Geschlechtertrennung

Über das Metzler Autorinnen Lexikon

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neben dem in mehreren erweiterten Auflagen erschienenen "Metzler Autoren Lexikon" bietet der Verlag nun auch ein "Metzler Autorinnen Lexikon" an. Das Konzept ist, von dem meist etwas kürzeren Artikelumfang abgesehen, das gleiche: Statt eines dürren Gerüstes von Fakten und bibliographischen Angaben sind die Einträge in beiden Lexika im Stil kurzer Essays geschrieben. Sie sind lebendiger, anschaulicher und eigenwilliger, als es dem spröden Charme gängiger Lexikonartikel entspricht. Sie sind nicht bloß brauchbar, sondern wirklich lesbar, keine pure Informationsquelle, sondern eine Einladung, Entdeckungen zu machen und sich mit den portraitierten Autoren und Autorinnen auseinanderzusetzen. Da liest sich der Beginn etwa eines Artikels über Lou Andreas-Salomé so: "Legenden haben sich bereits zu Lebzeiten um A.-S. gebildet. Ihre Schönheit und Klugheit, ihre unkonventionelle und selbstbewußte Lebensführung, ihre skandalträchtigen Beziehungen zu berühmten Männern (Nietzsche, Rilke) und ihre Grenzgängerei zwischen Literatur und Psychoanalyse ließen sie in den Phantasien der Zeitgenossen zur realen Schwester der literarischen Lulus und Salomés der Jahrhundertwende werden, mit denen sie ihr Name bereits verband." Bei solcher Diktion nimmt man die Lücken, die zu lassen der Essay Mut haben muß, in der Regel gern in Kauf. Gegebenenfalls gibt es ja zur Ergänzung noch herkömmliche Nachschlagewerke, die so beginnen: "Als jüngstes Kind des hohen russ. Staatsbeamten und Generals Gustav von Salomé und seiner dt.-dän. Frau Louise, geb. Wilms, wuchs A. in St. Petersburg zweisprachig auf...."

Bei aller Ähnlichkeit im Stil und in der Aufmachung unterscheidet sich das "Autorinnen Lexikon" vom "Autoren Lexikon" doch erheblich. Das "Autoren Lexikon" beschränkt sich auf deutschsprachige Literatur, das "Autorinnen Lexikon" hat internationale Dimensionen. Auf Artikel zu der in Moskau geborenenen Bella Achatova Achmadullina und der in Moskau gestorbenen Anna Andreevna Achmatova folgen Essays über die in New York geborene Kathy Acker und die aus Istanbul stammende Halide Edib Adwar. Diese Ausweitung ist allerdings nur aufgrund jener erheblichen Begrenzung möglich, die der Titel ankündigt und die so selbstverständlich gerechtfertigt zu sein scheint, daß sie im Vorwort nicht mehr eigens problematisiert wird. Ich frage trotzdem: Warum diese lexikalische Geschlechtertrennung? Wäre es da nicht konsequent, in zukünftige Auflagen des "Autoren Lexikons" nur Männer aufzunehmen? Ist das eine gutwillige, doch kontraproduktive Marginalisierung schreibender Frauen? Oder noch immer die angemessene Antwort darauf, daß Frauen in allen Literaturlexika hoffnungslos unterrepräsentiert sind? Der Frauenanteil im "Autoren Lexikon" ließe sich allerdings ohne weiteres vermehren, zum Beispiel um Lou Andreas-Salomé, die dort noch fehlt.

Im Fall von Luise Rinser oder Marie-Luise Kaschnitz wurden die Artikel aus dem "Autoren Lexikon" übernommen. Aus schon bestehenden Handbüchern oder Anthologien Frauenspezifisches auszuwählen und gesondert zu drucken ist ein denkbar simples und nicht eben selten praktiziertes Verfahren, mit dem aus alten Büchern neue gemacht werden. So einfach haben es sich der Verlag und die vier Herausgeberinnen in diesem Fall jedoch nicht gemacht. Zahlreiche Artikel sind nicht übernommen, sondern durch neue ersetzt worden. Der über Else Lasker-Schüler stammt nicht mehr von Paul Raabe, sondern von Carola Opitz-Wiemers, der über Marlen Haushofer nicht von Uwe Schweikert, sondern von Ulrike Vedder. Die Beispiele verweisen auf ein Prinzip: Mit wenigen Ausnahmen sind alle Artikel von Frauen geschrieben worden.

Ein Lexikon über Frauen von Frauen also - doch nicht nur für Frauen. Ob es ein frauenfreundliches oder -feindliches Lexikon ist, darüber läßt sich streiten. Schmälert nicht ein Konzept, das vorgibt, in einem Band und auf sechshundert Seiten könne in repräsentativer Auswahl über Schriftstellerinnen aller Länder und Zeiten informiert werden, den ohnehin skandalös geringen Anteil von Frauen an der Literaturgeschichte in geradezu beleidigender Weise?

Metzler Autorinnen Lexikon. Hg. von Ute Hechtfischer, Renate Hof, Inge Stephan und Flora Veit-Wild.

Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 1998.

617 Seiten, 68,- DM.

Anmerkung der Redaktion: Die dem Lexikon beigefügte "Weiterführende Bibliographie" enthält die Internet-Adresse einer umfassenden Sammlung von Links zu Webseiten über Autorinnen der ganzen Welt. Wir nehmen sie in unser Link-Verzeichnis gerne auf.

Titelbild

Ute Hechtfischer (Hg.): Metzler Autorinnen Lexikon.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 1998.
617 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3476015505

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