Die Helden haben wieder Konjunktur

Elisabeth Lienert widmet der mittelhochdeutschen Heldenepik eine kompakte Einführung

Von Miriam StriederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Strieder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einigen Jahren scheint die Heldenepik aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwachen und besonders ihr Geschmäckle abzustreifen, das ihr aufgrund nationalsozialistischer Propaganda anhaftete. Zu verdanken ist dieser Neuansatz unter anderem Michael Curschmann, Walter Haug, Werner Hoffmann, Jan-Dirk Müller und Joachim Heinzle, aber auch der Verfasserin der Einführung selbst, die für neue Editionen diverser heldenepischer Texte verantwortlich zeichnet und sie damit einfach zugänglich gemacht hat. Elisabeth Lienert hat nun auch eine Einführung vorgelegt, die für Studienanfänger, sowohl in der Mediävistik als auch in der Heldenepik, eine wertvolle Hilfe sein dürfte.

Lienert aktualisiert damit die Einführung Werner Hoffmanns von 1974 und macht so die mittelhochdeutsche Heldenepik erneut auf übersichtliche Weise zugänglich. Dabei legt sie nicht nur Wert auf die einzelnen Texte und Textgruppen, sondern auch auf den theoretischen und literaturgeschichtlichen Hintergrund, was ihr Neulinge in der Thematik sicher danken werden. Wann immer es sich anbietet, schaut Lienert auch auf die europäische Heldendichtung, kann und will in dieser Hinsicht aber Millets Einführung in die germanische Heldendichtung von 2008 nicht das Wasser reichen.

Wie der Titel schon verkündet, ist die ,mittelhochdeutsche Heldenepik‘ der Fokus der Einführung. Dementsprechend werden die Nibelungendichtungen, der Walther-Stoff, die „Kudrun und ausführlich die Dietrichepik betrachtet. Daran schließen sich „Biterolf und „Dietleib sowie die Ortnit- und Wolfdietrich-Dichtungen an. Den Abschluss bilden die Heldenbücher. Lienert schafft es, in klaren Sätzen übersichtliche Zusammenfassungen zu den einzelnen Werken zu liefern und verknüpft die Texte untereinander, sodass sich dem Leser ein Gesamtpanorama der Textgattung darbietet. Mittelhochdeutsche Textpassagen werden als Verständnishilfe von Übersetzungen ergänzt, der Fließtext ist übersichtlich strukturiert und die Navigation im Text wird durch herausgehobene Schlüsselbegriffe deutlich vereinfacht. Grau unterlegte Informationskästen vermitteln die wichtigsten Informationen und fassen ausführlich Dargelegtes knapp und prägnant zusammen. Literaturhinweise erschließen weitere Publikationen. Dazu kommt ein ausführliches Literaturverzeichnis am Ende, das natürlich weitere Überblickswerke beinhaltet, aber auch Aufsätze zu einschlägigen Themen listet und damit Studierenden beim Schreiben einer der ersten mediävistischen Hausarbeit eine große Hilfe sein dürfte.

Vermutlich bewusst hat sich die Verfasserin gegen eine einheitliche Darstellung der einzelnen Texte und Stoffkreise entschieden, was zwar auf Kosten der Übersichtlichkeit geht, aber andererseits jedem Text besser Rechnung tragen kann. Vorwissen aus einer Einführung in die mittelhochdeutsche Literatur wird aber vom Leser dennoch verlangt, auch wenn sich vieles leicht recherchieren oder erschließen lässt. Ideal ist die Einführung somit für ein thematisches Proseminar zur Heldenepik oder eine Überblicksveranstaltung. Einzelne Kapitel sind sicherlich auch in einem späteren Studienabschnitt hilfreich zur Auffrischung oder Verdeutlichung von Zusammenhängen innerhalb der Gattung. Lienerts Einführung will nicht mehr, aber auch nicht weniger sein als ein erster Zugang zum Thema und das leistet ihre ,mittelhochdeutsche Heldenepik‘ mit umfassendem Wissen, das klar verständlich und übersichtlich präsentiert wird.

Die Inhaltsangaben verschaffen einen sehr guten Überblick über die einzelnen Werke – nur bei der „Kudrun wäre unter Umständen eine Grafik (oder mehrere) hilfreich gewesen, die die Verwandtschaftsverhältnisse und Generationenfolge verdeutlicht und illustriert und auch die mehrfachen Hochzeiten mit einschließt, um eine Übersicht zu bieten über das vielfältige Personal des Textes, das mehrere Generationen umfasst.

Zwar wird in den einleitenden Bemerkungen eine Übersicht über Stoffe und Entstehungszeiten an die Hand gegeben, aber eine Wiederholung dieser Informationen im Bezug auf die historische und aventiurenhafte Dietrichepik würde für Novizen auf diesem Gebiet weiteres Blättern überflüssig machen und den Stoffkreis deutlicher als geschlossen und voneinander abhängig darstellen. Dies sind aber nur kleine Kritikpunkte, die den insgesamt sehr positiven Eindruck der Einführung nicht schmälern können.

Einzig die Faszination der Originaltexte bleibt bei Lienerts nüchternem Stil etwas zurück. Das können auch die mittelhochdeutschen Textpassagen, die Kernstellen der Handlung illustrieren, nicht auffangen – hier bleibt den Studierenden nur der Griff zum Primärtext, was ein sehr erwünschter Nebeneffekt dieser Einführung ist.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Elisabeth Lienert: Mittelhochdeutsche Heldenepik. Eine Einführung.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2015.
237 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783503155736

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