Wie ein Schluckauf bei bester Laune

Ursula Krechels Portraits starker und leiser Pionierinnen sind anregend und unterhaltsam

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ohne große – oder auch nur kleinere – Vorrede etwa über Sinn, Ziel und Zweck des vorliegenden Sachbuches mit dem Titel „Stark und leise“ geht seine Autorin Ursula Krechel sofort in medias res und stellt die erste ihrer „Pionierinnen“ vor. Warum jede der Frauen als eine solche apostrophiert wird, bleibt in den ihnen gewidmeten Portraits oft unausgesprochen, kann man sich jedoch (fast) ebenso oft denken. Denn die von Krechel ausgewählten Frauen haben auf einem bestimmten Gebiet – meist der Schriftstellerei – besonderes geleistet und auch schon mal neue Wege eröffnet. Warum fast ausschließlich Schriftstellerinnen aufgenommen wurden, bleibt ebenfalls ohne Erläuterung. Denn selbstverständlich gab es auch auf ganz anderen Gebieten, der Bildenden Kunst, der Mathematik, der Technik oder des Sozialwesens nicht weniger bahnbrechende Pionierinnen. Müßig, sie aufzuzählen. Wie kaum anders möglich, kann man in dem Band die eine oder andere Würdigung vermissen, so wird etwa die „wunderbar witzige Hedwig Dohm, sicher die geistreichste Vorkämpferin der Frauenbewegung um 1900“ nur in einem Halbsatz erwähnt.

Irgendwann einmal entdeckt man im Inhaltsverzeichnis den Hinweis auf die „Nachweise“, schlägt nach und erfährt, dass es sich bei den Kapiteln des Buches keineswegs immer um Erstveröffentlichungen sondern um Neudrucke früherer Publikationen handelt. Man hält also nicht wie angenommen eine Monographie in Händen sondern eine Essaysammlung. Das erklärt natürlich einiges.

Als erste der rund zwanzig Frauen stellt Krechel die älteste ihrer Pionierinnen vor, die im 14. Jahrhundert wirkende Christine de Pizan. Die Französin ist womöglich zugleich diejenige, die mit so viel Recht wie wohl kaum eine andere den Ehrentitel des Untertitels für sich beanspruchen darf. Beschlossen wird der Band mit unserer Zeitgenossin Elke Erb.

Zwar sind die meisten der vorgestellten Frauen Dichterinnen deutscher Nationalität, doch keineswegs alle: Ingeborg Bachmann etwa ist zwar eine Lyrikerin und sogar eine deutschsprachige, aber keineswegs eine Deutsche. Das hätte sie sich vermutlich auch verbeten. Und Irene Brin ist Italienerin und Antifaschistin obendrein, wobei sie letzteres wiederum weder von Ingeborg Bachmann unterscheidet, noch von den ebenfalls aufgenommenen Autorinnen Irmgard Keun, deren Romane vor „Fülle, Reichtum, Spannung, Witz“ sprühen, und Ruth Landshoff-York, die sich vom „rasanten jungen Mädchen, der weltläufigen Reisenden“, zu einer „geradlinigen Gegnerin desNationalsozialismus“ entwickelte. Auch nicht von Vicki Baum, die von Krechel zwar als Frau, die sich vor nichts fürchtete, charakterisiert wird, sich aber von der Autorin anhören muss, dass sie manchmal „besser geschwiegen“ hätte. Nun, auf wen träfe das nicht zu.

Gelegentlich lässt Krechel Persönliches einfließen, etwa dass und warum sie die Lektüre von Vicki Baum lange gemieden hat, oder über ihre Begegnungen mit Hannah Höch und Christa Reinig, von denen sie sehr beeindruckt war.  Männer kommen hingegen nicht immer gut weg. Zu Recht natürlich. So etwa der „approbierte Frauen-Benutzer“ Gottfried Benn.

Wie von einer so versierten Autorin nicht anders zu erwarten, hat Krechel ein gut lesbares Buch vorgelegt, das mit manch aphoristischer Sentenz erfreut, die etwa „Kunst und Intellektualität“ als ein „schwieriges Paar“ ausmacht, da „Dichten und Denken in Deutschland eine monogame Zwangsgemeinschaft“ eingegangen sind. Andere wieder besagen, es gebe Zeiten, „in denen die Todessehnsucht das sicherste Zeichen von Lebendigkeit ist“. Wunderbar ist auch die Karoline von Günderrode gezollte Achtung für ihren „Mut, die ängstlichen Männerbedenklichkeiten hinter sich gelassen zu haben“, ohne den „sich kein weiblicher Kopf über das Nadelkissen und das Backblech erhebt“.

Doch auch ein solches schriftstellerisches Ingenium schützt mitnichten vor sprachlichen und stilistischen Missgriffen. So übernimmt Krechel gelegentlich die geschlechtliche Kodierung positiv konnotierter Eigenschaften und preist etwa „die männliche Festigkeit“ Karoline von Günderrodes. Auch moniert sie zwar zu Recht „die sonderbare Vertraulichkeit, mit der in Deutschland die Dichterinnen geduzt werden, als hätten die Leser sie in der Tanzstunde kennengelernt und ihnen gutherzig errötend auf den Zehenspitzen gestanden“. Ihre Art, den bestimmten Artikel vor weiblichen Nachnamen zu setzen (nur Ingeborg Bachmann bleibt davon verschont), ist allerdings auch nicht sehr viel besser, kennzeichnet sie die Benannten so doch nicht nur als Geschlechtswesen, sondern als Angehörige des anderes Geschlechts. Denn dass Menschen ohne den das Geschlecht offenbarenden Artikel Männer sind, versteht sich bei dieser einseitigen Verwendung von selbst. Während der anregenden Lektüre dieses Buches immer wieder den bestimmten Artikel vor den Nachnamen der Frauen lesen zu müssen, ist störend wie ein Schluckauf bei bester Laune.

Titelbild

Ursula Krechel: Stark und leise. Pionierinnen.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2015.
342 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783990270714

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