Die AutorInnen geben schwerpunktmäßig einen Einblick in den deutsch-kölnischen Kolonialismus, in die koloniale Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Mission, Kultur und Diaspora. Mit dem erklärten Ziel, die Leserschaft für die koloniale Vergangenheit zu sensibilisieren und ein Überdenken der eigenen Bilder und Vorstellungen damals entstandener Klischees anzuregen, soll die koloniale Geschichts- und Gedächtniskultur kritisch aufgearbeitet werden. Die einzelnen Kapitel sind deduktiv angeordnet und dabei aspektorientiert aufgebaut. Sie entwerfen ein komplexes Bild einer verdrängten Epoche Kölner, deutscher und transnationaler Geschichte.

Das erste Kapitel erläutert die allgemeine Geschichte der deutschen Kolonialbewegung, korrespondierende Begriffe, Probleme und Kontexte. Im zweiten Teil geht es um den Kolonialismus in Köln. Darin wird der Anfang der organisierten Kolonialbewegung der Stadt und die zunehmende Reaktion der Presse auf diese Bewegung am Beispiel der Kölnischen Zeitung skizziert. Intensiv eingegangen wird dabei auf die Kolonisatoren Wissmann und Zöller sowie auf die sich in dieser Zeit vollziehende journalistische Aufklärung bezüglich des Kolonialismus. Auch die kolonialen Frauenvereine sowie das finanziell problematische Schiff „Hedwig von Wissmann“, welches 1900 getauft wurde, werden in den Fokus gerückt. Der dritte Abschnitt thematisiert die Kolonialwirtschaft, indem zunächst allgemein das Unternehmen Stollwerck sowie die Ökonomen Langen, Esser und Oppenheim vorgestellt und am Ende speziell die in Köln eröffneten Kolonialwarenläden fokussiert werden. Der nächste Passus widmet sich dem wissenschaftliche Kolonialismus und seinen Akteuren, unter ihnen Gustav Nachtigal, der zum „Reichskommissar“ Westafrikas ernannt wurde. Zudem wird eine Verbindung zwischen der Wissenschaft und der Kolonialbewegung hergestellt und auf eine Expedition der Handelshochschule Köln im Jahr 1908 eingegangen. Das Geographen-Ehepaar Thorbecke, das geographische Studien erheben sollte, und die koloniale Völkerkunde werden abschließend porträtiert. Der fünfte Teil des Sammelbandes bezieht sich auf die Bedeutung der Mission im Rahmen der Kolonisation und rückt zum einen den katholischen, zum anderen den evangelischen Missionsverein in Köln in den Mittelpunkt. Das Leben des Domkapitulars Franz Karl Hespers, auf dessen Initiative hin der katholische Missionsverein gegründet wurde, wird zum Schluss erhellt. Das sechste Kapitel klärt über die kolonialen Inszenierungen, Feiern und Versammlungen Kölns auf und gibt den LeserInnen einen Einblick in das Rautenstrauch-Joest-Museum mit seinem kolonialen Kulturbesitz. Hierbei stehen besonders das „Koloniale Gehöft“ der Werkbundausstellung, der Kölner Zoo und die Völkerschauen im Fokus. Die Darstellung wird zum Ende hin durch die Thematisierung kolonialer Inszenierungen innerhalb des Kölner Karnevals abgerundet. Der siebte Abschnitt setzt den Schwerpunkt auf die Kolonialmigranten Kölns. Eine Gruppentaufe und das koloniale Patenkind des Kaisers Sambo stehen hier beispielhaft im Fokus. Im vorletzten achten Kapitel wird u.a. das koloniefreie Deutschland thematisiert – auch im Hinblick auf den Kolonialrevisionismus Adenauers und von Epps. Die von Bechhaus-Gerst präsentierte kolonialrevisionistische propagandistische Koloniale Sonderschau von 1928 sowie die 1934 in Köln eröffnete NS-Kolonialausstellung werden näher erläutert. Die gegenwärtige Stimmungslage zum Kolonialismus wird im letzten Kapitel aufgegriffen und behandelt diesen im Hinblick auf die Kunst und das Grab des Kolonialverbrechers Wissmann, das – höchst umstritten – von einigen Kolonialverherrlichern erhalten wird.

Die vorliegende Publikation trägt die verschiedenen Arbeiten zum Kölner Kolonialismus zusammen und ist zugleich eine Weiterführung des Bandes Köln in unheiligen Zeiten. Der Sammelband ist für den Leser gut verständlich und übersichtlich aufgebaut. Er entwirft ein komplexes Bild einer vergangenen Epoche und erweitert in vielfacher Hinsicht die Perspektive auf eine damals aktuelle und gängige, heute jedoch umstrittene Praxis der Gewinnung von neuem Lebensraum. Bei der „Spurensuche“ griffen die AutorInnen auf unterschiedlichstes Quellenmaterial zurück, wie z. B. Zeitungsartikel oder Postkarten, welche – ebenso wie verschiedene Personen – auch durch Abbildungen Eingang in den Sammelband gefunden haben. Für weitere Forschungen auf diesem Gebiet ist das Werk sehr zu empfehlen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Marianne Bechhaus-Gerst / Anne-Kathrin Horstmann (Hg.): Köln und der deutsche Kolonialismus. eine Spurensuche.
Böhlau Verlag, Köln 2013.
286 S., 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783412210175

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