Pippi Langstrumpf in Rüschenschürze

Auftakt zu einer neuen Trilogie: „Little Miss Ivy“ bietet Sprachwitz und eine starke Mädchenfigur

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ivy Pocket ist Dienstmädchen. Und zwar eines der Kategorie „wandelnde Katastrophe“. Kein Wunder also, dass ihre Brötchengeber sie nur allzu schnell wieder loswerden wollen. Während eine Londoner Familie sie schlau an die französische Gräfin Karbunkel weitervermitteln konnte, sieht diese nach einem desaströsen Abendessen, in dessen Verlauf ihr Gesicht von der Zofe in den Fruchtpunsch getunkt wird, keine andere Wahl als die Flucht. „Folge mir nicht! […] Ich segle nur aus einem einzigen Grund nach Südamerika, und zwar weil es weit genug von Paris entfernt ist und ich sicher sein kann, dass ich dich nie wiedersehe. […] Auf Nimmerwiedersehen“, muss das schockierte – nun arbeitslose – Dienstmädchen am Morgen auf einem Zettel lesen.

Mittellos und allein in einem fremden Land: Das würde jede andere Zwölfjährige im 19. Jahrhundert – denn so jung ist die berufstätige Protagonistin des Kinderbuchs „Little Miss Ivy“– verzweifeln lassen. Doch nicht Ivy Pocket. Während diese also schnell Pläne für das weitere Vorgehen schmiedet, kommt ihr überraschend die Herzogin von Trinity zu Hilfe und erteilt ihr einen geheimnisvollen Auftrag. Ivy soll wieder zurück nach England fahren und der Enkelin einer alten Freundin der Herzogin eine Uhrenkette, an der sich ein Diamant befindet, überbringen. An sich keine so große Sache, möchte man meinen. Der Haken: Der Stein ist nicht nur wertvoll, sondern besitzt auch ganz besondere, geheimnisvolle Kräfte – weshalb eine nicht weniger geheimnisvolle Gruppe von kleinen Kapuzenmännchen längst hinter der Kette her ist. Noch bevor Ivy Pocket mit ihrer kostbaren Fracht das Schiff nach England betreten kann, wird die Herzogin ermordet – und die Verfolger machen sich auf die Jagd nach Ivy.

Eine eigenwillige, fantastische und auch rasante Geschichte um eine kindliche Zofe hat Caleb Krisp da mit „Miss Little Ivy“ vorgelegt. Der Plot selbst rund um den Uhrendiamanten und um Geister, Legenden und Gestalten aus einer anderen Welt vermag zwar nicht immer zu überzeugen, zumindest nicht im ersten Teil der auf eine Trilogie angelegten Geschichte (Teil 2 ist auf Englisch für Mai 2016 angekündigt). Hier ist schlicht abzuwarten, inwiefern die Folgebände die mitunter etwas wirren Fäden der Handlungsstränge wirklich ordnen können. Auch angesichts der gängigen Motive der Kinder- und Jugendliteratur, wie dem Motiv der Elternferne (Ivy ist ein Waisenkind), dem Motiv der Bewährung in unbekannter Umgebung oder dem der Reise, bietet der Band keine allzu großen Überraschungen.

Was das Buch hingegen lesenswert macht, ist seine Komik rund um die skurrilen Figuren, vor allem die Protagonistin: Mit Ivy Pocket ist dem Autor, der unter Pseudonym schreibt, eine starke Mädchenfigur geglückt, die sich durch Mut, Beherztheit und Charme auszeichnet sowie durch eine verblüffend direkte Art, gepaart mit einer blühenden Fantasie. Kurz: Ivy wäre eine moderne Pippi Langstrumpf, würde sie nicht Rüschenschürzen tragen und im 19. Jahrhundert leben. Ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein und ihre ganz eigene Sicht der Dinge führen immer wieder zu frechen Dialogen und Situationskomik, wenn jegliche Kritik an Ivy abprallt beziehungsweise in ihre Weltsicht transformiert wird, wie zum Beispiel in der Begegnung mit der alten Freundin der Herzogin von Trinity, die Ivy in kürzester Zeit gegen sich aufgebracht hat:

Ich blickte in ihre zornfunkelnden Augen und plötzlich überbekam mich Mitleid mit ihr. Es war gewiss furchtbar schrecklich, so alt und unglücklich zu sein. „Lady Elizabeth, es ist kein schlimmes Verbrechen, eine vertrocknete, runzlige Alte zu sein. […] Aber ich bin überzeugt davon, dass nur die Kopfschmerzen Sie zu so einer miesepetrigen alten Schachtel machen.“

Und natürlich hat Ivy ein Hausrezept gegen die vermeintlichen Schmerzen parat, das sie auch umgehend an der vornehmen Lady anwendet – allen Einsprüchen der „alten Walnuss“ zum Trotz. Das bleibt beileibe nicht das einzige Fettnäpfchen, in das die kleine Zofe begeistert springt. Auf die weiteren Ungeheuerlichkeiten in den Folgebänden darf man deshalb gespannt sein.

Titelbild

Caleb Krisp: Little Miss Ivy.
cbj Verlag, München 2015.
320 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783570171264

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