Kleider machen Leute

Unterhaltsam und mit feiner Ironie: Eduardo Mendoza widmet sich in „Der Walfisch“ geheuchelter Frömmigkeit und Bigotterie im Barcelona der Franco-Ära

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aufruhr in einer wohlanständigen Familie in Barcelona: Aus Anlass des ersten eucharistischen Weltkongresses nach dem Zweiten Weltkrieg erwartet die Stadt für einige Tage 300 Bischöfe und 15.000 Priester aus aller Herren Länder. Endlich also mal wieder ein Ereignis, das Glanz und internationales Flair in das von den Nachwirkungen des Krieges und von der Franco-Diktatur gebeutelte Land bringen wird. Da möchte natürlich jeder gute Katholik sein Scherflein beitragen, um das Ganze zum Erfolg zu bringen. So müht sich nicht nur die Stadtverwaltung der katalanischen Metropole redlich, die Infrastruktur zu verbessern und die Stadt auf Hochglanz zu bringen. Auch die Gläubigen vor Ort sind gefragt, denn es gibt trotz brandneuer Hotelbauten bei weitem nicht genug Hotelbetten für die internationalen Gäste.

Natürlich kann auch Tante Conchita, dank des Reichtums ihres Mannes die ungekrönte Königin ihres Familienclans, in einer solchen Situation nicht Nein sagen. Schließlich bringt die Aufnahme eines leibhaftigen Bischofs gesellschaftliches Ansehen und unmittelbare Einblicke in das Kongressgeschehen mit sich – und natürlich Punkte auf dem Guthabenkonto christlicher guter Werke, so zumindest ihr Kalkül. Also trommelt sie die ganze Familie zusammen, die, gelinde gesagt, aus recht eigenwilligen Charakteren besteht, und erteilt ihren unzuverlässigen Brüdern mit Anhang genaue Regieanweisungen für die erwarteten Tage in Glanz und Gloria. Denn jeder von ihnen muss bei der Bewältigung der christlichen Pflicht mithelfen, wie der Ich-Erzähler, der Sohn von Conchitas ärmlichem und alkoholabhängigem Bruder, zu berichten weiß.

Umso größer ist die Überraschung, als dann der tatsächliche Bischof auftaucht. Alle haben sich herausgeputzt, das beste Essen wird aufgetragen – jedoch erscheint mit Don Fulgencio Putucás eine völlig uncharismatische Person aus einem unbekannten mittelamerikanischen Staat. Weder weiß der wenig sympathische Mann, der zum Schrecken der Gastgeberin offensichtlich indigener Abstammung ist, sich würdevoll zu benehmen noch wirkt er besonders christlich. Doch auch wenn seine Persönlichkeit eher eine Enttäuschung darstellt, der Kongress ist jedenfalls keine. Das große Fest mit dem üblichen zeremoniellen Katholiken-Pomp wird für Tante Conchita und die ihren eine angenehmer Zeitvertreib. Allerdings wird es für sie aus ganz anderen Gründen zur bleibenden Erinnerung: Ein Putsch in der Heimat des Bischofs vereitelt dessen Rückkehr – und zu allem Überfluss nimmt sich auch die Kirche seiner nicht an.

Also bringt Tante Conchita den verdutzten Don Fulgencio bei ihrem alkoholkranken Bruder unter, wo er in kürzester Zeit vom Würdenträger zu Fulgencio mutiert – einem einfach gestrickten Indio, der in abgetragenen Klamotten im Haushalt hilft und auf Sauftour mit dem Gastgeber geht. Schließlich verschwindet er ganz von der Bildfläche, bis er nach Jahren wieder auftaucht und anlässlich eines neuen Staatsstreiches seine Rückkehr in das Heimatland ankündigt. Doch auch diese Wendung birgt für alle Beteiligten noch einige Überraschungen in sich.

Soweit ist der Plot schnell zusammengefasst, handelt es sich doch einmal mehr um eine Abwandlung des Motivs „Kleider machen Leute“. Deshalb kommt die Geschichte in ihrer Grundthematik wenig überraschend daher, ziemlich rasch wird deutlich, dass es hier um das Wechselspiel von Schein und Sein geht. Dennoch wäre nicht Mendoza einer der besten spanischsprachigen Autoren unserer Zeit, wenn er einer vergleichsweise einfach gestrickten Geschichte nicht doch diverse Nebengeleise und Episoden einfügen würde, die einiges Lesevergnügen bereiten. Seine feinsinnige, ironische Erzählweise bringt Tragik und Komik einträchtig zusammen und skizziert das Gesamtbildnis einer Familie, bei der letztendlich fast alle – vom Ich-Erzähler abgesehen – mehr oder weniger in ihren Lebensentwürfen scheitern.

So ist „Der Walfisch“ zwar sicherlich keines der stärksten Werke Mendozas. Doch wer sein Handwerk so fabelhaft beherrscht wie er, schafft es selbst mit seinen schwächeren Texten besser zu sein als der literarische Durchschnitt. Ihn als Roman zu betiteln, scheint allerdings nicht ganz passend. Dazu trägt nicht nur die Kürze des Textes mit seinem Umfang von knapp 130 Seiten bei, sondern auch sein ursprüngliches Erscheinen gemeinsam mit zwei anderen Texten unter dem Titel „Tres vidas de santos“ (2009, dt.: Drei Heiligenleben).

Titelbild

Eduardo Mendoza: Der Walfisch. Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2015.
125 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783312006465

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