Schnee von gestern, wie von heute

Hemingways Kurzgeschichten sind in neuer Übersetzung erschienen

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ich zum ersten Mal Ernest Hemingway in Übersetzung las, mitten im Zivildienst, war ich verblüfft. Tatsächlich hatten wir im Englisch-Oberstufenkurs einige seiner Kurzgeschichten durchgenommen und seine lakonischen, präzisen Sätze hatten mir imponiert. Gegenstand meiner Lektüre war Fiesta, die deutsche Version des Debütromans The Sun Also Rises. Das Buch war 1950 als Band 5 der Rowohlt Rotations Romane (daher das Kürzel rororo) erschienen, wie die Taschenbücher des Verlages damals noch hießen. Die Übersetzungen von Annemarie Horschitz-Horst hatte Hemingway persönlich autorisiert; das war der Sound, der die Kurzgeschichten der Gruppe 47 maßgeblich beeinflusste und Hemingway im Westdeutschland der 1950er- und 1960er-Jahre zu einem der populärsten Autoren überhaupt werden ließ.

Ich las also Fiesta, doch empfand ich den Sound der deutschen Sätze als äußerst fremd, daran hat sich bis heute nichts geändert. Annemarie Horschitz-Horst hatte nicht nur versucht, Hemingways Lakonie zu bewahren, auch ihr Wortlaut hielt sich so eng als Original, dass im Deutschen streckenweise abstraktes Kauderwelsch herauskam. Kleingehackte Sätze ohne finite Verben, wie von Herbert Grönemeyer gesungen:

„Was wurde aus dem Neger?“
„Fuhr nach Köln zurück. Lebt da. Verheiratet. Hat Familie. Wird mir Brief schreiben und das Geld, das ich ihm gepumpt habe, zurückschicken. Famoser Neger. Hoffe, ich gab ihm die richtige Adresse.“
„Vielleicht.“
„Na, auf jeden Fall wollen wir essen“, sagte Bill. „Außer wenn du noch mehr Reiseberichte hören willst.“

Anders gesagt, der übersetzte Hemingway der 1950er-Jahe klingt wie ein schlecht synchronisierter film noir, jedenfalls nicht wie idiomatisches Deutsch. Außer, wenn Horschitz-Horst Phrasen wie „a swell girl“ mit „eine famose Person“ übersetzt. Dann wähnt man sich urplötzlich in eine Bohème-Variation von Die drei mit der Tankstelle versetzt, der Trip zum Stierkampf nach Pamplona wird zur knorken Landpartie und gleich biegt Lilian Harvey um die Ecke.

Gut also, dass Rowohlt in den letzten Jahren davon abgekommen ist, an den Fähigkeiten von Horschitz-Horst festzuhalten, der man angeblich auch den Spitznamen „Horseshit“ verpasst hatte. Stattdessen liegen die Hemingway-Übersetzungen nun in den Händen von Werner Schmitz, der sich vor allem mit Übertragungen zeitgenössischer Größen wie Paul Auster und Ian McEwan einen Namen gemacht hat. Seit 2011 erscheint jährlich ein neuer Band seiner Hemingway-Variationen. Schmitz versteht es, die sprachliche Kargheit des Originals einzufangen, bewahrt aber ein flüssiges, elegantes Deutsch. Wie eine gute Synchronisation lässt er die Fremdheit des Originals wie von Zauberhand verschwinden, auch wenn man das aus übersetzungstheoretischer Sicht und Walter Benjamin-Leser kritisch sehen mag.

In diesem Jahr ist nun mit Schnee auf dem Kilimandscharo eine Sammlung mit zehn Kurzgeschichten herausgekommen, die in dieser Zusammenstellung erstmals in Hemingways Todesjahr 1961 erschienen. Entstanden sind sie aber über mehrere Jahrzehnte hinweg – wie die 1936 erstmals publizierte Titelerzählung, in der der Schriftsteller Harry in der ostafrikanischen Savanne mit Wundbrand im Sterben liegt und sein bewegtes Leben halluzinierend Revue passieren lässt. Seine Frau Helen pflegt ihn. Gegen alle Wahrscheinlichkeit kommt ein Flugzeug gerade noch rechtzeitig, um ihn zu retten, steuert aber im letzten Moment auf den Kilimandscharo zu. Die Rettung entpuppt sich als Halluzination, Harry ist in Wirklichkeit gestorben. Hemingway hat diesen erzählerischen Kniff nicht erfunden. Diese Ehre gebührt wohl Ambrose Bierce, und Autoren wie Leo Perutz und Arno Schmidt haben ihn in die deutsche Literatur eingeführt. Wie Hemingway aber Orte und Eindrücke aneinanderreiht, wie er die scheinbare Rettung und den Anblick der Serengeti von oben beschreibt, das ist große Literatur. Einige Stories reichen an die Größe der Titelerzählung heran, etwa „Väter und Söhne“, in der Hemingways Alter Ego Nick Adams mit seinem Sohn durch die Weite der amerikanischen Landschaft fährt und Erinnerungen an seine eigene Kindheit Revue passieren lässt. Oder das Eifersuchtsdrama „Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber“, das mit einem tragischen Tod endet, wiederum in der afrikanischen Wildnis. Obwohl nicht alle Geschichten diese Qualität erreichen, dokumentieren sie doch Hemingways Können als großer Erzähler.

Andererseits merkt man ihnen deutlich an, dass sie aus einer anderen Zeit stammen. Hemingways Helden sind keine simplen Machos, eher tragische, im Innern zutiefst verwundete Männer, die nicht aus ihrer Haut können. Zudem bewegen sie sich in einer Welt, die nicht mehr die unsere ist. Kolonialismus ist vollkommen normal, Weiße gehen selbstverständlich mit schwarzem Dienstpersonal auf Großwildjagd, und offene Gefühlsausbrüche wie die eines italienischen Offiziers, dessen Frau plötzlich gestorben ist, wirken auf den Ich-Erzähler seltsam peinlich. Aber Hemingway ist eben beim besten Willen keine Gegenwartsliteratur mehr. Für heutige Leser ist er eine historische Figur geworden, maßgeblich geprägt durch ein anachronistisch gewordenes Männlichkeitsbild. Aber lesenswerte Literatur ist das allemal. Im Original – und in Schmitz’ Übersetzung.

Titelbild

Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo. Storys.
Aus dem Englischen von Werner Schmitz.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2015.
221 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783498030186

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