Widerstand oder Verbrechen?

Winfried Seiberts Studie wirft neues Licht auf die Kontroverse um die Ehrenfelder Gruppe

Von Derya BasarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Derya Basar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Widerstand oder Verbrechen? So lautet – auf den Punkt gebracht – die Kernfrage der Kölner Kontroverse um die 14 Jugendlichen, die am 10. November 1944 von der Gestapo ohne Gerichtsurteil am Ehrenfelder Bahnhof in Köln erhängt wurden. Seit siebzig Jahren streiten Historiker und Juristen, ob die Jugendlichen Widerstandskämpfer oder Verbrecher waren und welche Motive zur ihrer Ermordung führten. Winfried Seibert, Kölner Rechtsanwalt und Verfasser diverser Beiträge zu zeitgeschichtlich-rechtshistorischen Themen, setzt sich ausführlich mit den Aktivitäten der Ehrenfelder Gruppe auseinander, um ihre viel diskutierte Zugehörigkeit zu den Edelweißpiraten zu hinterfragen. Die nach diesem Verbrechen und dem Zweiten Weltkrieg eingeleiteten Entschädigungsverfahren bilden einen wichtigen Teil der Beweislage. Skeptisch durchleuchtet Seibert in seinem Buch die vorhandenen Beweismittel: diverse Akten aus dem Todesjahr der Gruppenmitglieder, Entschädigungsakten des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Material aus dem Landesarchiv in Düsseldorf und dem Stadtarchiv Münster sowie Informationen des Innenministeriums und der Bezirksregierung Düsseldorf.

Die Monographie, eingeleitet durch ein Vorwort und die Vorgeschichte, ist in vier Kapitel gegliedert, die wiederum in einzelne Unterkapitel unterteilt sind. Das erste Kapitel ,,Ehrenfeld“ beschäftigt sich mit den Aktivitäten der Jugendgruppe in der Schönsteinstraße, wo ihre Geschichte beginnt. Der Leser erfährt auf den folgenden Seiten, wer zur Gruppe gehörte und welche Rolle diese Informationen für das Verständnis der Kontroverse spielen. Zum einen bot die Gruppe in ihrem Versteck jüdischen Verfolgten Zuflucht, was dazu führte, dass zwei der Gruppenmitglieder, Bartholomäus Schink und Jean Jülich, in der Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte der Völker“ geehrt wurden. Die Ermordung des Ortsgruppenleiters und prominenten Nazifunktionärs Heinrich Soentgen durch Roland Lorent, ebenfalls Mitglied der Ehrenfelder Gruppe, wird von den Befürwortern der Widerstandskämpfertheorie als wichtiges Indiz gewertet. Die ,,Legende“, es handle sich bei der Gruppe um Edelweißpiraten, hatte sich bereits in der Nachkriegszeit verbreitet und wurde in den späteren Jahren durch den Medieneinfluss verstärkt. Präzise durchleuchtet der Autor nun die Vernehmung von Lorent und kommt zu dem Schluss, dass es sich bei der Ermordung Soentgens um keine gezielte Tat gegen das Nazi-Regime oder um einen Akt des Widerstands gegen durch das Regime begangenes Unrecht handelte.

Im zweiten Kapitel ,,Nach dem Krieg“ beschäftigt sich Seibert mit den Entschädigungsverfahren, die den Hinterbliebenen der Opfer von Nazi-Verbrechen Wiedergutmachung leisten sollen. Hier genau ist auch die eigentliche Ursache der Kölner Kontroverse zu suchen. Die zahlreichen Anträge von Hinterbliebenen der Ehrenfelder Opfer, die bei den zuständigen Behörden um eine Ehrung ihrer Angehörigen als Widerstandskämpfer ersuchten, blieben erfolglos. Nicht zuletzt die Medien forcierten die Empörung in der Bevölkerung im öffentlichen Disput. Im letzten Kapitel ,,Drei Prozesse“ analysiert der Autor insbesondere die Quellen, die für eine Anerkennung der Jugendlichen als Widerstandskämpfer zu sprechen scheinen und diskutiert die Beweisführung der Befürworter. Besonders hervorgehoben wird dabei die Darstellung Edelweißpiraten in Köln. Jugendrebellion gegen das Dritte Reich (1981) des Historikers Matthias von Hellfeld, dessen These Seibert vehement kritisiert und ihm Sympathie mit der Gruppe sowie Zeitzeugengläubigkeit vorwirft. Sorgfältig arbeitet der Autor sein Argument anhand der gegen die Befürworter geführten Prozesse heraus, wobei er sich der Hypothese anschließt, dass es sich bei den Jugendlichen in Ehrenfeld weder um Edelweißpiraten noch um Widerstandskämpfer handelt.

Die Arbeit von Winfried Seibert bereichert den wissenschaftlichen Diskurs um eine weitere, argumentativ nachvollziehbare Position im Rahmen der Kölner Kontroverse. Aufgrund der analysierten Quellen könnte der Konklusion des Autors zugestimmt werden; allerdings ist die Glaubwürdigkeit der komplexen Beweislage nach mehr als 50 Jahren kritisch zu beurteilen. Das Urteil darüber, ob es dem Autor gelungen ist, im Rahmen der Suche nach der historischen Wahrheit den Fall letztgültig zu klären, bleibt daher dem Leser überlassen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Wienfried Seibert: Die Kölner Kontroverse. Legenden und Fakten um die NS-Verbrechen in Köln-Ehrenfeld.
Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2014.
186 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783837512359

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