Literatur, Justiz und Kritik

Zur Juli-Ausgabe von literaturkritik.de

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Ein weites Feld! Die Juli-Ausgabe von literaturkritik.de widmet sich in ihrem Schwerpunkt dem Thema „Literatur und Recht“. Und weil das ein so vielschichtiges und spannendes Problemfeld ist, werden wir die Auseinandersetzung damit in der August-Ausgabe gleich fortsetzen und auch danach noch häufiger aufgreifen.

Verantwortlich für den Schwerpunkt ist Jürgen Joachimsthaler. Er lehrt seit 2014 als Professor für Neuere und neueste deutsche Literatur und Literaturtheorie an der Philipps-Universität Marburg, ist dort unter anderem für den Studienschwerpunkt „Literaturvermittlung in den Medien“ zuständig und schon deshalb in die Arbeit an der Zeitschrift, die im Zusammenhang mit diesem Studiengangsprofil vor über fünfzehn Jahren in Marburg gegründet wurde, involviert. Der Anlass für seinen ersten Artikel in literaturkritik.de Anfang Mai dieses Jahres war der Tod von Günter Grass. Sein Essay steht dort am Beginn einer Reihe von Beiträgen, die sich dem Thema „Günter Grass und Polen“ widmen. Bereits diesen Schwerpunkt hat Joachimsthaler, der als DAAD-Lektor einige Jahre in Polen lehrte und den kulturellen Austausch mit den Literaturen und Literaturwissenschaften Ostmitteleuropas pflegt, maßgeblich betreut. Dass er nun das Thema „Literatur und Recht“ initiiert hat, steht ebenfalls im Zusammenhang mit seinem wissenschaftlichen Werdegang.

1995 veröffentlichte er in zwei Bänden und in einem Umfang von knapp 1000 Seiten seine an der Universität Regensburg verfasste Dissertation. Es geht in ihr um eine 1854 geborene und 1925 gestorbene Persönlichkeit, die im Kaiserreich „eine der treibenden Kräfte des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels“ war, die in der Erfolgsgeschichte der literarischen und künstlerischen Moderne eine maßgebliche Rolle spielte, die von Wilhelm II. als „gemeingefährlich“ eingeschätzt wurde und der vier Jahre nach ihrem Tod ein antisemitisches Lexikon bescheinigte, dass  ihre Worte und Taten „dem Ansehen und der Ehre des deutschen Reiches mehr als ein verlorener Krieg schadeten“. Der Mann, den heute kaum noch jemand kennt, war Max Bernstein, ein Kritiker, Schriftsteller und „Staranwalt der politischen und literarischen Opposition“. Ihm ist nicht zuletzt das Verdienst zuzuschreiben, die Intellektuellen damals gegen Zensur und Obrigkeit mobilisiert zu haben.

Auch um die Bedeutung der Zensur für Literatur geht es im Schwerpunkt dieser Ausgabe. Mit ihm weitet Jürgen Joachimsthaler seine Mitarbeit an literaturkritik.de und sein Engagement für die Zeitschrift aus. Dafür sei ihm an dieser Stelle ausdrücklich gedankt.

Mit einem Essay in dieser Ausgabe, der uns kurz vor Redaktionsschluss erreichte, knüpfen wir anschließend an eine Debatte an, die uns zuletzt in der Februar-Ausgabe intensiver beschäftigt hat und die kürzlich das Kulturmagazin „Perlentaucher“ reinszeniert hat – mit einer Sammlung von Ideen zur Gründung einer neuen Zeitschrift im Internet. Es geht mal wieder um Literaturkritik, um kulturkritische Klagen über deren angeblichen Niedergang in den Feuilletons der etablierten Zeitungen und um diverse Vorschläge, was dagegen getan werden kann. Michael Pilz, Leiter des Innsbrucker Zeitungsarchivs zur deutsch- und fremdsprachigen Literatur, regt in seinem Beitrag zu der Debatte an, sich zur angemessenen Einschätzung der gegenwärtigen Literaturkritik auch an ihre Vergangenheit zu erinnern.

In dem Beitrag steht eher beiläufig eine Formulierung, die einen nicht zuletzt daran erinnern kann, dass das Thema „Literatur und Recht“ auch die Literaturkritik betrifft. Die „klassische Rezension“ fungiere, so heißt es hier, „als Instrument kunstrichterlicher Deutungsmacht“. Der Kritiker ein „Richter“? Oder gleicht die Literaturkritik in ihren „Urteilen“ oder „Klagen“ und deren Folgen gar  der Zensur? Der prominenteste Literaturkritiker der letzten Jahrzehnte, Marcel-Reich-Ranicki, hat im Rahmen der vielfältigen Rechtsmetaphorik, mit der die Praxis und Funktion der Literaturkritik  immer wieder verbildlicht wurde, die Kritiker als „Anwälte“  charakterisiert, die den Lesenden das „Urteil“ überlassen. Das steht dem Selbstverständnis unserer Zeitschrift näher als jeder kunstrichterliche Anspruch

„Wenn Literaturkritik eine Zukunft hat, dann im Netz – wenn auch in Form einer Zeitung.“ So wird im „Perlentaucher“ die Übersicht zur Debatte eingeleitet. Der Satz freut uns. Wenn er denn stimmt, dann bestätigt er, was wir beim Erscheinen der ersten Ausgabe des Rezensionsforums literaturkritik.de im Februar 1999 bereits vermutet hatten.

Im Namen der Redaktion dankt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Freundeskreis unserer Online-Abonnenten und unseren diversen Partnern für ihre vergangene und künftige Unterstützung –

mit herzlichen Grüßen

Thomas Anz