Der literarische Hindenburg

Sebastian Hansen über „Thomas Mann und die deutsche Politik“

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens mit seiner 1922 gehaltenen Rede „Von deutscher Republik“ hatte sich Thomas Mann öffentlich zum Vernunftrepublikaner gewandelt. Mit seiner Annäherung an die Sozialdemokratie und seinen Warnungen vor dem Nationalsozialismus nahm er an den geistigen und politischen Auseinandersetzungen in der Republik teil.

In seiner Studie Betrachtungen eines Politischen. Thomas Mann und die Deutsche Politik 1914–1933, 2013 von der Universität Düsseldorf als Dissertation angenommen, untersucht Sebastian Hansen, wie die deutsche Gesellschaft während des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik auf Thomas Mann reagierte. Der Germanist zeigt das politische und kulturelle Selbstverständnis Thomas Manns, aber vor allem auch, „welche Akteure maßgeblich daran beteiligt waren, eine Vorstellung von Thomas Mann zu vermitteln, welche Motive sie anleiteten und welche Rolle er für sie zu erfüllen hatte“. Die Untersuchung ist damit rezeptionsorientiert: „Die Bedeutung eines Künstlers und seines Werks bemisst sich an der Bedeutungszuschreibung“, schreibt Hansen.

Dass Kritik an Thomas Mann häufig weltanschaulich begründet und vor allem politisch motiviert war, ist keine neue Einsicht. Kurt Sontheimer (Thomas Mann und die Deutschen, 1961), Manfred Görtemaker (Thomas Mann und die Politik, 2005) und Philipp Gut (Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur, 2008) haben die Politisierung des Schriftstellers, die im Ersten Weltkrieg begann, genau dargelegt. Hansens Verdienst ist es, die politischen Einbindungen Thomas Manns genauer zu verfolgen. Er nimmt die Politik selbst in Augenschein: die politischen Journalisten, die Mitarbeiter in Ministerien, die Botschafter, die Thomas Mann nach Stockholm oder London einluden, um ein demokratisches Deutschlandbild zu vermitteln.

So versuchte Botschafter Hellmuth Lucius von Stoedten den Schriftsteller nach Stockholm zu holen. Am liebsten vor Frühlingsanfang, denn, so der Botschafter, „sobald die ersten Frühlingslüfte wehen“, sei „der Schwede für ernste Darbietungen des Abends nicht mehr zu haben“. Allerdings trugen auch die mangelhaften Kenntnisse der modernen deutschen Literatur bei den „Herren der deutsch-schwedischen Vereinigung“ dazu bei, dass der Termin letztendlich nicht zustande kam.

Insbesondere an die Bemühungen von Ernst Bischoff, der seit 1915 als Referent in der Literarischen Abteilung der Zentralstelle für Auslandsdienst tätig war, wird das politische Bemühen um Thomas Mann sichtbar. Er unternahm 1919 den Versuch, Mann für eine Äußerung oder Aktion zu gewinnen, die propagandistisch gegen den Versailler Vertrag gerichtet sein sollte. Mann wurde für das Auswärtige Amt ein Gesandter des deutschen Geistes.

Der Schriftsteller, der im November 1918 den „Anbruch einer neuen Zeit“ wahrgenommen hatte, wurde Teil der Auseinandersetzung um die Zukunft und Vergangenheit der Nation. Dies bezeugt insbesondere die Bewertung Eduard Herolds vom 12. Oktober 1919 in der Wester-Zeitung: „Thomas Mann ist der literarische Hindenburg“. Der „poetisierende Historiker“ Mann wurde in Verbindung mit dem Helden der Schlacht von Tannenberg in Verbindung gebracht. Als Mann sich nach einem langen Annährungsprozess im Herbst 1922 öffentlich zur Republik bekannte, hatte sich bereits ein Bild von ihm verfestigt, das ihn als Gegner der Republik zeigte und das deshalb mit einem Mal unstimmig erschien. Seine einstigen Mitstreiter  wurden zu seinen größten Kritikern. Hansen schreibt dazu: „Es bleibt unübersehbar, dass der Schriftsteller öffentlich besonders von einer Seite rezipiert wurde, die es zwangsläufig als Verrat begreifen musste, dass sich ‚ihr‘ Mann 1922 zur Republik bekannte.“

Hansen zeigt, dass es zwischen Mann und der Deutschen Demokratischen Partei eine Verbindung gab, die auf der Verteidigung der Republik gründete. Er beschreibt die Haltung Manns nuanciert: „Nach wie vor sah er sich nicht auf eine Partei festgelegt und mied eine solche enge Verbindung. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit aufgrund gemeinsamen politischer Interessen scheute er aber nicht.“

Dem Autor ist eine gut fundierte Dissertation gelungen: über die Rolle Thomas Manns als bedeutende Gestalt der nationalen Identität, über den Schriftsteller als „hohen Geist“ der „Kulturnation“. Thomas Mann und die deutsche Politik zeigt, wie vielen Menschen in der Weimarer Republik Thomas Mann ein Begriff war, was sie mit ihm verbanden, welche Bedeutung er für sie und ihrer Auffassung nach für die deutsche Gesellschaft hatte.

Zunehmend wurde Manns Kunst von völkischen und nationalistischen Politikern kritisiert: Sie fanden Mann zu intellektualistisch und zu wenig auf die unbefangene Tat hin ausgerichtet. Auch nach der Nobelpreisverleihung im Jahr 1929 verstummte diese Kritik nicht. Grund dafür war unter anderem, dass Mann die beiden „Fliegerhelden“ Hermann Köhl und Günther von Hünefeld „Fliegertröpfe“ genannt hatte. Der Münchner Oberbürgermeister versuchte noch mildernd einzuwirken, indem er darauf verwies, dass Künstler manchmal ein wenig neidisch auf sportliche Leistungen seien.

Aber es war vor allem die übertriebene nationalistische Stimmung, die Mann zunehmend ärgerte. „Das Gemüt“, schrieb er Ende der 1920er-Jahre, könne, „wenn es nicht von einem guten Verstande kontrolliert wird, zu einer großen Gefahr, einer Weltgefahr werden“. Als Mann diese Sätze schrieb, hatte er sich längst entschieden, für wen er ein Repräsentant sein wollte und für wen nicht.

Obwohl die Studie im Großen und Ganzen überzeugt, hätte ihr ein wenig (mehr) Überarbeitung seitens des Verlages gut getan. 75 Seiten Anmerkungen und Quellen auf 270 Seiten Text, das ist viel. Einiges hätte kompakter und weniger umständlich formuliert werden können. So finden sich etwa Sätze wie: „Unabhängig hiervon aber und wenngleich Thomas Mann persönlich vermutlich auch zu diesem Zeitpunkt schon oder auch noch nicht viel […]“.

Des Weiteren ist das Bild des Germanisten von Thomas Mann zum Teil etwas zu rosig geraten. Hansen fordert dazu auf, „,Die Betrachtungen eines Unpolitischenʻ auf die lange Zeit vernachlässigten ‚liberalen‘ Spuren hin zu untersuchen und dieses Werk nicht mehr eindimensional zu betrachten“. Aber was ist liberal an einem Autor, der die Demokratie als „Verpestung des gesamten nationalen Lebens“ ablehnt?

Titelbild

Sebastian Hansen: Betrachtungen eines Politischen. Thomas Mann und die deutsche Politik 1914-1933.
Wellem Verlag, Düsseldorf 2013.
349 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783941820340

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