Zu hoch hinaus

Ein ambitioniertes Romandebüt von Sandra Gugić

Von Sandra KozokRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Kozok

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Gott ist ein Astronaut“, sagt Zeno. Und Sandra Gugićs Roman ist ein literarisches Space Shuttle. Allerdings weiß der/die Leser*in manches Mal nicht, wohin die Reise geht. Nein, leicht verständlich ist Gugićs Astronauten nicht – ihr Debüt verliert sich allzu gerne in blinder Poesie. Gugićs Sprache ist zu bemüht und bleibt dadurch oft kalt und distanziert.

Die Österreicherin Gugić hat einen Großstadtroman geschrieben. Es sind die altbewährten Themen, mit denen sie ihren ihren Plot ausstaffiert: Die Rede ist von Sommer, Freundschaft, Liebe, Aufbruch und Selbstfindung. Dazwischen agieren die sechs Protagonisten Zeno (Sprayer), Darko (Bücherwurm), Mara (Objekt der Begierde), Alen (Taxifahrer), Niko (Polizist) und Alex (Drogensüchtiger), teils miteinander bekannt, befreundet oder verwandt. Ihre Geschichten verlaufen parallel, berühren sich hier und da und bewegen sich stets im Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbsthass der Figuren und ihrem unbedingten Willen zur Veränderung.

Auf fast 200 Seiten führt Gugić den/die Leser*in schnellen Schrittes durch die Leben ihrer „Astronauten“. Rasant reihen sich intime Gedanken, Rückblenden und Phantasmen an alltägliche Beobachtungen. Das Erzähltempo kann dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Buch vor allem an Handlung fehlt. Gugićs Erzählen verliert sich immer wieder in detailreichen Beschreibungen, die den eigentlichen Füllstoff für ihre Geschichten bilden. „Die Stadt schwitzt aus den Rissen im Asphalt, die sich geöffnet haben wie Poren, die Hitze ist eine Bewegung, eine Welle, die Luft ein stetes Flimmern. Es fühlt sich an, als würde meine Haut austrocknen, zusammenschrumpfen, der Asphalt unter meinen Füßen weich und nachgiebig werden.“ Die Erzählinstanz führt sprachverliebt durch die Köpfe der Protagonisten und beschreibt mit sezierendem Blick deren Sehnsüchte und Zweifel, aber auch die unbarmherzige Welt, in der sie orientierungslos umher irren. Fraglos bleibt, dass Gugićs literarischer Ausdruck von immenser poetischer Kraft ist: „Der Cursor ist ein Ausrufezeichen, wirft schwarze Buchstaben auf die weiße Fläche und läuft rückwärts, verschluckt alle wieder, pulsiert im Atemrhythmus auf dem weißen Bildschirm.“ In der Geschichte vom schreibenden Taxifahrer Alen kondensiert sich auch die Erfahrung mit der eigenen schriftstellerischen Tätigkeit.

Gugić ist mit dem Literaturbetrieb vertraut, sie studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und gewann 2012 den Open Mike. In einem Arbeitszeitraum von drei Jahren habe sie an Astronauten geschrieben, erklärt Gugić auf ihrer Internetseite. Die Arbeit an dem Buch wurde mit dem Autorenstipendium der Stadt Wien gefördert. Der Roman entstand in Wien, Leipzig und Berlin – in Großstädten also, die zweifellos auch als Inspiration für ihren atmosphärisch dichten Erzählraum dienten. Der Text wurde schließlich in einem ständigen Überarbeitungsprozess immer wieder zerlegt, verworfen und umstrukturiert. Diese Zerrissenheit merkt man Astronauten manches Mal an – die Geschichten wirken konstruiert, die Sprache fast angestrengt detailreich, schnörkelig. Leider geht dem Roman dadurch viel erzählerische Leichtigkeit verloren.

Dass Gugić eine echte Künstlerin ist, beweist die Gestaltung des Einbandes, für den die Autorin selbst verantwortlich zeichnet. Astronauten ist zweifellos ein schönes Buch: Auf dem Cover schneiden Stromleitungen einen bewölkten Himmel; die Farben fluoreszieren zwischen blau, grün und weiß. Im Vordergrund prangen in serifenfreier Schrift Buchtitel, Autor- und Verlagsname. Die schnörkellose, cleane Typo steht im harten Kontrast zur fast schon manierierten Prosa. In verschachtelten Sätzen lenkt die österreichische Autorin den/die Leser*in durch die emotionalen Abgründe ihrer Protagonisten. Zwischen den Buchdeckeln vermischen sich Poesie und Jugendsprache zu einem eigenwilligen Ton: „Mara, die mich nicht küssen wollte, das Gesicht weggedreht und gelacht hat, aber die mir damals im Club, auf dem Konzert, auf das ich sie eingeladen hatte, im Gedränge und Geschiebe der Menge einen runtergeholt hat.“ Jeder der sechs Charaktere spricht aus der eigenen Perspektive, der individuelle Stil gelingt Gugić oft erstaunlich gut. Dennoch bleibt ihr Text stellenweise unzugänglich, die Sprache wirkt überladen – gemeinsam ist den Episoden eine literarische Schwere, die Astronauten am Abheben hindert.

Gugićs Romandebüt ist keine leichte Kost, der/die Leser*in rauscht an den Szenarien vorbei und findet wenig Raum zur Identifikation. Aber vielleicht muss das so sein, vielleicht ist die Teilnahmslosigkeit gewünscht, vielleicht soll keiner der sechs Protagonisten anrühren, aufrütteln und bewegen. Vielleicht wünscht sich Gugic von ihren Leser*innen dieselbe ohnmächtige Distanz, mit der ein Astronaut die Welt aus dem All betrachtet. Aber schade ist es schon.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Sandra Gugic: Astronauten. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2015.
198 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783406673702

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