Auf Wortspuren quer durch Europa

Dana Grigorcea liest beim diesjährigen Bachmannpreis auf Einladung von Hildegard E. Keller

Von Lisa EggertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa Eggert

Die Biografie der Autorin Dana Grigorcea liest sich wie eine Erzählung über ein Leben in den verschiedensten Winkeln Europas. Sie wird 1979 in Bukarest geboren, studiert dort und in Gent Deutsche und Niederländische Philologie, später in Brüssel noch Theater- und Filmregie sowie Qualitätsjournalismus in Krems (Österreich). Haben ihre Studien sie bereits kreuz und quer durch Europa geführt, so lernt sie in Folge ihrer Arbeit für den „Kurier“ in Wien, die „Deutsche Welle“ in Bonn und „Arte“ in Straßburg weitere Städte kennen, die ihrerseits jeweils ein Stück europäischer Geschichte erzählen. Im schweizerischen Chur ist sie von 2009-2011 für Film/TV in den Medieningenieurswissenschaften verantwortlich. Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern in Zürich. All ihre Wege durch Europa sind begleitet vom Wort, der Arbeit mit und an der Sprache.

Die Handlung ihres Debütromans Baba Rada. Das Leben ist vergänglich wie Kopfhaare, der 2011 bei KaMeRu erschien, verlegt die Autorin nun gewissermaßen an den Ort, an dem ihre eigene Biografie beginnt: nach Rumänien. Auf einer Insel im Donaudelta lebt Baba Rada, Protagonistin und Erzählerin „dieser phantastische[n], märchenhaft verklausurierte[n] Geschichte“ (Heini Vogler, Schweizer Radio DRS 2, 12.5.2011). Ein Mikrokosmos, in den alles nur über das Wasser einsickert: „das Schlechte wie das Gute“ (Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung, 13.4.2011). Der Name Baba Rada erinnert an die Baba Jaga, jene russischen Hexen, die mal gut, mal böse, mal Jungfrau, mal Mutter und alte Frau sind. Ähnlich schillernd wie die Figur der Baba Jaga erscheint auch Grigorceas Erzählerin, die ihren Leser*innen „eine irrlichternde Prosa, die alles in phantastisches Zwielicht taucht, das einzig durch die Sprache schemenhafte Umrisse erhält“ (Beat Mazenauer, readme.cc, Juli 2011), präsentiert. Baba Radas Erzählung verquickt dabei alte Bräuche aus dem rumänischen Donaudelta mit Anekdoten über die Bewohner*innen der Flussinsel und den Ereignissen, die mit dem Erscheinen des „Terroristen“ einsetzen, der wie alle anderen Dinge mit dem Boot auf die Insel gebracht und gegen Bezahlung bei Baba Rada untergebracht wird.

Ihren Erstling stellt die Autorin jedoch nicht nur in rumänische Traditionen. Sie legt auch „eine Art Schelminnenroman [sic!] [vor]: Baba Rada, eine hexische Ur-Mutter Courage, eine magische Frau von überschäumendem Temperament.“ (Heini Vogler, Schweizer Radio DRS 2, 12.5.2011). In dieser Lesart folgt sie den Spuren des simplizianischen Zyklus, dessen Wege sich, ähnlich ihrer eigenen Biographie, auf ganz Europa erstrecken.

Auch ihr im August erscheinender zweiter Roman Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit verhandelt Fragen von Herkunft und eigener Geschichte. Diesmal nicht an einem märchenhaft anmutenden Ort wie der Insel im Donaudelta, sondern in Bukarest. Die Protagonistin Viktoria erkundet in dieser Geschichte um Heimkehr und Neuanfang zugleich die rumänische Hauptstadt als Ort ihrer Kindheit und als moderne Metropole.

Auf Einladung von Hildegard E. Keller liest Dana Grigorcea, die sowohl im literarischen Werk wie im „realen Leben“ Grenzen überschreitet, beim diesjährigen Bachmann-Preis. Man darf gespannt sein auf den Beitrag dieser noch recht jungen Autorin, die mit einer spannenden Biographie und einem nicht minder interessanten und schillernden Schreibstil aufwartet.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen