Ein Schmelztiegel vieler Ethnien

Mahdi Ehsaei porträtiert Angehörige der schwarzen Minderheit im Iran

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Erblast der Pahlewi-Herrschaft im Iran ist bis heute, dass viele Perser, also der Teil der Bevölkerung, der Farsi spricht, der Meinung sind, dass das Land nur eine einzige Ethnie, Kultur und Sprache habe. Die Pahlewis, die 1925 mit Hilfe der Briten auf den Pfauenthron gekommen waren, behaupteten bis zu ihrem Sturz 1979, dass alle Menschen im Iran Perser und also Arier wären und eine höherwertigere Kultur als die anderen Völker in der Region hätten. Damit wollten sie die Erinnerung nicht nur an die vorherige Dynastie der aserbaidschanischen Kadscharen tilgen, sondern dem Land auch eine Identität aufdrücken, die angeblich seit der Antike bestehen würde.

Betrachtet man die historischen Ereignisse und soziokulturellen Veränderungen, die seit jener Zeit in der Region des heutigen Iran geschehen sind, dann erscheint die Theorie der Pahlewis als geradezu grotesk. Aufgrund seiner besonderen geostrategischen Lage zwischen Kleinasien und Nordafrika, dem Kaukasus und Zentralasien, Indien und dem nach ihm benannten Ozean ist der Iran schon immer ein Kreuzweg von Händlern – Stichwort Seidenstraße – gewesen, der Schauplatz von zahlreichen Kriegen sowie Durchzugsgebiet und Schmelztiegel vieler Ethnien und Religionen.

Ein kleiner Teil der heutigen iranischen Bevölkerung, der im Westen bisher kaum Gegenstand medialer Berichterstattung geworden ist, sind die Nachfahren von Afrikanern, die mindestens seit der Islamisierung des Iran als Händler, Krieger, vor allem aber als Sklaven an den Persischen Golf migriert sind beziehungsweise insbesondere auf Sansibar verkauft und in den Iran gebracht wurden. Nach der Islamisierung des Landes wurden die Sklaven als Menschen mit eigenen Rechten betrachtet, deren Freilassung durch religiöse Gesetze begünstigt wurde. Frauen arbeiteten etwa als Köchinnen, Männer als Diener. In sehr wohlhabenden Häusern konnten letztere als Eunuchen etwa zu Aufsehern in Harems aufsteigen. 1928 wurde die Sklaverei offiziell abgeschafft. Ein Afro-Iraner, der während der Herrschaftszeit des letzten Schah als „bomb-e-zia“ (Schwarzer Bomber) bekannt wurde, war der aus Ahwaz stammende Fußballspieler Mehrab Shahroki (1944–1993). Als Mitglied der iranischen Nationalmannschaft gewann er 1968 mit ihr erstmals die Asienmeisterschaften.

Den Nachfahren jener hierzulande kaum bekannten Sklaven hat der 1989 geborene Deutsch-Iraner Mahdi Ehsaei mit „Afro-Iran“ einen beeindruckenden Fotoband gewidmet. Es sind knapp 50 Aufnahmen, die der Fotograf in der Hafenstadt Bander Abbas und weiteren Orten am Persischen Golf gemacht und für seinen englisch- und persischsprachigen Band ausgewählt hat. Der feste Einband fällt auf, in Orange und Schwarz gehalten wirkt er streng und schlicht. Beide Farben korrespondieren zudem mit denjenigen, die auf den ganzseitigen Aufnahmen zu entdecken sind.

Wir sehen Menschen in ihrem Alltag und haben den Eindruck, direkt vor ihnen zu stehen. Dieses Unmittelbare macht den großen Reiz der Aufnahmen aus, in die man förmlich hineingezogen wird: Eine junge Frau hockt auf einem grauen Ziegelstein vor der draußen aufgehängten bunten Wäsche. Eine Ältere sitzt auf dem Markt, auf dem sie Grünzeug anbietet. Daneben eine Frau, die ihr Gesicht vor dem Fotografen verbirgt. Eine andere Ältere sitzt an einer vielbefahrenen Straße, an der sie eine Wasserpfeife raucht, neben sich ein Holztisch, auf dem sich eine Plastikflasche mit einer gelben Flüssigkeit befindet. Vielleicht ein Getränk, das sie verkaufen will. Ein älterer Mann macht eine kurze Pause, ehe er mit Hilfe eines dicken Seils, das er um die Hüfte und um einen Baumstamm geschwungen hat, erneut eine Palme hochklettert, um Äste abzuschneiden. Ein junger Händler blickt kurz in die Kamera, bevor er seine Arbeit fortsetzt und mit einem Messer einen Fisch weiter in Stücke schneidet, von denen bereits einige auf einfachem Pappkarton vor ihm liegen.

Die Menschen auf den Aufnahmen strahlen Ruhe und Geschäftigkeit aus. Ein Teil der Fotos ist dabei gestellt. Die Porträtierten stehen entspannt vor ihren Häusern oder in Gassen, mit den Händen an den Taschen ihrer weiten (Dreiviertel-)Hosen, oder sitzen mit ihren Kindern auf Motorrädern. Daneben finden sich Momentaufnahmen, die meist Basare, Händler und Einheimische beim Einkaufen zeigen. Ein weiteres zentrales Motiv von Ehsaei sind Kinder. Er hat sie allein, mit anderen Kindern oder mit Vater oder Mutter fotografiert. Auf einem Bild blicken zwei kleine Jungen namens Armin und Reza in die Kamera. Sie tragen T-Shirts, Jogginghosen und Badelatschen. Einer von ihnen ist hellhäutig und hat blonde, leicht lockige Haare. Auffällig ist, dass ein Teil der Kinder statt zu lächeln eher nachdenklich schaut. Ihr Ernst will nicht recht zu der lockeren, entspannten Stimmung passen.

Das Sonnenlicht und das milde Klima, die Strände und Palmen sowie die hellen, bunten Farben des Basars und der Kleider, die die Frauen und Männer tragen, machen dem Betrachter Lust, einmal selbst an den Persischen Golf zu reisen und das – freilich einfache und arbeitsreiche – Leben der Afro-Iraner zu erkunden. Ehsaei hat die dort herrschende Atmosphäre nüchtern, aber liebevoll eingefangen. Darüber hinaus hat er auch Wert darauf gelegt, kleine Marker zu setzen, die eines deutlich machen sollen: dass nämlich die Porträtierten zwar ihre eigenen Traditionen haben, aber zugleich Iraner sind. Auf letzteres weisen persische Schriftzüge auf Wänden, die Flagge der Islamischen Republik, Autos der Marke Paykan und teilweise auch die Architektur der Häuser hin.

Die Vermischung der lokalen mit der überregionalen Kultur des Landes wird an der Kleidung und an anderen Alltagsgegenständen erkennbar. Farbe, Muster und Schnitt der Frauenkleider zeigen fremde Einflüsse auf. Ein Beispiel sind die enganliegenden und verzierten Hosen der Frauen, die unter meist bunten Schleiern und Röcken hervorlugen. Bei den Männern fallen dagegen die weiten weißen Gewänder auf, wie sie sowohl im arabischen als auch im afrikanisch-islamischen Raum getragen werden. Eine Aufnahme ist hier besonders zu erwähnen, weil sie eine sogenannte Zar-Zeremonie zeigt, ein während des 18. Jahrhunderts am Horn von Afrika entstandenes Ritual, mit dem man böse Geister austreibt. Auf dem Bild sind ältere Männer in den erwähnten langen weißen Gewändern zu sehen. Jüngere Männer, westlich gekleidet, sitzen auf Teppichen. Jemand raucht Wasserpfeife. Einige Männer trommeln, andere klatschen dazu.

„Afro-Iran“ von Mahdi Ehsaei ist ein gelungenes Projekt. Das Buch ist ansprechend gestaltet und die knapp 50 Aufnahmen ein Gewinn nicht nur für Ethnografen und Historiker. Zwei lesenswerte, kurze Vorworte sind den Fotos vorangestellt. Die amerikanisch-iranische Historikerin Nahid Mozaffari gibt einen Abriss über die Geschichte der Afro-Iraner und hebt ihren Beitrag für den ethnischen und kulturellen Reichtum des Iran hervor. Aus mentalitätsgeschichtlicher Sicht überrascht das Vorwort des kanadisch-iranischen Journalisten Joobin Bekhrad, reflektiert er doch den eigenen allmählichen Meinungsumschwung: Hielt er alle Iraner einst für Perser und machte sich, wie es bei einem Teil der Perser noch heute üblich ist, über andere Bevölkerungsteile, primär über die Aserbaidschaner, lustig, hat er durch die Rezeption von Musik und (Dokumentar-)Filmen, die Leben und Kultur von Nichtpersern behandeln, gelernt, dass der Iran die Heimat vieler verschiedener Ethnien war und ist.

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Mahdi Ehsaei: Afro-Iran. The unknown Minority.
Kehrer Verlag, Heidelberg 2015.
96 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783868286557

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