Das Lesen ist ein langer ruhiger Fluss

Der Sammelband „Ein Traum von Schmetterlingen“ zeigt William Trevor als Meister der diskreten, doch eindringlichen Erzählung

Von Johannes GroschupfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Groschupf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bin ein sehr instinktiver Mensch, ich liebe Einfachheit, alles Komplizierte ist mir verdächtig. Ich setze mich früh an jedem Morgen an meine Schreibmaschine, und wenn ich getan habe, was ich tun wollte, stehe ich wieder auf. Das ist die einzige Erklärung, die ich für meine Arbeit habe.“ So zurückhaltend beschreibt der Ire William Trevor, der seit langem in England lebt, seine Tätigkeit. Sie hat ihn zu einem der bedeutendsten Erzähler im angelsächsischen Raum gemacht: 23 Romane und elf Bände mit Erzählungen sind bisher von ihm erschienen. Vor allem die Erzählungen haben seinen Ruhm begründet. 42 von ihnen liegen nun, bemerkenswert stimmig übersetzt von Brigitte Jakobeit und Hans-Christian Oeser, in dem schönen, fast bibliophilen Sammelband „Ein Traum von Schmetterlingen“ vor.

Was geschieht, wenn man Trevors Erzählungen liest? Man kommt zur Ruhe. Atmet langsamer. Spürt die eigenen Herzschläge. Man folgt auf zehn bis zwanzig Seiten den Lebenswegen unauffälliger, doch eigenartiger Menschen. Die meisten stehen an einem Scheideweg. Eine existentielle Entscheidung ist fällig, mit der Wert und Wahrhaftigkeit des bisherigen und künftigen Lebens stehen und fallen. Ein Eremit wird durch einen Traum bewogen, seine Klausur aufzugeben und, wenn auch widerstrebend, an seinen Heimatort zurückzukehren. Eine erfolgreiche Heiratsschwindlerin lernt einen einsamen Putenzüchter kennen und bekommt fast Gewissensbisse, als sie sein Herz gewinnt. Die zweite Ehefrau eines blinden Klavierstimmers nimmt stille Rache an ihrer Vorgängerin, indem sie die Details der Umgebung umerzählt. Ein junges Ehepaar hat den ersten Streit, als sich herausstellt, dass die Frau gelegentlich ein Picknick mit Freunden und ihren Teddybären veranstaltet, eine Marotte, die ihr Mann nicht akzeptiert.

Merkwürdige, unscheinbare und doch unvergessliche Existenzen bevölkern Trevors Erzählungen – Außenseiter, Exzentriker, die an die Leute im Beatles-Song Elenor Rigby erinnern: „Wearing a face that she keeps in a jar by door.  All the lonely people, where do the all come from? Where do they all belong?“

Die erzählerischen Mittel, die Trevor anwendet, sind denkbar einfach: Er benutzt Andeutungen und Aussparungen. Er schreibt trocken, einfach und klar und bleibt dabei stets diskret. Aufdringlichkeit ist seinem Wesen fremd. Sexyness und ausgestellte Erotik ebenso; man könnte ihn fast prüde nennen – oder besonders taktvoll. Alles Aufgeregte, Schrille, Hektische und Ostentative liegt ihm fern. Beschleunigung ist seine Sache nicht. Er möchte nicht anklagen, sondern verstehen.

Seine große Kunst liegt darin, sich selbst ganz zurückzunehmen und das Feld völlig seinen Figuren zu überlassen, ohne dass die Geschichten dadurch kühl oder verlassen wirkten. James Joyce hat das in seinen Erzählungen Dubliners (1914) vorgemacht und Trevor hat spürbar bei ihm gelernt.

Schauplatz der Erzählungen sind das ländliche Irland, das kleinstädtische England oder ein Londoner Vorort. Enge Häuschen, kleine Gehöfte. Gelegentlich wird das Akademikermilieu gezeigt, doch vor allem als Ansammlung von Beamtenseelen. Die vorherrschende Temperatur seiner Geschichten entspricht dem, was Sigmund Freud einmal das „mittlere Elend“ bezeichnet hat. Ein durchaus wünschenswerter Zustand, weil es einen nicht lähmt, aber unruhig macht und auf den Weg schickt.

Trevor folgt aufmerksam den Handlungen und Motiven seiner Figuren. Er kennt sie in- und auswendig, macht sich nicht über sie lustig und stellt sie nicht bloß. Dennoch entwickelt er, gerade in seinem grundsätzlichen Einverständnis mit seinen Figuren und ihren jeweiligen Lebenskonzepten, einen moderaten Humor, der auch zur düsteren Komik werden kann. Die Welt von Trevors Erzählungen ist von leiser Verzweiflung durchwirkt. Oft wurden bereits lange vorher die falschen Entscheidungen getroffen oder günstige Gelegenheiten verpasst worden. Man ist alt geworden und spürt die Last des Daseins, den Verfall des Körpers, das Ende der Hoffnungen. Manchmal ist der notwendige Wendepunkt einer Geschichte auch die Einsicht, dass es gut ist, dass Krankheit und Verlust im Leben ihren Tribut fordern, denn sie führen zur „Demut, die das Geschenk der Scham ist.“ (Mogeln beim Canasta). Viele Ehegeschichten sind dabei, sie beschäftigen sich mit der Frage, welchen Wert die lebenslange Beziehung hat, wenn die Kinder aus dem Haus sind, der Beruf hinter einem liegt und der Tod vor einem. Frau und Mann wissen voneinander die wenigen Stärken und die vielen Schwächen – und lieben einander doch, auf ganz alltägliche Weise.

Die Lektüre dieser Erzählungen wird im Laufe der Tage und Wochen zu einer Art Meditation. Man kehrt für zwanzig oder dreißig Minuten in einen geschützten Raum ein, nimmt wahr, was geschieht, enthält sich aller Wertungen. Man betrachtet Lebenssituationen, ohne einzugreifen. Man begleitet die Vielzahl von Charakteren durch ihre Ratlosigkeiten und lässt ihnen ihre Entscheidungen. Und wie es das Wesen von Meditationen ist, allmählich in den Alltag hinein zu wirken, so mögen auch die Erzählungen von William Trevor einen neuen Blick auf die Menschen um uns ermöglichen.

Bei einem Sammelband stellt sich immer auch die Frage der Zusammenstellung. Es fehlt beispielsweise die Geschichte The Ballroom of Romance von 1972, die in Irland mittlerweile ikonischen Rang einnimmt und 1981 von Pat O’Connor für das Fernsehen verfilmt wurde. Die Geschichte erzählt von einer Frau Mitte dreißig, die in den Tanzsälen des ländlichen Irland der 1950er-Jahre einfach keinen guten Kandidaten mehr findet und sich dann mit einem übrig gebliebenen Mann begnügt, um nicht allein alt zu werden. Insgesamt fällt auf, dass viele der frühen Erzählungen fehlen und dafür die Stories der 2000er-Jahre stark vertreten sind. Nichtsdestotrotz ist dieser deutsche Sammelband ist auf jeden Fall eine großartige Einladung, den Erzähler William Trevor kennenzulernen.

Titelbild

William Trevor: Ein Traum von Schmetterlingen. Meistererzählungen.
Übersetzt aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit und Hans-Christian Oeser.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
752 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783455405279

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