Von blauen Stunden und gelbem Gebräu

Hubert Flattinger beschreibt in „Der größte Fisch entwischt“ seinen Redaktionsalltag und trifft die Heldin seiner Kindheit

Von Rosa ThomasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rosa Thomas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hubert Flattinger. Hinter diesem in Deutschland eher unbekannten Namen verbirgt sich ein österreichischer Kinderbuchautor, Dozent und ehemaliger Redakteur der Tiroler Tageszeitung. Aus der Perspektive des Journalisten berichtet er in seinem Buch Der größte Fisch entwischt von Gesprächen mit prominenten Persönlichkeiten wie Astrid Lindgren, Janosch und Otfried Preußler. Statt des Inhalts der Interviews stehen jedoch Flattingers Charakterbeschreibungen und seine persönlichen Beobachtungen im Fokus der Erzählungen.

Der erste Eindruck: Ein Stillleben des Journalismus. So kommt das Cover daher, auf dem ein Mikrofon, ein Aufnahmegerät, zwei Bücher, ein Aschenbecher, ein Notizblock und ein Kaffeebecher abgebildet sind. Im Fokus der Fotografie: Das Mikrofon. Es lässt sich also unschwer erkennen, worum es sich handeln wird.

„Es ist die blaue Stunde. Also jene Zeit zwischen Sonnenuntergang und nächtlicher Finsternis, die das Fenster zum Spiegel werden lässt.“ Flattinger wählt einen poetischen Einstieg für seine Redaktionsgeschichten. Die blauen Stunden sind für ihn magische Momente, die ihm Zeit zur Reflexion geben. Doch viel Zeit bleibt nicht dafür, der Autor manövriert sich und die Leser*innen schnell in seinen Redaktionsalltag, der wenig Zeit für Träumereien lässt: „Irgendjemand wird dich schon wachrütteln.“  

Flattinger versteht es fesselnd zu erzählen. Die Leser*innen bekommen das Gefühl, als wären sie bei seinen Interviews hautnah dabei. Das liegt daran, dass der Autor locker und unvermittelt von seinen Begegnungen berichtet. Im Gespräch mit Christine Nöstlinger wird diese Unmittelbarkeit zudem durch die Sprache erzielt, denn hier gibt der Autor den österreichischen Dialekt der Schriftstellerin in direkter Rede wieder. Auch den Redaktionsalltag vermittelt Flattinger sehr anschaulich: Sei es das Vorstellungsgespräch als Redakteur, das bis Mitternacht geht, oder das nächtliche Durcharbeiten von Artikeln in der Redaktion – Flattinger bestätigt einige Klischees seines Berufstands. Aus heutiger Sicht erscheint sein Wirken als Redakteur in den 1990er Jahren jedoch veraltetet und romantisierend. Die entspannten Gesprächssituationen mit seinen Interviewpartnern sind in der multimedialen, hektischen Gesellschaft derzeit kaum vorstellbar. Zudem wird das Klischee des Bier trinkenden und Zigarette rauchenden  Journalisten auf die Spitze getrieben. Nicht anders wirkt es, wenn Flattinger überprüfen will, ob Astrid Lindgren seine Gedanken lesen kann. „Ich wollte es herausfinden und dachte so deutlich und angestrengt, wie es nur ging: Ein kühles Bier wäre jetzt eine herrliche Sache! Sie reagierte nicht. Es blieb beim Kaffee.“

Was Hubert Flattinger indes meisterhaft beherrscht: prominente Persönlichkeiten in ihrem jeweiligen Umfeld eindrücklich zu beschreiben. Die Gespräche selbst bleiben jedoch oft bemerkenswert oberflächlich. Während der Klappentext des Buches damit wirbt, dass „Flattinger hinter Schriftstellerfassaden, Schauspielervisagen und Künstlerattitüden“ schaue, mangelt es dem Buch an tiefgründigen Geschichten. Der poetische Einstieg in das Buch trügt also. Andererseits vermittelt der Untertitel „Redaktionsgeschichten“ schon, dass es sich vielmehr um Anekdoten als um erhellende Erkenntnisse handeln wird.

Um diese Anekdoten einzuleiten, verwendet Flattinger oft Vergleiche oder Metaphern. „Erst ein Flüstern. Kaum zu deuten. Dennoch einladend wie das Schilfgewisper am Ufer eines Sees. Schhhh…Schhh…“ – So imitiert der Autor das Getuschel in der Redaktion, das eine bekannte Persönlichkeit ankündigt. Mit Hilfe dieser Stilmittel gestaltet Flattinger den Text sprachlich ansprechend. Größtenteils sind es aber die kurzen und exakt formulierten Sätze, die die Redaktionsgeschichten ausmachen. Die Gespräche zwischen Redaktionskollegen und Interviewpartnern gibt er zum größten Teil in direkter Rede wieder, was die Distanz zum Geschehen minimiert. Durch die Einteilung in verschiedene Kapitel erhalten die Anekdoten den Charakter von Kurzgeschichten, die zum größten Teil inhaltlich abgeschlossen sind, teilweise aber auch ineinander übergreifen. Zum Beispiel soll Flattinger im ersten Kapitel Grüße von Ottfried Preußler an Janosch ausrichten, was er auch in einem späteren Kapitel tut. Anfang und Ende jeder Redaktionsgeschichte bilden jeweils einen Rahmen, zu Beginn ist Flattinger stets unterwegs zu einem Interview, am Ende liest er es Korrektur.

Das Eingeständnis seiner Schwächen lässt den Autor sympathisch und menschlich erscheinen. So beschreibt er in einem Kapitel die falsche Handhabung eines Aufnahmegeräts, welche verhindert, dass er ein Gespräch aufzeichnen konnte. Später werden seine mangelhaften Englischkenntnisse offenbart: „,My English is worst case man, so I hope you may forgive me, otherwise we could, should ähhh…’” Mit diesen Worten entschuldigt sich der Redakteur im Vorfeld bei seinem Interviewpartner und erhält eine nicht gerade verständnisvolle Reaktion: „‚What’s the question, man? Come to the point!’“

Die Aussparung jeglicher negativer Seiten der Arbeit und die übertrieben harmonischen Schilderungen lassen vermuten, dass der im Text vermittelte Blick geschönt sein muss und nicht der Realität entspricht. Zum Beispiel beschreibt Flattinger die Redaktion der Tiroler Tageszeitung als „schönste[n] Ort der Welt“. Man merkt ihm den Spaß bei den verschiedenen Begegnungen an, besonders intensiv erscheint das Treffen mit Astrid Lindgren. „Wie würde sie reagieren, wenn ich ihr gestand, dass ich bloß Journalist geworden war, um irgendwann mal in meinem Leben hier auf dieser Couch sitzen zu dürfen?“ So ist es auch kein Wunder, dass der Hauptanteil des angefügten Bildteils aus Fotografien von seiner Kindheitsheldin besteht.

Neben den Interviews, die Flattinger mit prominenten Persönlichkeiten wie Christine Nöstlinger und Hans Clarin führt, schildert er sehr unterhaltsam die Umstände der Begegnungen. In seinem Interview mit Janosch berichtet Flattinger von einer „Anstandsdame“, die das Treffen mit dem Schriftsteller aus organisatorischen Gründen  überwacht, die „sich in Rage [bellte] wie eines dieser kleinen Hündchen, die außer ihren Besitzern keiner leiden mag“, als Flattinger ein Bier bestellt. Auch Politiker werden nicht von seinen kritischen Beobachtungen verschont. Bei einer Preisverleihung begrüßt der Bürgermeister fälschlicherweise und überschwänglich eine andere Person statt der Preisträgerin Astrid Lindgren.

Der größte Fisch entwischt ist trotz der fehlenden inhaltlichen Substanz der Interviews und der extremen Darstellung von Klischees ein unterhaltsamer Lesegenuss, denn Flattinger konzentriert sich nicht nur auf die Gespräche, sondern schildert auch das jeweilige Umfeld der Situationen. Eben diese Beobachtungen geben den Leser*innen einen neuen Einblick in die Welt des Journalismus und darum werten sie das Buch besonders auf. Wer der große Fisch ist, der Flattinger am Ende entwischt, soll jeder selber nachlesen. Es lohnt sich. Trotzdem.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Hubert Flattinger: Der größte Fisch entwischt. Redaktionsgeschichten.
Limbus Verlag, Innsbruck 2015.
144 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783990390443

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