Der Fotograf als Seelenfänger

Sabrina Železnýs „Das Geheimnis des Mahagonibaums“ über die Suche nach den Vorfahren am Leitmotiv der Fotografie

Von Selina JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Selina Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Fotografie kann den Abgelichteten seine Seele kosten. Von dieser Vorstellung werden die meisten Menschen schon einmal gehört und sie unverzüglich als die Spinnerei einer überholten Naturreligion abgetan haben. In Sabrina Železnýs neuem Roman wird diese Verbindung zwischen Fotografie und Seele dagegen nicht so einfach negiert. Vielmehr wird in diesem Werk die Vorstellung umgekehrt und den Bildern selbst ein Stück Seele verliehen.

Gleich zu Beginn wird der Leser in das romantisierte Thema Fotografie eingeführt: „Die Fotografie hat dich fasziniert. Einfangen, was die Seele sieht, hast Du einmal gesagt, das war noch am Anfang, als wir am Springbrunnen saßen und die Plätzchen aßen. Du hast sofort verstanden, dass Fotografie mehr ist als der schnelle Blick durch den Sucher, der mechanische Druck auf den Auslöser.“

Dieses fast schon glorifizierende Kunstverständnis verbindet die Protagonistin Blanca mit ihren Urgroßeltern. Ihr Urgroßvater Max hat Guadalupe durch seinen Beruf kennengelernt und in ihr die gleiche Leidenschaft für die Kunst der Fotografie entfacht, die er selbst empfindet. Die talentierte Blanca führt ihre Passion zu einer Foto-Akademie nach Peru, in das Heimatland ihrer Urgroßmutter. Dort begibt sie sich auf Spurensuche, um ihrer Großmutter einen langgehegten Wunsch zu erfüllen: Sie soll herausfinden, wieso ihr Urgroßvater nach Guadalupes Flucht aus Deutschland nie wieder von seiner Frau gehört hat.

Nachdem der Zweite Weltkrieg zur Trennung der jungen Familie geführt hat, bleiben alle Briefe, die Max an seine Frau schreibt, unbeantwortet. Durch diesen Umstand entmutigt, werden der Fotograf und seine Tochter ihr niemals nachreisen, sondern überlassen ihrer Urenkelin die unmöglich anmutende Aufgabe, Guadalupes Geschichte zu rekonstruieren. Dem Leser drängt sich dabei von Anfang an die Frage auf, die im Text erst nach 80 Seiten gestellt werden soll:

„Es ist auch merkwürdig […] jemanden nur mit Briefen finden zu wollen. Wenn es ihm ernst gewesen ist, warum ist er nicht einfach nach Peru gefahren und hat sie gesucht?“

Wer sich an dieser Stelle eine plausible Antwort erhofft, wird jedoch enttäuscht werden. Max‘ Fronteinsatz mag ein einleuchtender Grund für das Ändern seiner Reisepläne darstellen. Nach Kriegsende werden jedoch außer den ausbleibenden Briefen Guadalupes und den damit verbundenen Zweifeln, ob sie überhaupt in ihren Heimatort Arequipa zurückgekehrt ist, keine wirklich schlüssigen Gründe genannt. Jedenfalls keine, die von einer wütenden und jahrelang erfolglos wartenden Ehefrau nicht umgehend als schwache Ausflüchte abgeschmettert würden. Schließlich wartete Guadapule an dem Ort, den sie für Max Jahre zuvor verlassen hat: dem Kloster.

Obwohl die Romane und Kurzgeschichten der deutschen Autorin bisher mehr im Bereich der Fantasy und Jugendliteratur anzusiedeln waren, kommt ihr neuer Roman „Das Geheimnis des Mahagonibaums“ ganz ohne fantastische Elemente aus. In der Tradition ihrer vorangegangenen Werke hat Železný auch in diesem Buch ihre Vorliebe für Lateinamerika einfließen lassen und es ausschließlich in Peru situiert. Die insgesamt realistische Handlung wird nur vereinzelt durch etwas unwahrscheinlich anmutende Stellen gebrochen. Schließlich bietet Železnýs Roman auch sprachlich eine bildhafte Lektüre, ohne dabei zu sehr in Floskeln abzurutschen. Ihr Stil lässt die Handlung wie einen Hollywoodfilm vor dem inneren Auge des Lesers ablaufen, jedem Wimpernschlag wird der gebührende Respekt gezollt.

Blancas durch Fotografien begleitete und unterstützte Erinnerungs- und Vergangenheitsarbeit erinnert an W.G. Sebalds Figur des Austerlitz aus dem gleichnamigen Roman. Für Blanca sind die Fotografien ihrer Großeltern nicht nur nostalgische Erbstücke. Ähnlich wie in Sebalds letztem Werk sind die Bilder Hilfsmittel, die es ihr ermöglichen, die Vergangenheit ihrer Familie aufzuarbeiten. Dabei schwärmt Železnýs Werk mit solcher Inbrunst von der Fotografie, dass der Leser sich ihrer Begeisterung nicht entziehen kann. Dieser ist es zu verdanken, dass man über die zum Teil wenig überraschenden Wendepunkte hinwegsieht.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Sabrina Zelezny: Das Geheimnis des Mahagonibaums.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2015.
349 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783746630977

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