Apokalypse-Elegie

Valerie Fritschs zweitem Roman „Winters Garten“ fehlt es an thematischem Gehalt und sprachlicher Präzision

Von Friederike GösweinerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friederike Gösweiner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Grunde kann man beinahe schon von einem literarischen Trend sprechen, so sehr scheinen sich Romane mit deutlich negativ utopischem Zug im Schreiben junger Autoren zu häufen. Dorothee Elmiger debütierte mit der Dystopie Einladung an die Waghalsigen, Roman Ehrlich ähnlich düster mit Das kalte Jahr, und die junge Österreicherin Valerie Fritsch, Jahrgang 1989, legt nun mit ihrem zweiten Roman Winters Garten ebenso ein Apokalypseszenario vor, das von seiner literarischen Qualität allerdings bei Weitem nicht mit Ehrlich oder Elmiger mithalten kann.

Irgendwo in der Nähe einer Stadt am Meer wächst Anton Winter in einer Art Aussteigerkolonie in einem Gutshaus inmitten eines riesengroßen Gartens auf. Die Beschreibung dieses seltsam der Zeit enthobenen Gartenidylls, mit der der Roman einsetzt, klingt geradezu paradiesisch: Kinder spielen nackt im Garten, man isst gemeinsam im Freien zu Abend, alles geht seinen natürlichen Lauf. Die Stadt, in die einige zur Arbeit pendeln, liegt eine Stunde entfernt am Meer, genügend weit entfernt, um die Gartenbewohner in ihrem eigenen Natur-Kosmos nicht zu stören.

Als junger Erwachsener verlässt Anton Winter das Gartenparadies und zieht in die Stadt – und damit ist es mit der Idylle vorbei. Anton wird Vogelzüchter und lebt jahrelang einsam vor sich hin, während die Stadt langsam in Chaos und Schrecken versinkt. Es herrscht Endzeitstimmung, die Apokalypse scheint unmittelbar bevorzustehen. Die Flüchtlingsströme aus der Stadt hinaus werden immer größer und es finden täglich Massensuizide statt. Mitten in dieser bedrohlichen Dunkelheit passiert Anton jedoch etwas ganz und gar Schönes: Er trifft Frederike, die als Krankenschwester arbeitet, und verliebt sich unsterblich in sie. Während Frederike im Krankenhaus versucht, zumindest die Schwangeren noch zu versorgen, kümmert sich Anton dort um die vielen Leichen. Am Ende aber fliehen auch sie aus der Stadt, und zwar mit Antons Bruder Leander und dessen Frau Marta samt Neugeborenem, denen Anton zufällig im Krankenhaus begegnet war. Sie kehren zurück ins Gartenparadies, das längst brach liegt, und erwarten dort die Apokalypse, die auch tatsächlich eintritt: Die winterliche Landschaft versinkt in Flammen und Anton Winter hört, „nachdem die Welt untergegangen war“ am Ende im Traum Joy Division und Sergej Rachmaninow und sieht alle seine Lieben in den Garten kommen.

Das Ende spricht für sich: Valerie Fritschs Roman stellt keine Fragen, sondern gibt Antworten, allerdings wenig gehaltvolle, dafür aber bis über die Apokalypse hinaus. Ihr wahrhaftig allwissender Erzähler, der von Anfang an durch den Roman führt und die Klischees, aus denen die junge Autorin ihre Geschichte zusammenflickt, wortreich ausschmückt, weiß sogar, was in Anton Winters Kopf nach dem Weltuntergang passieren wird. Er weiß auch, dass „alles, was war, sich die Welt teilte mit all jenem, was sein würde“, oder dass „die Enge und Weite der Natur unergründliche und eindrückliche Erfahrungen gleichermaßen waren, die den glatten Charakter, mit dem man geboren wurde, aufrauten“, und erklärt: „Es herrschte Chancengleichheit, und jene Individualität, die die Menschen ansonsten voneinander trennte, löste sich auf, weil man sein eigenes Schicksal abgab und ein allgemeineres dafür bekam.“ Was der Erzähler damit aber sagen will, was solche esoterischen, pseudoklugen Sätze aussagen sollen, das weiß der Leser leider nicht.

Offensichtlich geht es in Winters Garten um das Leben und den Tod, es geht um den Gegensatz von Natur versus Kultur, aber mehr als diese plumpe, altbekannte Gegenüberstellung dieser Pole ist auf den gut 150 Seiten thematisch leider nicht auszumachen. Woran Winters Garten grundlegend krankt, ist also vor allem anderen das Fehlen eines Themas, einer größeren Aussage, die hinter der mageren Geschichte steht. Zudem fehlt den Figuren, allen voran dem Romanhelden Anton, jede psychologische Glaubwürdigkeit; sie bleiben schablonenhafte Typen, die auftauchen, wenn sie der allmächtige Erzähler eben für den Fortgang der Handlung braucht.

Die gähnende inhaltliche Leere übertüncht die junge Autorin geschickt mit einem mächtigen, quasi potemkinschen Sprachapparat, doch fehlt es ihm – ähnlich wie ihrer Geschichte – in höchstem Maße an Präzision. Seltsam altbacken wirkt der barock-opulente Stil, der nur ab und an von „modernem“ Wortmaterial durchbrochen wird, was allerdings jeweils nicht kalkuliert wirkt, sondern wie ein Unfall anmutet. Frauen tragen „eine Leibesfrucht“ in sich, haben dann aber ein „Baby“ auf dem Arm, man sammelt Kräuter in „Botanisiertrommeln“ und legt sie dann „ins neue Tiefkühlfach“. Kinder besitzen außerdem eine „unsagbare Zeit“, Eier liegen „fremd und planetoid“ auf dem Boden und ticken „kosmisch“ – Beispiele für solche Stilblüten, deren Sinn sich der Leser beim besten Willen nicht erschließen kann, ließen sich zahlreiche finden. Winters Garten lässt den Leser vollkommen ratlos und enttäuscht zurück.

Titelbild

Valerie Fritsch: Winters Garten. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
154 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783518424711

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