Die akkulturierten Exilanten

Said El Mtouni sucht bei drei Exil-Autoren nach den Bedingungen ihrer erfolgreichen Akkulturation

Von Bozena BaduraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bozena Badura

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über den Postkolonialismus zu schreiben oder sich dessen Ansätze zu bedienen scheint seit dem Erfolg von Homi K. Bhabha eine Mode der Zeit zu sein. Es ist aber mehr als nur das, denn es ist eine Antwort auf die erlebte Globalisierung der immer weiter zusammenrückenden Welt. Dass sich Said El Mtouni in seiner Freiburger Dissertation ausgerechnet den Themen der Akkulturation, der Hybridität und des Exils widmet, ist, wie aus der ausführlichen Danksagung hervorgeht, durch seine eigene Akkulturationserfahrung motiviert. Im Fokus seiner Untersuchung stehen drei aufgrund ihres Sprachwechsels und der erfolgreichen Etablierung in den Aufnahmeländern in Deutschland teils eher wenig bekannte Autoren: Vilém Flusser (Frankreich), Georg-Arthur Goldschmidt (Brasilien) und Ilse Losa (Portugal) sowie ihre Werke, deren herausragendes gemeinsames Merkmal „die Präsenz mehrerer unterschiedlicher Kulturen sowohl inhaltlich als auch auf Diskursebene“ sei. Zudem wurden die vom Verfasser ausgewählten SchriftstellerInnen, alle jüdischer Abstammung, zwischen dem Ersten Weltkrieg und Hitlers Machtübernahme geboren, sodass sie mit den politischen und sozialen Folgen des Ersten Weltkrieges aufwuchsen, was sie zu Angehörigen derselben Generation macht.

El Mtounis Anliegen ist es, die Erfahrung des Exils, die Akkulturationsprozesse, worunter der Autor einen neutralen Gegenbegriff zum negativ besetzten der ‚Assimilation’ verstanden wissen möchte, und die Hybridität „in mehreren theoretischen Konzepten zu erfassen, um diese Phänomene in ihrem historischen und soziokulturellen Kontext besser verstehen zu können“. Dies realisiert er, indem er autobiografische, fiktionale und publizistisch-essayistische Schriften Flussers, Goldschmidts und Losas analysiert, wobei auch die politische und soziale Situation in den Aufnahmeländern nicht unberücksichtigt bleibt. Seine Studie ist somit im Bereich der interkulturellen Literaturgeschichte mit Schwerpunkt auf der ästhetischen Verarbeitung kultureller Alteritätserfahrungen und ihrer Überwindung durch eine erfolgreiche Akkulturation zu verorten. Bei seinen auf die Erkenntnisse des Postkolonialismus gestützten theoretischen Ausführungen scheint den Autor stets die Frage zu begleiten, mit welchen Verfahren es den untersuchten Exilanten gelungen ist, sich erfolgreich zu akkulturieren. Hier wären der Sprachwechsel, die Anbindung an lokale soziale Netzwerke und die aktive Teilnahme am kulturellen Leben des Aufnahmelandes sowie die Identifikation mit den Werten der neuen Kultur zu nennen. Am Ende der Studie resümiert El Mtouni, dass die untersuchten Schriftsteller „sowohl auf der biologischen Ebene als auch auf der Textebene eigene und fremde Traditionsstränge und Traditionslinien integrieren“ konnten. Bedauerlicherweise beschränkt sich der Autor nur auf diejenigen Werke, die ohnehin auf Deutsch geschrieben bzw. bereits in diese Sprache übertragen wurden, wobei die hierzulande noch nicht entdeckten Texte weitere Aspekte zum Vorschein hätten bringen können.

Seine Studie beendet El Mtouni mit einem Plädoyer für die Aufnahme solcher akkulturierten SchriftstellerInnen in den Schulkanon, da man einerseits „[a]nhand der Erfahrungen dieser Exilierten […] den Schülern lebendige und erfolgreiche Beispiele der Akkulturation und Hybridität präsentieren“ könnte. Andererseits werde „[m]it der Öffnung des Kanons auf die Exilliteratur […] die Erinnerung an die Vernichtung dokumentiert und […] stets präsent gehalten“. Werke dieser Autoren, so El Mtouni, könnten zur besseren Kommunikation und Interaktion unterschiedlicher Ethnien und Minoritäten in der Gesellschaft führen.

Mit seiner Dissertation hat El Mtouni eine umfangreiche und fundierte Recherche vorgelegt. Die Übergänge zwischen den Unterkapiteln sind gut ausgearbeitet und jede Erweiterung der Perspektive ist plausibel begründet. Für die vielfältigen interdisziplinären Zugänge, die durch die Komplexität des Forschungsgegenstandes legitimiert sind, wären jedoch kurze Zwischenresümes hilfreich gewesen. Denn obgleich das große Ganze für den Leser nachvollziehbar und verständlich erscheint, sind die einzelnen Stellungnahmen des Autors zu den jeweiligen Phänomenen nicht eindeutig. Dennoch bietet die Studie einige Anschlussmöglichkeiten. So wäre eine Analyse der Texte unter dem Aspekt des therapeutischen Schreibens denkbar. Da in den besprochenen Werken keinesfalls nur erfolgreich akkulturierte Figuren auftreten, wäre es aufschlussreich zu fragen, welchen Einfluss das Aufschreiben der negativen Beispiele auf die erfolgreiche Akkulturation dieser Autoren hatte.

Insgesamt ist zu konstatieren, dass dieses Buch hinsichtlich der Theorie über die bereits bekannten Erkenntnisse kaum hinausgeht, dafür aber eine Vielfalt an Beispielen bietet, wie sich diese Ansätze im Leben und Werk manifestieren können. Wer sich in die Phänomene einlesen will, die eine Emigration begleiten, findet in der von Said El Mtouni vorgelegten Monografie eine geeignete Lektüre. Zudem ist diese Studie für diejenigen Forscher zu empfehlen, die sich auf die untersuchten Autoren spezialisieren, zu denen es eben, wie es die Quellennachweise vermuten lassen, bisher nur vergleichsweise wenige wissenschaftliche Publikationen gibt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Said El Mtouni: Exilierte Identitäten zwischen Akkulturation und Hybridität.
Literatur. Kultur. Theorie. Band 21.
Ergon Verlag, Würzburg 2015.
351 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-13: 9783956500831

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