Der Horrorcomic

Ein letzter von drei verschiedenen Zugängen zu „Batman“

Von Markus EngelnsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Engelns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Superhelden sind in Mode, doch wer abseits der populären Filme auch die Comics lesen möchte, muss sich erst einmal in komplex gewachsene Universen einlesen. Drei Zugänge zu diesem Genre bieten die hier rezensierten Beiträge zum Batman-Universum.

Die ersten beiden besprochenen Batman-Comics gelten Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung noch immer als Klassiker, die in keinem Regal eines/r Comicliebhabers/in fehlen dürfen. Den von Autor David Lapham und Zeichner Ramon Bachs verfassten Band Batman – Stadt der Sünde aus dem Jahr 2005 hat dieser Ruhm vielleicht aufgrund seiner verhältnismäßigen Aktualität oder seiner erzählerischen Komplexität (noch) nicht erreicht. Dieser Comic kombiniert – und das ist durchaus gewöhnungsbedürftig – Elemente des Gesellschaftsromans mit geradezu lovecraft’schen Horrormotiven.

Auf der Seite des Gesellschaftsromans sind die vielen sozialpolitischen und tagesaktuellen Handlungsstränge zu nennen, die vor allem die erste Hälfte des Bandes einnehmen: Batman kommt im Comic nur dem Versprechen gegenüber einer Mutter nach, deren vermisste Tochter zu finden. Grund dafür ist eine optische Ähnlichkeit zwischen der Tochter und einem Society-Girl, für dessen Drogentod sich Batmans Alter Ego Bruce Wayne verantwortlich sieht, weil er dem in Reichtum schwelgenden Mädchen einen Wunsch ausgeschlagen hat. Dabei schlittert Batman zusehends in ein Netz aus Intrigen rund um Kinderhandel, Drogenrausch und einen millionenschweren Bau-Deal. Die Handlung ist dabei der Aufhänger, die verschiedenen Nebenstränge, Figuren und Erzählebenen zu einer Momentaufnahme zu vereinen, die sich alsbald als komplexes historisches Netz sozialer Beziehungen, korrupter Abhängigkeiten und vermeintlich zufälliger Begegnungen erweist. Hier ist der Comic maßgeblich an den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten der Stadt interessiert: an der Darstellungen von Obdachlosen, gerade so über die Runden kommenden Familien wie auch an der High Society. Dabei versucht der Comic gar nicht erst, die vielen dargestellten Konflikte aufzulösen, die durch den permanenten Eindruck von Verfall zusammengehalten werden. Vielmehr beschäftigt sich die fragmentarische Handlung mit einem Panorama der Kontingenz anhand derer, die in der Stadt leben.

Von Beginn der Lektüre an gewinnt die Leserschaft den Eindruck, in all den unzusammenhängenden Szenen des zerrütteten Alltagslebens eine Gemeinsamkeit finden zu können.  Was zunächst wie ein kulturpessimistischer Kommentar zur Urbanisierung wirkt, nimmt später Züge der Schauerliteratur an: Nunmehr geht es um eine Sekte, die in mystischen Ritualen und ganz im Verborgenen Würdenträger und Schlüsselfiguren durch künstliche Pendants ersetzt. Nach und nach übernehmen diese Kreaturen, deren Gesichter fratzenhaft übersteigert sind und sich im Regen wie Wachs auflösen, die Geschicke der Stadt, wobei nie ganz klar ist, wer nun schon ausgetauscht wurde und wer nicht. Das Grauen ist so dreifach präsent: Erstens als Eindruck der Motivation verschiedenster Handlungsteile und Themen, zweitens als das in den Doppelgängern inkorporierte Böse, das bald schon wie ein gewalttätiger Mob über die wehrlose Stadt hinwegfegt und drittens in der Kombination aus Gesellschaftspanorama und Horrorcomic. Die immense Schieflage der hier dargestellten Gesellschaft, die mangelnde monetäre und soziale Absicherung der Protagonisten einhergehend mit dem sich breit machenden Verfall menschlicher Beziehungen und staatlichem Interesse an Hilfe, bereitet erst den Nährboden für eine ins Schreckliche übersteigerte Revolution der aus den prekären Schichten rekrutierten Sekte, die sich nun aufmacht, Gotham City ins Chaos zu stürzen. Diesmal sind es eben nicht Superschurken oder korrupte Politiker, die den Konterpart des Helden einnehmen – diesmal sind es Dockarbeiter, verprügelte Hausfrauen und die Vergessenen, die sich aufmachen, die ‚Welt zu erobern‘. Letztlich bleibt der Schluss, dass nicht die weitestgehend fiktiven Horrorelemente den Schauer erzeugen, sondern vielmehr ein durchaus tagespolitischer und mithin realistischer Nährboden zur Fundierung der Horrorelemente dient, ohne dabei in eine Romantisierung der ‚Arbeiterklasse‘ zu verfallen. Im Gegenteil: Solidarität ist mit Männern, die ihre Frauen verprügeln, eben auch nicht mehr herzustellen.

Für eine Einstiegslektüre mag der Comic auf den ersten Blick schlecht gewählt sein. Auf den zweiten Blick eröffnet gerade die Komplexität des Comic Möglichkeiten für eine Erstlektüre. Wer nämlich aus der Perspektive der Schauer- und Horrorliteratur, vielleicht auch vom Thriller herkommend auf den Comic schaut, hat die Möglichkeit, das Wechselspiel der Nebenhandlungen, die sich langsam abzeichnenden Muster, die sich einer Schlinge gleich immer enger um die Protagonisten und die LeserInnen legen, zu genießen. Dann gilt der Blick nämlich nicht mehr den einzelnen Protagonisten, sondern nur noch deren gescheiterten Existenzen in einer (Stadt-)Geschichte, die sie selbst mitformen, aber nicht verstehen.

Zum gelungenen Gesamteindruck des Comic trägt der üblicherweise in vielen Superheldencomics redundant wirkende, hier aber intensive und die Spannung voran treibende Erzählerkommentar bei, der minutiös jede Nebenhandlung seziert und die Psychologie der Figuren herauspräpariert. Hinzu kommen die einprägsamen Bilder Bachs, der in der Masse der auftretenden Stadtbewohner anders als im Superheldencomic sonst üblich jeder noch so unwichtigen Nebenfigur ein eigenes, charakteristisches Gesicht samt Mimik verleiht – obwohl (oder gerade weil) viele Teile der Handlung um die finsteren Doppelgänger und ihre Maskenspiele zentriert sind. Was hier als Horror übrig bleibt, ist weder das Übernatürliche, noch das Mystische, das im vorliegenden Band durchaus vorhanden ist. Der Horror entsteht vielmehr zwischen den gescheiterten Existenzen zivilisatorischer Entfremdung und Entindividualisierung, die weder Schicksal noch Anarchie ausleben dürfen, sondern irgendwo im ‚Dazwischen‘ gefangen sind.

Weitere Beiträge zu Batman:

Der Klassiker. Ein erster von drei verschiedenen Zugängen zu „Batman“

Der Krimi. Ein zweiter von drei verschiedenen Zugängen zu „Batman“

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Ramon Bachs / Nathan Massengill / David Lapham: Batman. Stadt der Sünde.
Panini Verlag, Nettetal 2014.
288 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783957980700

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