Sex and the Königshof

Inger-Maria Mahlkes Roman „Wie Ihr wollt“ ist nur zum Teil gelungen – lesen kann man ihn trotzdem

Von Romy TraeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Romy Traeber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt einen englischen Kinderreim, der die Zuordnung der sechs Ehefrauen von Henry VIII. erleichtern soll: „divorced, beheaded, died, divorced, beheaded, survived“ (also: „geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt“). Inger-Maria Mahlkes dritter Roman Wie Ihr wollt stößt mitten hinein in diese Mischung aus Sex, Intrigen und Thronansprüchen, hinein in ein schwer historisches Setting. Man befindet sich in England des 16. Jahrhunderts und der Titel verweist natürlich nicht zufällig auf Shakespeares Was ihr wollt.

Zur Hilfestellung ist im Vor- und Nachsatz des Buches ein Stammbaum der weitverzweigten Tudor-Familie abgebildet, der sich dann aber leider als nicht so hilfreich entpuppt, weil die vierte Ehefrau Henrys, Anne of Cleves (ausgerechnet die deutsche Ehefrau!) kurzerhand vergessen wurde. Zugegeben, die Autorin versucht sich am Ende ihres Buches aus der Affäre zu ziehen und appelliert an den Leser, dass sie „keine Historikerin und dies […] kein historischer Roman, sondern die literarische Aneignung eines historischen Stoffes“ sei. Da im Text aber kurz auf alle Ehefrauen eingegangen wird, führt eine solche Ungenauigkeit zwangsläufig zu Verwirrung bei historisch nicht ganz so bewanderten Lesern, für die der Stammbaum jedoch vermutlich in erster Linie gedacht ist. Später wird im Text aus James IV. auch noch James VI. – Fehler, die in der vorliegenden 2. Auflage (!) eigentlich nicht mehr auftauchen dürften.

Was die Story selbst angeht, scheint sich ein altbewährtes Muster zu wiederholen: Ist irgendwann einmal alles über eine bestimmte Zeit gesagt, nehme man einfach eine unbedeutende Figur und lasse sie die Dinge aus ihrer Sicht erzählen. Oder man erfinde eine Figur und bediene sich des gleichen Schemas. Mahlke hat beides getan: Die unbedeutendste der Grey-Schwestern, Mary, eine zwergwüchsige Adelige mit (zumindest theoretischen) Ansprüchen auf den englischen Thron ist nicht sehr gut auf ihre „nicht ganz so liebe Cousine“ Queen Elizabeth I. zu sprechen. Denn die hat Mary Grey – die dem Leser als Ich-Erzählerin begegnet – beim Ehepaar Gresham unter Hausarrest gestellt, weil sie ohne Zustimmung der Königin geheiratet hatte. Mary, von vielen wegen ihrer Körpergröße (und des Aberglaubens) auch einfach nur „das Wesen“ genannt, ist böse, oder – folgt man dem Sprachduktus des Romans – eingeschnappt. Die rotzig-flapsige Sprache, die oftmals über subjektlose Sätze funktioniert, hat wohl die Aufgabe, den Leser von heute in die Zeit von damals zu transportieren – ein Plan, der nur bedingt aufgeht. Denn so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die in einem Kindeskörper steckengebliebene Mary auch in Bezug auf ihre geistige Reife nicht einer 26-jährigen entspricht.

Das ‚erwachsene Kind‘ entschließt sich also, einen Bericht zu schreiben, weil sie will, „dass etwas von mir übrig bleibt“, oder, wie sie zugibt, aus Rache für den Hausarrest – sehr zum Unmut ihrer Dienerin Ellen (das ist die fiktive Figur, wie der Leser am Ende erfährt). Was vorliegt, sind Berichte, die Mary Grey laut Text zwischen 3. September  und 7. November 1571 verfasst hat und die die Geschichte der Tudors, Greys, Seymors und wie sie alle heißen umspannt, kommentiert und bewertet. Eingerahmt sind diese Textstücke, die sich auch auf typografischer Ebene durch eine Kursivsetzung abheben, von Schilderungen Marys über ihre Situation unter Hausarrest, die gelegentlich ganz amüsant anmuten, vor allem, wenn sie von den Reaktionen der „Alten“ (Anne Gresham) berichtet, die ganz und gar unglücklich über ihren erzwungenen Hausgast ist. Der Kleinkrieg mit Ellen gehört dagegen zu den weniger spannenden Stellen im Buch.

Mahlke gelingt es, den Gegensatz zwischen individueller und kollektiver Geschichte aufzuzeigen. So wird Mary Tudor von Mary Grey (die Namensgebung war in dieser Zeit wirklich nicht sehr abwechslungsreich…) durchweg als „die liebe Cousine“ bezeichnet, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt, wenn im Satz davor die Rede davon ist, dass bereits seit Wochen „landauf, landab Protestanten [brennen]“. Der Beiname Bloody Mary für die Königin kam schließlich nicht von ungefähr.

Auch auf der discours-Ebene ist das Einstreuen der Berichte über die Familie ebenso chaotisch, wie es die Erzählerin Mary in ihrem Aufschreiben ist – am Ende muss der Leser aus allen Versatzstücken die richtige historische Reihenfolge herstellen. Das wirkt sehr durchdacht und ist etwas, wofür man die Autorin dann doch einmal loben muss.

Fazit: Der von der Jury des Deutschen Buchpreises mit dem Label „historischer Roman“ versehene Text ist stellenweise amüsant, wenn man sich damit abfinden kann, unter der Überschrift 1571 mit der Sprache eines Teenagers des 21. Jahrhunderts konfrontiert zu werden. Zur weiteren Beschäftigung mit dem durchaus spannenden historischen Stoff rund um die Tudors animiert es allemal.

Titelbild

Inger Maria Mahlke: Wie Ihr wollt. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2015.
258 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783827012135

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch