Der Trauernde hat einen Vogel

Max Porter begibt sich auf die Spuren von Ted Hughesʼ Krähendichtung

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Max Porters literarisches Debüt kommt mit reichlich Vorschusslorbeeren – oder sollte man, um im zentralen Bild dieser lyrischen Erzählung zu bleiben, lieber davon sprechen, dass der Autor sich bereits mit einigen Federn schmücken darf? Mit fremden Federn gar? Man wäre dann schnell beim Vorwurf der Epigonalität, denn in der Tat hat sich Porter – woraus er auch gar kein Hehl macht – dieses „Ding mit Federn“, wie er es in Anlehnung an einen bekannten Vers Emily Dickinsons betitelt hat, bei seinem persönlichen literarischen Fixstern Ted Hughes ausgeborgt. Die tricksterartige, mythologische Krähen-Persona ersann der spätere britische „poet laureate“ in den 1960er-Jahren für sein nie vollendetes Hauptwerk Crow, ihr lyrisches Gekrächze half dem Witwer von Sylvia Plath damals durch eine Lebenskrise.

Hier nun legt die Krähe einen Auftritt à la Mary Poppins hin – sie kommt nicht mit dem Schirm in der Hand angeflogen, aber legt durchaus gouvernantenhafte Züge an den Tag, um einer Familie beizustehen, die den Verlust der Mutter beweint. Diese bleibt (wie alle Figuren im Buch) namenlos, und gewinnt dennoch Konturen. „Im Epizentrum“ der Trauer bewegen sich der von Erinnerungen gequälte Ehemann und zwei Söhne, bei denen „Geld, Zeit und Geschlecht“ noch nicht zugeschlagen haben – ein Männerhaushalt, den es gegen böse Dämonen zu verteidigen gilt, besonders gegen die Geister der Erinnerung, die sich wie Parasiten von der Trauer im Haus ernähren –, und die die derb-fluchende Krähe kurzerhand verprügelt. „Ich gehe erst wieder, wenn du mich nicht mehr brauchst“, verspricht dieser skurrile Schutzgeist, und wird am Schluss Wort gehalten haben.

Wie bereits das knappe Resümee verdeutlicht, haben so manche bekannte Tierfiguren ihre Spuren im Text hinterlassen – Krähes nächtliche Heimsuchung hat Porter beim bekanntesten Schauergedicht der Literaturgeschichte entlehnt, bei Edgar Allan Poes unerbittlich „Nimmermehr“ krächzenden Raben, der ebenfalls als ungebetener Gast einen von Trauer umnachteten Protagonisten heimsucht. Und auf die Gefahr hin, dass der dürre Vogel unter all dem intertextuellen Ballast kollabiert, macht Porter aus dem Familienvater – so viel Verspieltheit, offen zur Schau gestellte Epigonalität und Dopplung im literarischen Spiegelkabinett ist in England eigentlich die Domäne der mit einem Bein in der Literaturwissenschaft stehenden „campus novelists“ wie David Lodge oder Malcolm Bradbury – auch noch einen Ted-Hughes-Forscher, der an einer großen Crow-Analyse schreibt.

Was hier nach einem etwas selbstgefälligen literarischen Insider-Witz  und nach spirituellem Erbauungskäse klingt, funktioniert in Porters dichter Sprache durchaus adäquat. Der Autor umschifft den einen oder anderen Klischee-Stolperstein, indem er auf allzu viel aufdringliche Introspektion verzichtet. Viel wird lediglich angedeutet beziehungsweise in prägnanten Sprachbildern formuliert, in einigen Passagen (in denen Porter seinem Vorbild Hughes durchaus auf Augenhöhe begegnet) wird überzeugend realer Schmerz gegen abgeschmackte Sprachklischees in Stellung gebracht. Damit gelingt es Porter, Helden aus Fleisch und Blut zu behaupten, die – anders etwa als Poes moribunder Schwarzromantiker – den Trostfloskeln ihrer hilflosen Umgebung konkrete Bedürfnisse entgegenhalten: „Ihr braucht Zeit“, hören die Hinterbliebenen immer wieder, doch „in Wirklichkeit brauchten wir Waschpulver, Läuseshampoo, Fußball-Sticker, Batterien, Bogen, Pfeile, Bogen, Pfeile“. Die aus dem Unterbewusstsein des Hughes-versessenen Protagonisten geborene Krähe kann da nur zustimmen, wird sie doch stets ungehalten, wenn der Vater „wie ein Kühlschrankmagnet“ zu klingen beginnt.

Zwar kann die deutsche Übersetzung nicht immer mit der alliterationswütigen, schimpfenden „Legenden-Lieder-Todeshauch Krähe“ mithalten – besonders im ersten Teil sind die Metaphern gelegentlich krumm geraten –, und auch die zentrale Prämisse des Buchs, dass das Gefühl der Hinterlassenschaft, welches das literarische Epigonentum auszeichnet, tatsächlich dem Schmerz vergleichbar sein soll, der mit dem Verlust eines geliebten Menschen einhergeht, dürfte nicht jedem einleuchten. Doch am Schluss nimmt Porters poetische Agenda den Leser für ihn und seinen präzise gearbeiteten Text ein. Da berührt dann sogar der abgegriffenste Topos der Trauerliteratur – die Asche der Verstorbenen wird von den Hinterbliebenen am Meeresufer verstreut –, und da schluckt man auch die teils sehr streberhaft vorgeführte Belesenheit. Der Debütant Max Porter, der im Hauptberuf Buchhändler ist, möge daher bitte erneut zur Feder greifen – diesmal vielleicht, ohne sie vorher seinen Idolen ausreißen zu müssen.

Titelbild

Max Porter: Trauer ist das Ding mit Federn. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Matthias Göritz und Uda Strätling.
Carl Hanser Verlag, München 2015.
125 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783446249561

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