Staubtrocken

Ludwig Felsʼ Roman „Die Hottentottenwerft“ liest sich wie ein Feldzugbericht

Von Julian GärtnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julian Gärtner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Rosen für Afrika 1987 und Die Parks von Palilula 2009 widmet sich Ludwig Fels, der in den 1970er-Jahren als Arbeiterschriftsteller bekannt wurde, seiner Faszination für Afrika. Die Hottentottenwerft ist sein neuester Roman und erzählt auf eher trockene Weise von den Abenteuern des jungen Schutztrupplers Crispin Mohr in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika.

Der Pappenheimer Mohr in Deutsch-Südwestafrika

Die deutsche Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, umfasste circa 30 Jahre. Damit sind die Anfänge der Kolonie mit den Schutzverträgen und der Namensgebung zwischen 1884 und 1890 ebenso gemeint, wie die verheerende Rinderpest und der verstärkte Zuzug von Militärs, Missionaren, Siedlern, Händlern und Pflanzern aus dem Deutschen Reich. Die kaiserlichen Truppen ermordeten zwischen 1904 und 1907 schätzungsweise 85.000 Herero und Nama. Der Genozid ist der absolute Tiefpunkt der Kolonie. Zunächst unter Leutwein und später unter Trotha stieg die Zahl der Schutztruppen in Deutsch-Südwestafrika zeitweilig von circa 2.000 auf bis zu 15.000 Mann. Mehr Kontext bedarf es eigentlich nicht, um in den Roman von Ludwig Fels einzusteigen.

Die Handlung von Die Hottentottenwerft setzt im November des Jahres 1903 ein und erstreckt sich zeitlich bis August 1904 – erkennbar an den eingelassenen Briefen, die immer wieder die sture Abfolge von Dialogen und Erzählerkommentaren auflockern sollen. Vom Genozid an den Herero und Nama erfährt man im Roman von Fels allerdings nichts. In der Danksagung heißt es: „In diesem Roman ist alles erfunden, sogar das Erfundene. Die beschriebenen Personen haben nie gelebt; historische, ethno- und geographische Benennungen hat die Geschichte allein der weltenordnenden Phantasie des Autors zu verdanken. Und trotzdem handelt der Roman im weitesten Sinn von der Wahrheit und ihren Folgen.“

Die weltenordnende Phantasie des Autors begnügt sich damit, das Einzelschicksal von Crispin Mohr zu erzählen, der als Reiter in der sogenannten Schutztruppe den einfachen Verhältnissen im mittelfränkischen Pappenheim entfliehen will. Crispin ist damit eher der mittlere Held, nationaltypischer Charakter in all seiner tüchtigen Durchschnittlichkeit und Langeweile. Kurz nach seiner Ankunft in Swakopmund schreibt er seiner Mutter: „Liebe Mutter, […] Mein Dienst an der Heimat ist Dienst an Ihnen, deshalb will ich nicht klagen, sondern sagen, es geht mir gut!“ Vergleichbar mit den Soldaten von Friedrich Schillers Wallenstein – auf den Generalissimus geht der bekannte Ausspruch über die Pappenheimer zurück – ist auch Crispin Mohr ein simples Gemüt. In holzschnittartigen Episoden werden Mohr und seine Kameraden, die merkwürdige Namen wie Glatzel, Rubyniak oder Katzenschlager tragen, als moralisch fragwürdige Trinker, Schläger, Einbrecher und Vergewaltiger geschildert. Crispin verliebt sich in Hulette, ein junges Kiphkha-Mädchen – so die Bezeichnung für einen erfundenen Stamm von Ureinwohnern im Roman. Ein bisschen erinnert Kiphkha, den Beteuerungen des Autors zum Trotz, wenigstens namentlich an die baptistisch-evangelikale Kephas-Gemeinde in Wien, die Ludwig Fels mit seiner Frau besucht.

Der staubtrockene Stil eines Feldzugberichts

Ähnlich wie die Soldaten werden die Kiphkas sehr einseitig als Kollaborateure, Bordellbetreiber, Marodeure und Krieger geschildert. Ohne die Eigenlogik des Romans infrage stellen zu wollen, muss angemerkt werden, dass die in Namibia ansässigen Völkergruppen vornehmlich als Viehhirten und -züchter eher pastoral als kriegerisch lebten. Im Roman sind die Milieus zu undurchlässig, zu widerspruchslos und unterkomplex. Crispin Mohr will – der Kalauer wird gleich mehrere Male im Roman gemacht – ‚Mohr‘ werden, will aus Liebe zu Hulette zu den Kiphkhas gehören. Crispin versucht, Hulette aus der Obhut von Hauptmann Suck und dessen Frau zu befreien. Er gerät bei dieser Amour fou selbst in Gefahr: Auf der Farm Gunsbewys – heute Name einer sogenannten Gästefarm – eskaliert ein Streit zwischen Kaptein Ximenz und dem Hauptmann Suck und es kommt zu einer bewaffneten Auseinandersetzung, während der Mohr zunächst Hulettes Befreiung gelingt.

Das Ende des Romans, ohne es hier zu verraten, liest sich fast wie eine späte Passage aus Gustav Frenssens Peter Moors Fahrt nach Südwest. Darin erzählt Peter Moor, wie ein Schutztruppler erschöpft vom langen Ritt am Ende des Kriegs einen unbewaffneten Herero auf einer Anhöhe erschießt. Ambivalent bleibt bei Frenssen die Haltung Peter Moors zur Tötung. Bei Ludwig Fels ist das Ende etwas genauer ausgestaltet: Es wird darin deutlich, dass der Konflikt auch auf die ungerechte Behandlung der Kiphkas durch die Deutschen zurückgeht. Ximenz etwa beklagt sich über die Gewalttätigkeit der Deutschen sowie über die Vereinnahmung der Rinderherden und ihre Folgen. Man fragt sich aber zwangsläufig, ob und in welchem Verhältnis der realhistorische Genozid an den Herero und Nama zu den freilich fiktionalen Gewalttaten an den Kiphkhas steht? Lediglich die kurze Erwähnung einiger Leichen am Straßenrand und niedergerissene Pontoks und Werften verweisen vage auf eine größere Gewalttat. Ludwig Felsʼ Roman weicht auf naive Weise vom historischen Kontext ab: Der vermeintlich mit Authentizität und Phantasie angereicherten Erzählung gelingt nicht die einfache Verwandlung von Crispin zum Kiphkha. Man leidet nicht einen Moment lang mit dem liebestollen Schutztruppler aus Pappenheim. Zudem bleibt die Erzählung zu nahe an Frenssens staubtrockenem Stil des Feldzugberichts.

Literatur zur Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika

In der „NZZ“ beklagte der Historiker Gunther Neumann in seinem Artikel „Völkermord: Genozide erster, Genozide zweiter Klasse?“ kürzlich, dass die Hereros weder über eine weltweite Diaspora noch über eine sprachgewaltige Lobby verfügten. Es gebe zu wenig Literatur, die an das Schicksal der Herero erinnere, wie es dem Schriftsteller Franz Werfel mit den Armeniern gelungen sei. Naumann meint natürlich Werfels Die vierzig Tage des Musa Dagh, doch er irrt sich gewaltig: Alfred Andersch, Thomas Pynchon, Uwe Timm, Christof Hamann, Stephan Wackwitz oder Gerhard Seyfried – um nur einige Autoren seit der Nachkriegszeit zu nennen – sprechen mit Kurzerzählungen und Romanen auf sehr triftige Weisen das Schicksal der Herero an. Man muss Ludwig Fels zugutehalten, dass er sich mit einer schwierigen Liebesbeziehung während der Kolonialzeit beschäftigt. Die Thematisierung der Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika ist also ganz im Gegenteil geradezu ein Paradigma der deutschsprachigen Literatur. Das Problem ist vielmehr ein anderes: Postkoloniale Romane, die publikumsfreundlich und originell sein wollen, sich auf ältere Erzählformen rückbesinnen und sich mit Vergangenheit befassen – so zumindest die Schnelldefinition nach Paul Michael Lützeler – sind noch nicht sui generis wirkungsvolle Romane. Es bedarf eines kritisch-distanzierten (Timm), ethisch-feinfühligen (Wackwitz) und ästhetisch-reizvollen (Pynchon) Umgangs mit der Erinnerung an die Kolonialzeit und den Genozid sowie einer entsprechenden Erzähltechnik. Das ist ein recht hoher Anspruch, hinter dem der Roman Die Hottentottenwerft leider zurückbleibt.

Titelbild

Ludwig Fels: Die Hottentottenwerft. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2015.
389 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783990270622

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