Vom Lieben und Lesen

Angelika Krebs entwirft in „Zwischen Ich und Du“ eine Philosophie der dialogischen Liebe

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zuletzt war die Baseler Philosophin Angelika Krebs als MitherausgeberIn eines Bandes zur „Ethik des gelebten Lebens“ hervorgetreten. Nun lässt sie eine Monographie folgen, in der sie unter dem Titel „Zwischen Ich und Du“ das Konzept einer „dialogische Philosophie der Liebe“ entwirft und begründet. Unter dem Begriff der dialogischen Liebe fasst die Autorin Liebe als „eine Form des empfindenden und tätigen Miteinanders, in dem sich zwei Individuen aneinander entzünden“. Ihr „dialogisches Liebesmodell“ möchte Krebs „freilich nicht unbedingt für alle Formen der Liebe starkmachen“, sondern nur für den „für unser aller gutes Leben zentralen Fall der romantischen Liebe“.

Die „Kernidee“ ihres Modells besteht darin, dass die beiden einander liebenden Personen dann im Sinne der dialogischen Liebe „miteinander handeln“, „wenn sich der Sinn der Gesamthandlung nicht aus der Summe isolierter Einzelhandlungen ergibt, sondern als Sinneinheit die Beitragshandlungen der Beteiligten durchwirkt“. Weiter zeichnet sich das „liebende Miteinander“ dadurch aus, dass es „um seiner selbst willen erfolgt, „um die Individualität oder Partikularität der Beteiligten kreist“ und „auf Dauer angelegt“ ist.

Steht es aber dem individuellen Menschen überhaupt frei zu wählen, welche Art der Liebe die seine ist? Allenfalls begrenzt, würde Krebs antwortet, denn „dagegen spricht schon der Widerfahrnischarakter der Liebe“, den die Autorin der Möglichkeit einer völligen Rechtfertigung der je individuellen Liebe durch rationale Gründe entgegenhält. Denn „für die Liebe gilt, dass man sie zu einem guten Stück nicht in der Hand hat“. Somit spricht Krebs der „Liebe als Haltung“ einen Doppelcharakter zu, ist sie ihr zufolge doch „sowohl eine Bindung des Willens als auch ein Widerfahrnis“.

Ihr Konzept einer dialogischen Liebe macht Krebs nicht allein mit philosophischen Argumentationsketten stark, sondern auch mit Überlegungen zu Romanen von Henry James. Dabei, und das mag manche überraschen, schreibt Krebs, die nicht nur eine habilitierte Philosophin ist, sondern zudem Deutsche Literatur und Musikwissenschaft studierte, der Literatur einen Erkenntnisvorrang vor der Philosophie zu. Jedenfalls was das Thema des vorliegenden Buches betrifft. Mehr noch, die Philosophin räumt eine „Angewiesenheit der Philosophie der Liebe auf Literatur“ ein. LiteratInnen und Krebs’ WissenschaftskollegInnen aus der literaturwissenschaftlichen Disziplin werden das nicht ungern vernehmen.

Als Philosophin belässt es die Autorin selbstverständlich nicht bei der bloßen Behauptung des literarischen Primats, sondern begründet es, und zwar damit, dass ihre eigene Disziplin, deren „Potential“ in der „begrifflichen Ordnung und der argumentativen Orientierung“ liegt, welche die „dialogische Natur der Liebe“ nur „erkennbar“ mache; die Literatur aber mache sie „erfahrbar“ und erbringe dergestalt „eine Art konstruktiven Existenzbeweis für das Phänomen des geteilten Fühlens“. Zudem, so argumentiert sie weiter, seien manche Begriffe „nicht“, wie die Philosophie es unternimmt „über eine Angabe notwendiger und hinreichender Bedingungen greifbar“, sondern „nur exemplarisch, phänomenal, dialogisch und narrativ“. Da Liebe nun aber „narrativ, phänomenal, dialogisch und partikular“ ist, muss sie „in Dialogform exemplarisch erzählt und bedichtet werden“. Dabei hat „die literarische Vorführung von Wesensgesetzen des menschlichen Lebens“ der Autorin zufolge „etwas Apriorisches an sich“. Darin sei sie „konstruktiven Beweisen in der Mathematik“ verwandt. Aus diesem Grund sind die „konstruktiven Wahrheiten der Literatur“ nicht auf „Überprüfung oder Erhärtung seitens der empirischen Wissenschaften“ angewiesen. Zudem lasse Literatur die Lesenden „nicht nur besser sehen, was da ist, sie erfindet für uns auch neue Muster zu Leben, sie baut unsere Welt mit auf.“ Last not least erzählt die einschlägige Literatur nicht nur von der dialogischen Liebe, sondern tritt selbst in ein dialogisches Verhältnis mit den Lesenden, die, während und indem sie lesen, selbst eine Erfahrung durchleben, die derjenigen der dialogisch Liebenden entspricht, über die sie lesen.

Angesichts des so entfalteten Vorrangs der Literatur vor der Philosophie gibt sich Krebs bescheiden und kündigt an, selbst „mit philosophischen Mitteln“ ‚nur‘ das zu „erkunden“, was ein Literat, gemeint ist Henry James, „mit literarischen Mitteln vorgeführt hat“. Sie zieht die Romane ihres Gewährsmannes also keineswegs nur zur Illustration eigener Ausführungen heran. Bis es aber überhaupt soweit ist, muss man das vorliegende Buch fast schon zu Ende gelesen haben. Denn auf das Verhältnis von Philosophie und Literatur geht die Autorin erst im letzten der drei Hauptabschnitte des Bandes ausführlicher ein.

Seine ersten beiden Kapitel befassen sich hingegen mit philosophischen Modellen der Liebe, die mit dem ihren in Konkurrenz stehen, wobei der zweite Abschnitt zeitgenössischen PhilosophInnen gilt, während der erste zwei Modelle der Liebe je in ihrer historischen und ihrer modernen Variante vorstellt und deren erklärendes Potenzial mit demjenigen von Krebs’ eigenem Modell vergleicht. So „buchstabiert“ die Autorin ihr Liebesmodell im zweiten Kapitel in Auseinandersetzung mit den Liebesmodellen von Max Scheler, Edith Stein, Ulrich Baltzer, Margaret Gilbert, Michael Bratman,  Hermann Schmitz, Martha Nussbaum und Christiane Voss „aus“. Es schließt mit der „provokanten These“, dass Liebe nicht nur als Handelnde, sondern auch als Gefühl „notwendig geteilt“ sei.

Im ersten Kapitel grenzt die Autorin die dialogische Liebe einerseits vom „Fusionsmodell“ in Platons „blumigem und hochfliegendem“ Dialog „Das Gastmahl“ und andererseits vom „‚Care‘-Modell“ in Aristotelesʼ „spröde[m] und pragmatischem“ Werk „Nikomachische Ethik“ ab, „und weist das dialogische Modell als dasjenige aus, welches das Potential der Liebe für ein gutes menschliches Leben am vollsten ausschöpft“. Verkenne das ‚Care-Modell‘ von Aristoteles „die der Liebe innewohnende Reziprozität“, so bestehe das „Hauptproblem“ von Platons Verschmelzungsmodell darin, „dass es der Autonomie und Individualität der Einzelpersonen nicht gerecht wird und Liebe regressiv, als subpersonale Gemeinschaft, als besonders intensive Form von Ansteckung begreift“.

Unterscheidet Krebs die drei Modelle analytisch auch streng von einander, so weiß sie natürlich doch sehr wohl, dass es realiter zwischen dem ihren und den beiden anderen Liebesmodellen durchaus Überschneidungen oder ‚gemeinsame Teilmengen‘ gibt. Rein lässt sich vermutlich weder ihr eigenes noch irgendein anderes Liebesmodell in den Lebenswelten Liebender finden.

Dennoch hat Krebs mit ihrem dialogischen Liebeskonzept ein überdenkens- und im Sinne von Immanuel Kants Konzept der regulativen Idee auch erstrebenswertes Modell der Liebe vorgelegt. Ihr Buch aber ist nicht nur darum lesenswert, sondern auch wegen der prominenten Rolle, die es der Literatur für die Erkundung der Liebe und das Wissen der Liebenden zuspricht.

Titelbild

Angelika Krebs: Zwischen Ich und Du. Eine dialogische Philosophie der Liebe.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
369 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783518296639

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