Hofmannsthal-Bowle

Franz Winters „Sommerfrische“ sorgt für Katerstimmung

Von Joachim SengRSS-Newsfeed neuer Artikel von Joachim Seng

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verhältnis der österreichischen Nachkriegsdichter zu Hugo von Hofmannsthal war nie das Beste. Franz Theodor Csokor, Romancier, Dramaturg und langjähriger Präsident des österreichischen P.E.N.-Clubs bezeichnete ihn abschätzig als den „Großsiegelbewahrer der Poesie“ und Hans Weigel, Schriftsteller und Kaffeehausliterat alter Wiener Schule, gründete sogar einen „Verein zur Verhinderung der Überschätzung Hugo von Hofmannsthals“. Ganz zu schweigen von Thomas Bernhard, der den Dichter des „Jedermann“ und des „Rosenkavalier“ als „Staatsdichter“ Österreichs abstempelte und ihn in seinem Werk allenfalls als Repräsentant der spezifisch Salzburgerischen Festspielkultur auftreten ließ, die ihm in höchstem Maße zuwider war. 1976 schrieb er für die Salzburger Festspiele das Stück „Die Berühmten“, eine beißende Satire auf den Salzburger Festspielbetrieb, die für den eingeplanten Skandal sorgte und aus dem Programm gestrichen wurde. Hofmannsthal tritt in dem Stück zwar nicht persönlich auf, von ihm ist jedoch unter den reichen und schönen Festspielgästen immer ehrfurchtsvoll die Rede, wenn es heißt: „Wenn das Hofmannsthal sehen könnte / wenn Hofmannsthal das erleben könnte“.

Wie gut, dass Hofmannsthal nicht mehr erleben muss, dass nun schon seine Freunde und Verehrer Bücher über ihn schreiben, die unfreiwillig wie eine Satire wirken. Franz Winter, dem Autor der Erzählung „Sommerfrische. Hugo von Hofmannsthal. Eine Auflösung“, ist dieses Kunststück gelungen. Aus Hofmannsthal-Zitaten, fiktiven Dialogen und Begegnungen, folkloristischen Landschaftsbeschreibungen und einer süßlich-blümeranten Sprache, die von Salzkammergut-Werbebroschüren inspiriert zu sein scheint, rührt er eine klebrige Hofmannsthal-Bowle an, die auch den gutmütigsten Sommerfrischler mit Kopfweh zurücklässt. Ein Beispiel gefällig? Im Kapitel „Grundlsee“ treffen Max Reinhardt und Hofmannsthal in den 1920er-Jahren zusammen, beide auf dem Weg zu Camillo Castiglioni, einem umtriebigen Industriellen sowie Mäzen Max Reinhardts und der Salzburger Festspiele. Nachdem der pausenlos sich selbst zitierende Hofmannsthal wieder ein Bonmot über die Landschaft am Grundlsee in die Septemberluft gehaucht hat, fragt Reinhardt „Von Ihnen“ und erhält als Antwort: „,Nein‘, gab der mit einem sandfarbenen Leinenanzug bekleidete Hofmannsthal flüsternd in die schwebend über dem Wasser verharrenden Melismen der Violinstimmen zurück, ‚vom Erzherzog Johann, der dort hinten seine Liebe fand‘.“ Und als habe Hofmannsthal die schwebenden „Melismen der Violinstimmen“ nicht schon genug gestört, nutzt der Erzähler sogleich das Schweigen des Dichters, um seine Protagonisten in eine sprachliche Kitschpostkartenlandschaft zu stellen und mundtot zu machen. Das klingt dann so:

Sie schwiegen und wandten sich nach der sie in einiger Entfernung begleitenden zweiten Plätte mit den geigenden, in knielange Lederhosen, milchweiße, kragenlose Hemden mit almrauschfarbenen Halstüchern und tannengrünen Jacken gewandeten Bauernburschen um, in deren Spiel jetzt ein dunkelhaariges, wie eine Sennerin angetanes Mädchen eine Blockflötenmelodie flocht, über den unbewegten Spiegel des Sees zu fliegen schien wie der silbern aufglänzende Reiher, der gegen die Gössler Bucht zog.

Dem Leser hätte der erstaunte Kritiker gewünscht, dass das Lektorat eines Literaturverlags seinem Autor die aus Blockflötenmelodien geflochtenen Wortzöpfe gründlich beschnitten hätte. Weder Hofmannsthal noch das schöne Salzkammergut haben solche klischeebeladenen Formulierungen verdient. Hätte Hans Weigel das noch erlebt, er hätte sicher einen „Verein zur Verhinderung des Gebrauchs unnötig klischeehafter Adjektive“ gegründet.

Nun ist Franz Winter als Regisseur, künstlerischer Leiter von Musikproduktionen und Schauspieler, unter anderem mit Engagements am Schiller-Theater in Berlin, am Burgtheater in Wien und bei den Salzburger Festspielen, ein kunstsinniger und literaturaffiner Mensch und zudem ein ausgewiesener Freund des Werks Hugo von Hofmannsthals. Doch mit diesem Buch hat er dem verehrten Dichter – vielleicht aus zu großer Zuneigung und zu wenig Distanz – einen Bärendienst erwiesen. Mit seinem Versuch, Hofmannsthal in den Jahren 1919 bis 1929 als Entwurzelten „zwischen der ehemaligen Hauptstadt des untergegangenen Habsburgerreiches Wien“ und seiner „Sommerfrische“ Aussee zu präsentieren, bestätigt er ungewollt all jene Kritiker in Österreich, die in Hofmannsthal den konservativen, rückwärtsgewandten Staats- und Festspieldichter Österreichs sehen und seine dichterische Modernität nicht erkennen.

So herrscht nach der Lektüre von Winters Büchlein Katerstimmung: Vor der Lektüre dieses kalten, viel zu süßen Hofmannsthal-Mischgetränks muss eindringlich gewarnt werden. Zumal dem Leser leider auch nicht erspart bleibt, dass der tragische Tod Hofmannsthals und der Selbstmord seines Sohnes Franz am Ende des Buches (die Todesanzeige wird als Faksimile abgedruckt) in zwei kurzen Kapiteln szenisch abgehandelt werden. Warum, fragt man sich, und ist froh, dass nach etwa 50 Seiten die Erzählung zu Ende geht und ein ebenso langer Anhang mit den Biographien der handelnden Personen sowie drei Originaltexten Hofmannsthals folgt. Davon ist im Titel und in der Verlagsankündigung allerdings nicht die Rede. Das Buch ist damit eine Mogelpackung, denn – und hier variiere ich einen gegen Hofmannsthal gerichteten Vers seines Intimfeindes Karl Kraus: Dem Leser ist es nicht egal, ob Winter oder Hofmannsthal.

Man lese statt Winter Buch lieber Hofmannsthals luzide, großartige Prosa im Original. Auch deshalb, weil dem Dichter ein einziger Satz ausreichte, um die Bedeutung jener „Seelenlandschaft Salzkammergut“ zu beschreiben, die Franz Winter auf 50 Seiten vergeblich zu erfassen sucht. Schon 1899 schrieb Hofmannsthal aus der Sommerfrische in Aussee an den Theaterleiter und Regisseur Otto Brahm nach Berlin: „das ganze Leben ist so wunderbar reich, ab und zu taucht aus dem Spiegel ruhiger Stunden meine Arbeit auf und dahinter andere Bilder mehr und mehr, ich weiß wirklich wenn ich auch viele trübe und düstere Jahre erleben müsste, ich dürfte nie klagen dass mein Leben arm war, da ich einmal die Gegenwart eines solchen Daseins erlebt habe“.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag ist seit dem 10.11.2015 auch bei Literatur Radio Bayern zu hören.

Titelbild

Franz Winter: Sommerfrische. Hugo von Hofmannsthal – Eine Auflösung.
Wilhelm Braumüller, Wien 2015.
100 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783992001316

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