Wie JunggesellInnen zu geschiedenen Leuten werden

Monika Wienforts „Geschichte der Ehe seit der Romantik“ bietet etliche Informationen und einige Schwächen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hochzeitsbräuche ändern sich. Wurde vor einigen Jahrzehnten noch gepoltert oder dem Bräutigam die Braut entführt, so sind unter jungen Leuten heutzutage die so anders gearteten JungesellInnenabschiede en vogue. Wie bekanntlich alles Kulturelle sind nicht nur die Hochzeitsrituale einer ständigen Veränderungen unterworfen, sondern auch die Ehe selbst, von den ersten Schritten ihrer Anbahnung bis hin zur Scheidung und den Jahren danach. Betroffen von diesen Wandlungen ist die Haltung der Individuen zur Ehe ebenso wie die der Gesellschaft und nicht zuletzt das Eherecht.

In ihrem Buch „Verliebt, verlobt, verheiratet“ hat die Historikerin Monika Wienfort nun „Eine Geschichte der Ehe seit der Romantik“ in der Absicht verfasst, den „aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten“ über das „Lebensmodell Ehe“ eine „historische Grundlage“ zu bieten. Die Autorin hat ihr Buch nicht einfach entlang der historischen Entwicklung der Ehe und ihrer Stellung in der Gesellschaft konzipiert, sondern entlang der „Phasen einer Paarbeziehung von ihrem Beginn bis zu ihrem Ende“. Es wird also nicht etwa der Werdegang einer Beziehung von den ersten Überlegungen des Paares eine Ehe zu schließen bis zu deren Ende jeweils für die einzelnen historischen Abschnitte dargestellt, sondern zunächst der Wandel der „Vorgeschichte“ von Ehen von der Romantik bis zur Gegenwart, sodann der Wandel des Hochzeitsrituals, derjenige des Ehelebens, der Elternschaft und schließlich von Scheidungen und Witwenschaft. In den Unterkapiteln wird etwa auf  Heiratsannoncen und Eheinstitute, den Heiratsantrag, standesungleiche Eheschließungen, das übliche Heiratsalter, die Dauer der Verlobungszeit, die Aussteuer und die Mitgift, das Namensrecht, Hochzeitsnacht und -reise, Eheverträge und Güterrecht, Eheratgeber, Gewalt in der Ehe, Mutterschaft und Stillen, Häufigkeit von Scheidungen und Scheidungsrecht sowie auf „Sühneversuche“ eingegangen. Wienfort konzentriert sich bei alldem weitgehend auf Eheverhältnisse und -paare im deutschen Sprachraum, doch werden gelegentlich auch „andere Länder und Verhältnisse punktuell einbezogen“. Bei diesen anderen Ländern handelt es sich ganz überwiegend um eines: die USA.

Ihren Ausführungen zu den „Stationen einer Ehe“ hat die Autorin fünf Kapitel zwischengeschaltet, in denen sie – nun in historisch chronologischer Reihenfolge – jeweils ein „berühmtes Ehepaar“ vorstellt, das die historischen Vorstellungen und Bedingungen einer Ehe ihrer Zeit repräsentiert. Die Wahl der Autorin ist auf Caroline und Wilhelm von Humboldt, Clara und Robert Schumann, Viktoria und Friedrich von Preußen, Katia und Thomas Mann sowie Freya und Helmut von Moltke gefallen.

Mit ihrer Darstellung entlang der „Stationen einer Ehe“ hat Wienfort eine kluge Entscheidung getroffen, denn so treten die jeweiligen Wandlungen besonders deutlich hervor, ohne dass die Autorin ständig vor- und zurückverweisen muss, was immer die Gefahr der Redundanz einschließt. Auch ermöglicht es den Lesenden, die sich für einen dieser Aspekte besonders interessieren, die Veränderungen in einem Kapitel nachlesen zu können, ohne in dem Buch suchend hin und her blättern zu müssen.

Gelegentliche Redundanzen erlaubt sich die Autorin gleichwohl. So weist sie etwa mehrfach darauf hin, dass in den 1950er- und 1960-Jahre in Deutschland so viel geheiratet wurde, „wie nie vorher und nie nachher“. Dennoch werden Entwicklungen und Veränderungen in dem Band meist weniger statistisch erfasst oder gar erschöpfend dargestellt, als vielmehr exemplarisch verdeutlicht. Die Auswahl der Beispiele erscheint dabei recht willkürlich und garantiert keinesfalls, dass sie immer repräsentativ sind. Auch weist Wienfort nicht alle ihre Zitate so nach, dass sie ohne weitere Hilfsmittel aufgefunden werden können. So zitiert sie etwa aus einem Aufsatz Robert Michels’, von dem man in einer Endnote erfährt, dass er den Titel „Die Grenzen der Brautstandsmoral“ trägt und in der Schrift „Bewegungen“ des gleichen Autors zu finden ist. Im Literaturverzeichnis sind Verfasser, Text und Buch, dessen vollständiger Titel im Übrigen „Soziale Bewegungen zwischen Dynamik und Erstarrung“ lautet, allerdings ebenso wenig gelistet wie manch anderere. Dafür wird auf der Rückseite des Titelblattes auf eine Internetseite verwiesen, die „eine umfangreiche Bibliographie“ biete.

Zwar kündigt die Autorin an, „nach den Ursachen des Wandels“ der Ehe und „dessen Geschwindigkeit“ zu fragen, doch bleiben ihre Ausführungen eher deskriptiv als analytisch.  Die ersten Kapitel des Bandes machen gleichwohl deutlich, wie sehr sich die Bedeutung von Hochzeit und Ehe über einen langen Zeitraum hinweg nicht nur für die beiden Geschlechter unterschied, sondern auch für die beiden Klassen, nämlich die der Arbeiter und Bauern einerseits, denen es aus finanziellen und rechtlichen Gründen keineswegs immer freistand zu heiraten, und die des besitzenden Bürgertums andererseits, dessen Angehörigen es stets nach Belieben möglich war.

Was nun die Geschlechter betrifft, so gab es im Leben bürgerlicher Männer vom Beginn des Untersuchungszeitraumes an bis heute mit Abitur und Unternehmensgründung stets „Übergangsschritte“ die nicht minder wichtig waren als Heirat und Ehe, während die Frauen dieser Klasse Wienfort zufolge in der Hochzeit bis ins beginnende 20. Jahrhundert hinein „den wichtigsten Übergangsritus überhaupt“ sahen. Dies allerdings hatte seine Ursache darin, dass es überhaupt der einzige Übergangsritus war, die ihre bürgerliche Biographie vorsah, sieht man einmal von Kommunion oder Konfirmation im Jungmädchenalter ab. Erst aufgrund der im 20. Jahrhundert errungenen Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu machen und ein Studium aufzunehmen, stand endlich auch Frauen eine „qualifiziertere Berufstätigkeit“ offen. Gleichberechtigung war damit allerdings noch lange nicht erreicht. Und sie ist es bis heute nicht, denn damals wie heute müssen sich Frauen im Unterschied zu Männern allzu oft zwischen einem Beruf und der Ehe respektive der Elternschaft entscheiden. Zumal, wenn sie eine Karriere anstreben.

Vom Tag der Hochzeit an „bildete die Mutterschaft, einschließlich des hohen Risikos der Geburt, die primäre Erwartung im Leben“ bürgerlicher Frauen des 19. Jahrhunderts. Die Gefahr, die Geburt eines Kindes nicht zu überleben, war für die Frauen zumindest bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhundert hinein nicht zu unterschätzen, denn erst in der zweiten Hälfte sank die hohe Sterblichkeitsrate der Wöchnerinnen dank des ungarisch-österreichischen Arztes Ignaz Semmelweis, der nachweisen konnte, dass sie ganz wesentlich auf mangelnde Hygiene der entbindenden Ärzte zurückzuführen war.

Dass die Ehe während der 1950er- und 1960er Jahre „in vielen westlichen Ländern ihr ‚goldenes Zeitalter‘ erlebte“, da „nie vorher und nie nachher ein so großer Anteil der Bevölkerung verheiratet“ war, ist wiederum nicht etwa darauf zurückzuführen, dass vorher weniger Leute heiraten wollten. Sie konnten beziehungsweise durften es nicht. So waren etwa Soldaten und Handwerksgesellen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert in Hamburg „mit Eheverboten belegt“, wie die Autorin anmerkt. Unerwähnt bleibt im Abschnitt „Eheverbote und staatliche Ehepolitik“ hingegen das um 1900 nicht nur in Hamburg geltende Eheverbot für Lehrerinnen. Erst in einer kleinen Nebenbemerkung des Abschnitts „Ansichten über die Ehe“ macht Wienfort darauf aufmerksam. 

Auch an anderer Stelle befriedigt Wienforts Darstellung nicht immer ganz. Etwa wenn sie  erklärt, „in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren legale Abtreibungen beinahe überall in Europa – mit Ausnahme von Irland, Portugal, Spanien und Belgien – möglich“, so ist das zwar nicht ganz falsch, aber doch nur die halbe Wahrheit. Denn Abtreibungen mögen zwar „möglich“ gewesen sein, doch waren beziehungsweise sind sie darum keineswegs schlichtweg legal, wie sich im noch immer gültigen § 218 des Strafgesetzbuches nachlesen lässt. Sie bleiben nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Auch verschweigt Wienfort, seit wann etwa in der Bundesrepublik Deutschland Abtreibungen unter welchen Bedingungen bis zu welcher Schwangerschaftswoche nicht strafrechtlich verfolgt werden.

Zu monieren bleibt auch manche ihrer Formulierungen. Wieso etwa herrschte nach dem Zweiten Weltkrieg „Frauenüberschuss“? War es nicht, wenn überhaupt, ein Männermangel? Schließlich waren sie es doch, die sich auf den Schlachtfeldern dezimiert hatten.

Einen Tiefpunkt erreicht das insgesamt informative Buch mit dem anderthalb Seiten umfassenden Abschnitt über „Gewalt in der Ehe“, die von Wienfort stets allgemein als „Gewalt zwischen Eheleuten“ bezeichnet wird. Diese Formulierung scheint zwar geschlechtsneutral zu sein, ist es tatsächlich aber keineswegs. Denn sie verschleiert, dass die TäterInnen in den allermeisten Fällen die Ehemänner und die Opfer meist die Ehefrauen sind. Somit ist sie eben nicht neutral, sondern kommt den Tätern zugute. Doch die Autorin geht noch einen Schritt weiter und legt einigermaßen subtil den Gedanken nahe, dass vor allem Männer Opfer der „Alltagsgewalt zwischen Eheleuten“ seien, indem sie nur auf die von ihnen erlittene Gewalt näher eingeht und erklärt, man sei aufgrund des aus dem 18. Jahrhundert stammenden „ehemännlichen und elterlichen Züchtigungsrechts“ zwar „traditionell von Gewalt von Männern gegen über Frauen aus[gegangen]“. Doch sei es in „Scheidungsverlangen“ der Frühen Neuzeit vorgekommen, dass „der Mann seiner Frau Gewalttätigkeit vorwarf“. Erst im 19. Jahrhundert finde sich diese Begründung „immer weniger“. Der Autorin zufolge „nicht unbedingt weil es seltener vorkam, sondern weil es den Ehemännern unpassend erschien, sich als Opfer ehelicher Gewalt zu beschreiben“. Angesichts solcher Ausführungen verwundert es nicht, dass sie dabei Vergewaltigungen in der Ehe gar nicht erst thematisiert.

Ungeachtet solcher Schwächen hat Wienfort ein Sachbuch vorgelegt, aus dem sich allerlei über die Ehe und ihre Geschichte erfahren lässt. So dürften manche überrascht sein, das einige mit der Ehe verbundenen Sitten und Gebräuche gar nicht von alters her tradiert, sondern noch relativ jung sind. Auch solche, die von angehenden Ehepaaren inzwischen schon wieder als altbezopft abgelehnt werden.

Titelbild

Monika Wienfort: Verliebt, verlobt, verheiratet. Eine Geschichte der Ehe seit der Romantik.
Verlag C.H.Beck, München 2014.
336 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783406659966

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch