Rhapsodie in Beton

Siegfried Pitschmanns Kurzroman „Erziehung eines Helden“ erscheint mit 55-jähriger Verspätung

Von Stefan JägerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Jäger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische Nationalkultur braucht Dich!“ Unter diesem Motto stand die im April 1959 im Kulturhaus der Chemiekombinate von Bitterfeld stattfindende Erste Bitterfelder Konferenz. Auf ihr wurde eine Überwindung der Kluft zwischen Kunst und Leben, Künstlern und Werktätigen proklamiert. Die Kunstschaffenden sollten in die Betriebe gehen, um am Aufbau des Sozialismus mitzuwirken, und die dort gemachten Erfahrungen anschließend literarisch verarbeiten. Sie sollten die Entwicklungen in der DDR nicht aus der Vogelperspektive betrachten, sondern selbst Teil des Produktionsprozesses werden und dabei das bereits Erreichte beschreiben. Missstände sollten möglichst verschwiegen werden.

Das misslang jedoch gründlich: Der Gang in die Betriebe ließ die Autoren nicht in romantisch verklärter Weise auf die Produktionsbedingungen blicken, sondern schärfte deren Blick auf die Realität, in der Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfielen. Das wird nicht nur in Brigitte Reimanns unvollendet gebliebenem Roman „Franziska Linkerhand“ oder in Werner Bräunigs erst 2007 erschienenem „Rummelplatz“ sichtbar, sondern auch im 1958/59 entstandenen Kurzroman „Erziehung eines Helden“ von Siegfried Pitschmann, der nun erstmals komplett publiziert wurde.

Der 27-jährige Siegfried Pitschmann geht im August 1957 als Betonarbeiter in das Braunkohlekombinat „Schwarze Pumpe“ nach Hoyerswerda und nimmt damit gewissermaßen den „Bitterfelder Weg“ vorweg. Der gelernte Uhrmacher, der zu dieser Zeit bereits etliche Erzählungen veröffentlicht hatte, will erfahren, „wie das Leben wirklich ist“. Er teilt dabei nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern auch Wohnung und Freizeit mit den Arbeitern. Günter Caspar, damals Lektor im renommierten Aufbau Verlag und gleichzeitig eifriger Förderer wie Kritiker Pitschmanns, ermuntert diesen, seine Erfahrungen auf der Großbaustelle literarisch zu verarbeiten. Ergebnis ist das Romanmanuskript „Erziehung eines Helden“.

Der Text sollte in der DDR jedoch nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken, denn um ihn entspinnt sich schnell eine kulturpolitische Debatte: Der Schriftstellerverband, allen voran Erwin Strittmatter, kritisiert die „harte Schreibweise“ und die Kleinbürgerlichkeit des Romans. Der Schreibstil Pitschmanns spiegele nicht die Realität auf der Großbaustelle wieder, sondern berichte „nackt und kalt“ über die Vorgänge auf ihr, „als seien die Arbeiter Maschinenteile, die zufällig auch denken können“. Tatsächlich beschönigt Pitschmann, sich an Ernest Hemingway – einem westlichen Autor – orientierend, in seinem Roman nichts: Einige der dargestellten Arbeiterfiguren sind Alkoholiker, wollen möglichst viel Profit machen oder stoßen unentwegt wilde Flüche aus. Der Protagonist – im Titel nicht ohne Ironie als „Held“ bezeichnet – beginnt schnell am propagierten Bild des ‚Neuen Menschen‘ zu zweifeln. Keineswegs laufen auf der Baustelle „alle mit roten Nelken im Knopfloch rum, emphatisch Aufbaulieder singend“. Die Realität ist deutlich vielschichtiger. Und gerade das ist es, was Pitschmann in seinem Roman aufzeigt. Natürlich konnte Strittmatter, der nach einer Poetisierung des harten Arbeiteralltags und einer positiven Darstellung der Werktätigen verlangte, dies nicht gutheißen. Pitschmann schildert ihm die Wirklichkeit zu real.

Es ist ein großes Verdienst der Herausgeberin Kristina Stella, dass der Roman nun, mit 55-jähriger Verspätung, erscheinen konnte. Doch vermag weder das konzise Nachwort noch die beigefügte Erzählung „Ein Mann namens Salbenblatt“ von 1967, in der Pitschmann nochmals die Thematik aufgreift, über einige Schwächen des Textes hinwegzutäuschen. Das Potenzial des Autors ist darin zweifelsohne sichtbar; keine Frage, die innere Zerrissenheit des Protagonisten zwischen Künstlerexistenz und den Anforderungen der Gesellschaft sind plastisch dargestellt. Doch gibt es insgesamt zu viele Brüche zwischen und innerhalb der sieben Kapitel. Die immer wieder eingeschobenen Erzählerkommentare wirken zuweilen antiquiert und oberlehrerhaft, die Nebenfiguren oft blass. So richtig zu fesseln vermag die Handlung nicht, dafür bleiben der Roman und seine Thematik zu sehr ihrer Entstehungszeit verhaftet.

Trotzdem ist die hier erzählte Geschichte ein weiteres wichtiges Exempel dafür, wie das Literatursystem in der DDR funktionierte, und zeigt, wie hoffnungsvolle literarische Talente durch das rigide Zensursystem zunichte gemacht wurden: Pitschmann versuchte sich nach der Debatte um seinen Roman das Leben zu nehmen, was nur durch das Eingreifen Brigitte Reimanns, die er während des Schreibprozesses kennenlernte und später heiratete, und ihrer Eltern vereitelt werden konnte. Ein größeres Erzählwerk sollte er fortan nicht mehr in Angriff nehmen, er blieb später stets bei der kleinen Form. Zu Lebzeiten veröffentlichte er einige „Geschichten“ und zusammen mit Brigitte Reimann etliche Hörspiele. Nach einer 18-jährigen Schreibpause erschien 2000 sein letztes Buch „Elvis feiert Geburtstag“, eine Auswahl von Texten aus dreißig Jahren. 2002 ist Siegfried Pitschmann gestorben.

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Siegfried Pitschmann: Erziehung eines Helden. Roman.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Kristina Stella.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2015.
249 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783849811006

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