Mit starkem Pinselstrich gegen den Kitsch

Niedlich war gestern: „Der kleine Prinz“ in der Übersetzung von Peter Sloterdijk und mit neuen Illustrationen von Nicolas Mahler

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich vorneweg: Den berühmtesten Satz ließ Peter Sloterdijk unangetastet. Anders als beim Literaten Hans Magnus Enzensberger, der daraus ein sperriges Satzkonstrukt bastelte („Man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht dabei ist. Das, worauf es ankommt, ist mit bloßem Auge nicht zu sehen.“), lauten die Zeilen in der Neuübersetzung Sloterdijks weiterhin schlicht: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Er habe darüber nachgedacht, hier anders zu übersetzen, erzählte der Philosoph bei der Präsentation seiner neuen Übersetzung Anfang Dezember 2015 in Berlin. Dann aber habe er ihn einfach so gelassen: „Der Satz hat eine Klassizität erlangt, die man ihm nicht nehmen kann.“

Eine kluge Entscheidung des 68-Jährigen, bietet doch „Der kleine Prinz“ für einen Übersetzer ganz andere Gelegenheiten, sich zu beweisen. 70 Jahre nach dem Tod des Autors sind nun die Rechte für Antoine de Saint-Exupérys Beststeller ausgelaufen – und prompt überschwemmt eine Flut von Neuübersetzungen den Markt. Der Düsseldorfer Karl Rauch Verlag, der diese in Deutschland seit 1950 innehatte, legte dabei bereits 2009 vorsorglich eine neue Version vor, um nicht ins Hintertreffen zu gelangen. Elisabeth Edl hatte damals die ursprüngliche Übersetzung des Ehepaars Grete und Josef Leitgeb modernisiert – nun folgten ihr neben Enzensberger (dtv) auch Peter Stamm (S. Fischer), Ulrich Bossier (Reclam) und eben Sloterdijk (Insel Verlag). Als zu kompliziert und künstlich vor allem in den Dialogen empfand Edl die Übersetzung der Leitgebs, mit der die begeisterten Leserinnen und Leser des „Kleinen Prinzen“ seit Generationen aufgewachsen sind. Auch Sloterdijk setzt in seiner Neuübersetzung auf sprachliche Frische und Zeitgemäßheit und verleiht einzelnen Sätzen immer wieder eine größere Eleganz. Dabei geht er jedoch auch erfreulich behutsam vor und setzt seine Akzente als Übersetzer ganz gezielt. Nur gelegentlich knarzt es doch in seinem Text, wenn er beispielsweise aus einem „nachdenklichen“ ein „meditatives“ Schweigen macht oder den Fuchs seinen „Gewinn“ aus der Freundschaft mit dem kleinen Prinzen recht hölzern formulieren lässt: „Ich habe gewonnen […] der Kornfarbe wegen.“ Da kann man einfach nicht anders, als die  „Farbe des Weizens“ zu vermissen.

Was die Ausgabe des „Kleinen Prinzen“ im Insel Verlag jedoch von allen anderen Neuausgaben abhebt und zu etwas Besonderem macht, ist nicht Sloterdijks Übersetzung: Es sind die Illustrationen. Denn anders als in den übrigen Neuerscheinungen wurden hier nicht die Originalillustrationen des Autors verwendet. Das ist durchaus mutig, bilde(te)n die Zeichnungen Saint-Exupérys doch mit dem Text zusammen eine untrennbare Einheit. Die Zeichnungen sind „Der kleine Prinz“, sein authentisches Abbild, bekannt auf der ganzen Welt. Und doch erscheint die Neuillustration im Ergebnis als fast unausweichlich. Denn die Zeichnungen Saint-Exupérys werden leider inzwischen auch gnadenlos verramscht: Spätestens seit der „Kleine Prinz“ in einer Kinder-Zeichentrickserie nur noch als Aufhänger für triviale Abenteuergeschichten mit vorhersehbarem Ausgang dient, sieht man hier nur noch staunend gleichsam den Geschäftsmann seine Besitztümer verwalten, das Merchandising von Tassen bis zu Adventskalendern inklusive.

Hier hat nun der Comiczeichner Nicolas Mahler mit seinen Illustrationen für eine erfrischende Neuinterpretation gesorgt. Dass der Österreicher keine Scheu vor großen Aufgaben kennt, hat er bereits mit Literatur-Adaptionen in Comicform, darunter Musils „Mann ohne Eigenschaften“, gezeigt. Mahlers kleiner Prinz ist ganz in dem minimalistischen Stil gehalten, für den der 46-Jährige bekannt ist. Er reduziert die Figur auf das Wesentliche, jegliche Niedlichkeit ist mit grobem, starkem Pinselstrich weggewischt: roter Mantel, blonder Haarschopf, Schal und eine überdimensional lange Nase. Das alles gezeichnet in kräftigen Farben, so stapft der kleine Prinz hier durch die Wüste. Und bezaubert gerade durch diese Abstraktion mehr denn je, zumal in der Szene mit dem Fuchs unvermittelt doch verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Original deutlich werden: Ist nicht in Saint-Exupérys Fuchs mit den zu großen Ohren auch schon eine gewisse Überzeichnung angelegt? Bei Mahler zumindest fügt er sich als solche plötzlich ganz selbstverständlich in die leicht karikaturhafte Umgebung ein. Die Figuren des Königs, des Trinkers, des Eitlen oder des Geschäftsmannes werden schließlich gar nicht abgebildet, sondern hier finden sich nur ihre Utensilien (Krone, Flaschen, Spiegel, Tresor et cetera). Einige Zeichnungen werden weggelassen, neue ergänzt.

Mahler lässt so den Text selbst sprechen, lässt Raum für das Wesentliche – und der Verlag verstärkt die Bildwirkung durch die bewusste Gestaltung des Leerraums auf den Seiten. Dies wird vor allem zum Ende deutlich: Das vorletzte Bild ist nicht der durch den Schlangenbiss fallende Prinz, sondern die Kiste des Schafs, die der Ich-Erzähler bei der ersten Begegnung mit dem kleinen Prinzen gezeichnet hat. Nur ist die Kiste nun geöffnet. Mehr ist nicht nötig, um die dazugehörigen Zeilen wirken zu lassen: „Schaut zum Himmel auf und fragt euch: ,Hat das Schaf die Blume gefressen oder nicht?‘ Und ihr werdet sehen, wie alles sich verändert. Und kein Erwachsener wird je begreifen, wieso dies so viel bedeutet!“

Titelbild

Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz.
Mit Illustrationen von Nicolas Mahler.
Übersetzt aus dem Französischen von Peter Sloterdijk.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2015.
105 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783458200178

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