Das Buch als Schwert des Geistes

Ein von Ernst Fischer und Reinhard Wittmann herausgegebener Sammelband beleuchtet die Geschichte des deutschen Buchhandels zur Zeit des Nationalsozialismus

Von Michael EschmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Eschmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bisher glaubte man, dass der Nationalsozialismus die beiden Massenmedien Film und Radio vorwiegend nutzte, um die Bevölkerung im Sinne des Regimes zu lenken. Aber das Buch, ein „Schwert des Geistes“, wie die Nationalsozialisten es gerne nannten, war durchaus wirkungsvoller und effektiver. Mit ihm konnten Volksgenossen im Sinne der nationalsozialistischen Sichtweise nicht nur gelenkt, sondern geradezu manipuliert werden. Der von Ernst Fischer und Reinhard Wittmann vorliegende Sammelband zur Geschichte des deutschen Buchhandels im Dritten Reich beginnt mit der Gleichschaltung des literarischen Lebens. Verbannt beziehungsweise auch verbrannt wurden unter anderem Schriften von Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Erich Ebermayer, Kasimir Edschmid, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank und vielen mehr. Verfemt waren nicht nur jüdische Autoren, sondern nahezu alle Repräsentanten der literarischen Moderne, die sich während der Weimarer Republik national und international durchgesetzt hatten. Ein Höhepunkt der Verachtung für diese Autoren war die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin.

Eine Abbildung im Buch zeigt eine Gruppe von lachenden Studenten, die fröhlich gestimmt Büchermengen zum Feuer tragen. Ein besseres Stimmungsbild für den Nationalsozialismus hätten die Herausgeber nicht finden können. Hier belegt ein Bild, auf erschreckende Art und Weise, nicht nur ein Zeitalter der kulturellen Finsternis, sondern verweist ebenso auf die gesamte Hintergrundproblematik des umfangreichen Bandes. Der neue Zeitgeist verstand es, einen „Zivilisationsbruch“ herbeizuführen, der darin bestand, dass man nicht nur glaubte, etwas Richtiges zu tun, sondern vielmehr fanatisch überzeugt war, etwas Gutes zu vollbringen. Die öffentlichen Trennungen von unliebsamen Autoren und deren Büchern, die „gegen den deutschen Geist“ waren, hatten Volksfestcharakter. All dies glich einer inneren und moralischen Erneuerung, die man durch sogenannte „Feuersprüche“ nicht nur zelebrieren, sondern gar noch steigern wollte. Erinnert sei an dieser Stelle an den Feuerspruch für Erich Kästner, der zu allem Unglück bei einer Bücherverbrennung durch Zufall anwesend war und mit ansehen musste, wie die eigenen Bücher in den Flammen aufgingen: „Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Kästner.“ Geradezu prophetisch muten hierzu Heinrich Heines berühmte Worte an: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“

Für Leser, die sich mit diesem Thema noch ausführlicher beschäftigen möchten, ist die veröffentlichte Liste „Überblick über die Bücherverbrennungen in Deutschland 1933“ sehr hilfreich. Immerhin listet sie über 80 weitere deutsche Städte auf, darunter auch Offenbach, Kellinghusen, Pforzheim oder Worms, wo Bücherverbrennungen stattfanden. Allerdings waren die Initiatoren hier nicht immer nur Studenten, sondern auch die Hitler-Jugend, der Kampfbund für deutsche Kultur und der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband. Der erste Teilband beinhaltet ferner die folgenden Themen: Entrechtung und Vertreibung jüdischer und oppositioneller Verleger, „Gleichschaltung“ des Buchhandels, Arbeitsweise und Organisationen der Reichsschrifttumskammer, die Situation der Autoren zwischen Anpassung und Innerer Emigration, die Indoktrination der Leser, die Literaturpolitik des Regimes, die Zensur, die Buchgestaltung, der Zwischenbuchhandel und die Bedeutung der Lexikonverlage.

Das Buch richtet sich vorwiegend an wissenschaftlich interessierte Leser. Entsprechend fundiert und kompetent  sind die Beiträge verfasst, die oft auf Recherchen in Archiven zurückgreifen, allerdings auch die aktuelle Forschungsliteratur nicht außer Acht lassen. Der Sammelband wird für lange Zeit ein gutes und zitierfähiges Standardwerk bleiben. Die übersichtliche Gliederung erleichtert einen schnellen Einstieg in das doch sehr komplexe Thema. Außerdem finden sich hier viele Autorennamen vereint, die Anreiz geben, sich wissenschaftlich näher mit ihnen zu beschäftigen. Allerdings erscheint genau aus diesem Grund es unverständlich, warum diesem ersten Band nicht bereits ein Register beigegeben wurde. Es hätte dem Leser beim wissenschaftlichen Arbeiten eine große Hilfe sein können. Wie zu erfahren war, soll dies nun durch ein Interimsregister im Internet in Kürze nachgeholt werden. Geplant ist ferner, dass der zweite Teilband die Vorstellung der verlegerischen Programmbereiche fortsetzen sowie die Erscheinungsformen des verbreitenden Buchhandels, darunter Sortiments- und Antiquariatsbuchhandel, ausführlich dokumentieren wird.

Titelbild

Ernst Fischer / Reinhard Wittmann (Hg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 3: Drittes Reich. Teil 1.
De Gruyter, Berlin 2015.
458 Seiten, 159,95 EUR.
ISBN-13: 9783598248061

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